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Jazzzeitung

2012/03  ::: seite 15

rezensionen

 

Inhalt 2012/03

Inhaltsverzeichnis

Sternlein STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazz-ABC: Vernon Reid no chaser: Gleichgültigkeitserklärungen (1) Farewell: Abschied vom zu Unrecht vergessenene Hal McKusick

Sternlein TITELSTORY: Die Elfe und der Bär
Gretchen Parlato und Gregory Porter

Sternlein GESCHICHTE -
Als das Xylophon zu Swingen anfing
Red Norvo, Pionier der Mallets
Als die Gitarre verstärkt wurde
Basies Weggefährten (5): Eddie Durham – Posaunist, Gitarrist, Arrangeur, Komponist

Sternlein Berichte
White City Music Festival im Hafen von Tel Aviv // Lehrer Big Band Bayern in Brasilien // Christian Muthspiels Yodel Group im Neuburger Birdland //43. Jazzwoche Burghausen // Cape Town Jazz Festival 2012 // Streiflichter auf die Jazzahead 2012

Sternlein Portraits
Stefan Bauer und die „Voyage“-Band// Bassist Manfred Bründl //Sängerin Jenny Evans im Gespräch // „Oregon“ // Komponist und Trompeter Verneri Pohjola // Thilo Wolf Big Band // Sängerin Lisa Wahlandt

Sternlein Jazz heute und Education
Mathias Eick gewinnt den BMW Welt Jazz Award 2012 //Erfolgsgeschichte: Kooperation zwischen AUDI und Birdland Jazzclub// Abgehört: Die Geige gehört einfach dazu
Jörg Widmosers Solo über Ceora

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

neues von gestern

Von Marcus A. Woelfle

Ella Fitzgerald
The 1961 Amsterdam Concert

CD: Solar Records

Vor einem halben Jahrhundert war Ella Fitzgerald ein Superstar. Jeder musikalische Haushalt besaß eines ihrer Great American Song Books, mit denen ihr Manager Norman Granz, der zugleich Gründer des Labels Verve war, die Quadratur des Kreises geschaffen hatte: Produktionen, die geradezu dazu angetan waren, „jedermann“ zu gefallen, ob er nun Musical, Jazz, anspruchsvolle Popmusik, Klassik zu seinen Präferenzen zählte. Doch bei diesen Songbooks erlebte man eine recht zurückhaltende Ella. Sie nahm sich ganz wenige Freiheiten, ließ die natürliche Wirkkraft der Melodie, (fast so) wie der Komponist sie geschrieben hatte, bestehen. Wer neben der exquisiten „First Lady of Song“ die Jazzerin Ella Fitzgerald erleben wollte, ging am besten ins Konzert. Hier erwarteten ihn die ganze Fülle überschäumender Lebensfreude und Humors, ihre virtuosen Scats und natürlich ihre umwerfende Bühnenpräsenz. Nun war Granz, dem wir eine kaum unübersehbare Fülle an Studioproduktionen Ellas verdanken, seit je Propagator unverfälschten Live Jazz.

Der Jazz verdankt ihm auch die Etablierung der Live-Jazz-Platte, die zunächst das Nebenprodukt einer anderen Idee war: Granz hatte in den 40er-Jahren die Jam Session für das Konzertleben entdeckt und mit den Aufnahmen gleich den Plattenmarkt mit versorgt. Er hatte das tourende Konzertunternehmen „Jazz At The Philharmonic“ ins Leben gerufen, mit dem er sich nebenbei auch erfolgreich für Rassenintegration einsetzte. Ella gehörte zu JATP wie der Big Ben zu London und der schiefe Turm zu Pisa, nur dass sie dank einer unermüdlichen Tourneetätigkeit in jenen Tagen buchstäblich überall auf der „zivilisierten“ zu bewundern war und dabei freilich auch aufgenommen wurde. Den Anfang machte Granz selbst 1957 mit „Jazz At The Opera House“, dem Live-Alben wie der Meilenstein „Ella In Berlin“ von 1960 folgten.

Zur Diskographie jener Jahre gehören auch Mitschnitte von Rundfunkstationen oder Amateuraufnahmen, die nie für die Platte gedacht waren, die das ohnehin bereits umfangreiche Granz-Material ergänzen. Sie zeigen, dass Ella praktisch am laufenden Band für Sternstunden sorgte und dabei selbst viel Spaß hatte – trotz des strapaziösen Immeraufachseseins, das die Kräfte vieler überfordert hätte, nie unter ihr hohes Niveau sank. Zu Hilfe kam ihr freilich die Tatsache, daß sie bei den JATP-Konzerten nur einen Set zu bestreiten hatte. So ist der vorliegende, aufnahmetechnisch untadelige Mitschnitt vom 18. Februar 1961 aus dem Amsterdamer Concertgebouw der zweite Teil eines Konzertes, das vom Oscar Peterson Trio eröffnet worden war. Kaum einer ahnte, was sie bei solchen Gelegenheiten ausstand. Der unlängst verstorbene Arrangeur Russ Garcia berichtet: „Sie war eine wunderbare Sängerin. Sie war ja so schüchtern. Wir waren bei einem Jazzfestival in Europa. Bevor sie auf die Bühne ging, war sie in völliger Panik. Doch wenn sie dann das Mikro in der Hand hatte und ihre erste Note sang, war sie in ihrem Lied und sang wie ein Engel. Da war sie der Weltchampion unter den Sängern und fürchtete sich vor dem Publikum zu singen. Doch sobald sie in der Musik war, vergaß sie sich selbst.“ Ein instrumentaler Moll-Blues, der die exquisiten Begleiter zum ersten und letzten Mal zu den Hauptakteuren macht, hilft ihr in Amsterdam sich auf den Eintritt einzustimmen.

Auf der Bühne swingt fast die gleiche bewährte Besetzung wie beim legendären Berliner Konzert des Vorjahres, wo noch Jim Hall Gitarre spielte: Lou Levy (p), Herb Ellis (g), Wilfred Middlebrooks (b) und Gus Johnson (b). Niemand kann behaupten, wir hätten zu wenige Live-Aufnahmen aus dieser Schaffensperiode. Eine Woche zuvor entstand in der gleichen bewährten Besetzung „Ella Returns To Berlin“; zehn Tage danach entstand ein weniger bekannter Mitschnitt in Belgrad und im Mai 1961 wurden dann „Ella in Hollywood“ und die „12 Nights in Hollywood“ für Verve verewigt. Wer diese Alben kennt, erlebt bei den Amsterdamer Aufnahmen freilich keine „Überraschungen“ – es sei denn, man betrachtet Details als solche, etwa die Tatsache, dass Ella auf Publikumswunsch „My Funny Valentine“ aufs Programm setzt: Sie hatte es zuletzt 1958 live aufgenommen und diese Version ist wohl die letzte dokumentierte ihres Lebens. Sie entschuldigt sich beim Publikum, dass sie die Noten nicht dabei haben und es ohnehin keine Plattenaufnahme werde. Sie legt so viel Herzblut in ihre vollkommene Interpretation, dass man feuchte Augen bekommt.

Sonst erlebt man in diesem Amsterdamer Mitschnitt das Nonplusultra an Sangeskunst in bewährtem Repertoire jener Tage, Innigkeit und Wärme in „Heart and Soul“, den unbeirrbaren Swing in „That Old Black Magic“, die mitreißende Heiterkeit in „You’re Driving me Crazy“, die Satchmo-Imitation in „Mack The Knife“ und die furiose Scatterei im „St. Louis Blues“. Gershwins „Lorelei“ (witziger als die berühmte Berliner Version geraten) animiert nicht nur das Amsterdamer Publikum zum Lachen (sogar noch mehr als kurz darauf die Hollywooder), sondern auch sie selbst. Danach begeht sie noch im Überschwang der Lorlei-Verkörperung ausgerechnet bei ihrem Dauerbrenner „Mr. Paganini“ einen Schnitzer. Sie kann sich offensichtlich den Namen „Concertgebouw“ nicht merken, den sie einbauen will, und auch beim zweiten Anlauf klappt es nicht. Das ist aber die einzige Panne und man nimmt amüsiert und erleichtert zur Kenntnis, dass Genies Menschen sind, keine unfehlbaren Computer.

Da dieser unvergessliche Set etwas zu kurz ist, hat man ihm um zwei Verve-Aufnahmen ergänzt, die hier seltsamerweise erstmals auf CD erscheinen: „My Bill“ und „Why Don’t You Do Right“ vom Carnegie-Hall-Konzert vom 19. September 1953. Ray Brown (b), Buddy Rich (dr) und erstmals der seltsam unbekannt gebliebene Raymond Tunia (p), der allerdings ein Jahr noch wiederholt mit der Sängerin musizieren sollte, assistieren. Ella ist nicht weniger beflügelt als zwei Monate später in Tokyo, wo sie in ähnlicher Besetzung auftrat. Wie gesagt: Es gibt schon so viele ausgezeichnete Live-Alben Ellas in dieser Art, aus dieser Zeit, mit diesen Musikern. Sollte aber noch ein Dutzend davon erscheinen, so hätte ich sie lieber schon heute als morgen in meinem Briefkasten.

Gerry Mulligan and the Concert Jazz Band At The Village Vanguard
CD: Poll Winners Records

Die Kopplung der Alben „At The Village Vanguard“ (1960) und „A Concert In Jazz“ (1961) ist der Silberling der Wahl, um an ein wichtiges kurzlebiges Orchester zu erinnern: Die Concert Jazz Band verfügte über geistvolle Solisten, etwa den humorvoll phrasierenden Trompeter Clark Terry und den 2011 verstorbenen Ventilposaunisten und Arrangeur Bob Brookmeyer. Mulligan, führender Baritonsaxophonist und gelegentlicher Pianist der klavierlosen Formation ließ einige der bedeutendsten Arrangeure der Zeit ans Ruder, die wie Gary McFarland eigens für das kleine Orchester schrieben. George Russell steuerte „All About Rosie“ und Johnny Carisi eine neue Version seines Blues „Israel“ bei, einst eine Wegmarke der beginnenden Cool Jazz-Ära. Obwohl hochkarätige Arrangeure am Weg waren, kam es nie zu einer Überbetonung des Geschriebenen. Im Gegenteil: allenthalben fasziniert die vollkommene Balance zwischen Arrangement und Improvisation. Über lange Strecken herrscht die Lockerheit einer gut geplanten Jam Session. Die Arrangements, beflügelnde Sprungbretter, nicht den Ideenfluss hemmende Korsetts, sind im Geiste des Combo Jazz gehalten und verraten doch überall den Scharfsinn ihrer Schöpfer, die der Überladenheit mancher Big Band-Musik jener Tage eine klar Absage erteilten. Von den 13 Musikern hört man meist nur Grüppchen, in kontrapunktischen Stimmengeflechten wie sie auch Mulligans frühere Quartette und Sextette auszeichneten.

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