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Ausgabe November 1998

NEUE CDs

Nostalgie hoch zwei

Atlantic und Enja mit Geburtstagsgeschenken an die Hörer

Autor:
Reinhard Köchl

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Wir können es Nostalgie, Versöhnung mit der Vergangenheit, Geberlaune oder Jazzrevival nennen; der Entschluß des Branchenriesen Atlantic, anläßlich seines 50. Geburtstags nur 20 Wiederveröffentlichungen aus dem kommerzträchtigen Soul- und Rockgenre, dafür aber gleich 50 archi-varische Hochkaräter aus dem Bereich Jazz auf den Markt zu werfen, bleibt ein ungewöhnlicher und spektakulärer. Ausgerechnet jene Company, die mit Megasellern wie Led Zeppelin oder Crosby, Stills, Nash & Young Musikgeschichte schrieb, besinnt sich auf ihre künstlerische und auch existenzielle Basis. Dies verwundert um so mehr, weil doch Präsident und Gründer Ahmet M. Ertegun in den Anfangsjahren die Leidenschaft seines inzwischen verstorbenen Bruders Nesuhi Ertegun für Swing, Bebop, Hardbop, Fusion oder Blues allenfalls tolerieren mochte, aber kaum mit ihm teilte. Also auch ein Akt der Dankbarkeit gegenüber einst großen, heute aber zum Teil schon wieder vergessenen Musikern, die den Riesendampfer Atlantic lange Zeit eisern auf Kurs hielten.

An der Spitze dieser beispiellosen Reminiszenz an den Jazz rangieren ohne Frage die Gallionsfiguren der Ertegun-Imperiums: das Ornette Coleman Quartet mit "This Is Our Music" (7567-80767-2), das Modern Jazz Quartet At Music Inn mit Stargast Sonny Rollins (7567-80794-2), Charles Mingus mit "Tonight At Noon" (7567-80793-2), Dave Brubeck mit seinem Monumental-epos für Streichorchester, Rockgruppe und Chor, "Truth Is Fallen" (7567-80761-2), Keith Jarrett mit seinen Frühwerken "El Juicio" ("The Judgement", 7567-80783-2) und "The Mourning Of A Star" (8122-75355-2) oder Dizzy Gillespie mit "Closer To The Source" (7567-80776-2). Daß Atlantic jedoch absolute Raritäten wie die lange vermißt geglaubte "Western Suite" (7567 80777-2) von Jimmy Giuffre unter der Mitwirkung des Ventilposaunisten Bob Brookmeyer und des Gitarristen Jim Hall ausgräbt, oder den Fans das spektakuläre Aufeinandertreffen des Altsaxophonisten Lee Konitz und des Tenoristen Wayne Marsh von 1955 (8122-75356-2) schenkt, zeugt von einem feinen Gespür für die eigenen Ursprünge. Dazu gehören auch solche Sternstunden, wie die im gleichen Jahr von Lennie Tristano gebaute Brücke zum Cool-Jazz (7567-80804-2), Max Roachs wütendes Gospel-Manifest "Lift Every Voice And Sing" (7567-80798-2) sowie die eine erlesene Auswahl von Saxophonistenalben. Sonny Stitt & The Top Brass (7567-80802-2) ist darunter, Hank Crawford mit seiner "Soul Clinic" (7567 80758-2) verdient ebenso Erwähnung wie Charles Lloyd In Europe (7567-80788-2), Roland Kirks aufsehenerregende Liveaufnahme "Here Comes The Whistleman" (7567-80785-2) oder Eddie Harris verschmitzt-zynisches Bekenntnis "I Need Some Money" (7567-80781-2). Weitere bemerkenswerte Re-Issues kommen vom Kornettisten und Cannonball-Bruder Nat Adderly mit "Sayin‘ Something" (8122-72393-2), von Art Farmer mit "Sing Me Softly Of The Blues" (7567-80773-2), Jay McShann mit "The Last Of The Blue Devils" (7567-80791-2), Gary Burton mit "Alone At Last" (7567-80762-2), Mose Allison mit "The Word From Mose" (8122-72394-2) oder Gil Evans mit dem zeitlos berauschenden Svengali (8122-75353-2). Alle CDs dieser von Claude Nobs, dem Direktor des Montreux Jazzfestivals, koordinierten Serie, gibt es im kartonierten Originalcover und erfreulicherweise zum Mid-Price.

Derweil feiert Enja, der eineiige Platten-Zwilling aus der Landeshauptstadt, zwar eine Nummer kleiner, aber kaum weniger gehaltvoll, seinen 25. Sowohl die Dependance in der Frunsberg-, wie auch die in der Volkartstraße will mit einigen neu aufgelegten Highlights aus dem umfangreichen Katalog beweisen, daß sich "Jazz made in Munich" auf keinen Fall hinter den Weltmetropolen zu verstecken braucht. Matthias Winkelmanns "25th Anniversary Series" beinhaltet jede Menge klangvoller Titel. Eine Auswahl: Chet Baker mit einem Teil seines letzten Konzerts "My Favorite Songs" (5097-2), Kenny Barrons Meisterwerk "What If?" (5013-2), das Tommy Flanagan Trio mit "Thelonica" (4052-2), Archie Shepp mit "Soul Song" (4050-2), Abbey Lincoln mit "Talking To The Sun" (4060-2), das zornige Baß- und Kompositionsgenie Charles Mingus, aufgenommen "In Europe" (3077-2), John Scofield mit "Shinola" (4004-2), Eric Dolphys "Stockholm Sessions" (3055-2), Cecil Taylor mit "Dark To Themselves" (2084-2), Barbara Dennerleins Anfänge mit "Straight Ahead!" (5077-2), Geheimtip John Stubblefield mit dem "Bushman Song" (5015-2) oder Mal Wal-dron und Steve Lacy mit "One-Upmanship" (2092-2). Achtung: ebenfalls in der Mid-Price-Kategorie! Horst Weber beschränkt sich auf drei Perlen des vergangenen Vierteljahrhunderts: allesamt "domicile"-Mitschnitte des Baritonsaxophonisten Art Pepper von 1975 namens "Julian" (9115-2), des Trompeters Art Farmer von 1970, einfach mit "In Europe" (9113-2) übertitelt, sowie vom New York Jazz Quartet um den Tenoristen Frank Wess und den Pianisten Roland Hanna, das die fünf hinreißenden Titel für "Sarka" (3025-2) 1978 mitschneiden ließ.

Eine gelungene Retrospektive, die neben der Würdigung des "Enja"-Labels sogar eine Träne im Knopfloch für den längst verblichenen Jazzclub an der Siegesstraße sichtbar werden läßt.

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