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Jazzzeitung

2012/03  ::: seite 22

farewell

 

Inhalt 2012/03

Inhaltsverzeichnis

Sternlein STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazz-ABC: Vernon Reid no chaser: Gleichgültigkeitserklärungen (1) Farewell: Abschied vom zu Unrecht vergessenene Hal McKusick

Sternlein TITELSTORY: Die Elfe und der Bär
Gretchen Parlato und Gregory Porter

Sternlein GESCHICHTE -
Als das Xylophon zu Swingen anfing
Red Norvo, Pionier der Mallets
Als die Gitarre verstärkt wurde
Basies Weggefährten (5): Eddie Durham – Posaunist, Gitarrist, Arrangeur, Komponist

Sternlein Berichte
White City Music Festival im Hafen von Tel Aviv // Lehrer Big Band Bayern in Brasilien // Christian Muthspiels Yodel Group im Neuburger Birdland //43. Jazzwoche Burghausen // Cape Town Jazz Festival 2012 // Streiflichter auf die Jazzahead 2012

Sternlein Portraits
Stefan Bauer und die „Voyage“-Band// Bassist Manfred Bründl //Sängerin Jenny Evans im Gespräch // „Oregon“ // Komponist und Trompeter Verneri Pohjola // Thilo Wolf Big Band // Sängerin Lisa Wahlandt

Sternlein Jazz heute und Education
Mathias Eick gewinnt den BMW Welt Jazz Award 2012 //Erfolgsgeschichte: Kooperation zwischen AUDI und Birdland Jazzclub// Abgehört: Die Geige gehört einfach dazu
Jörg Widmosers Solo über Ceora

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Apollinischer Altist

Abschied vom zu Unrecht vergessenene Hal McKusick

1955 konnte man im Covertext zu The Jazz Compositions of Bobby Scott lesen, Hal McKusick sei nicht nur die perfekteste Entsprechung von Stan Getz auf dem Altsaxophon, sondern auch unglaublich unterschätzt. Das stand damals schon für alle Zeiten fest – und das nach 13 Jahren Karriere bei bedeutenden Leadern. Der am 1. Juni 1924 in Medford, Missouri geborene Schulfreund von Ralph Burns wirkte ab 1942 unter anderem bei Les Brown, Woody Herman, Boyd Raeburn (1944/45) und Buddy Rich (1948). Bei Raeburn, der nach Stan Kenton das wichtigste Orchester des Progressive Jazz leitete, hatte McKusick die Möglichkeit, sich auch als moderner Komponist zu profilieren. Anschließend war er bei Claude Thornhill, einer Brutstätte des Cool Jazz, als Klarinettist 1948–49 Nachfolger von Lee Konitz, der zusammen mit Charlie Parker und Lester Young den nachhaltigsten Einfluss auf ihn ausüben sollte. 1950 begann eine immer wieder erneuerte Zusammenarbeit mit dem Vibraphonisten Terry Gibbs.

Hal McKusick

Hal McKusick

Die 50er-Jahre sind die einzige Zeit seines Lebens, in der Hal McKusick etwas im Scheinwerferlicht stand. Doch zeitlebens, auch damals, sollte er im Schatten der vielen anderen großen Altisten jener Tage, allen voran Lee Konitz stehen. Nur von 1955 bis 1958 spielte McKusick Alben als Leader ein, die ihn als einen der begabtesten Altsaxophon-Solisten der coolen Parkernachfolge zeigen. Dabei beschritt er einen Mittelweg zwischen ausgesprochenen Cool Jazzern wie Konitz und Paul Desmond und coolen Boppern à la Gigi Gryce. Wie dieser bildete McKusick mit seinem feinnervigen Altspiel und ebenmäßigen Linien in den 50ern oft eine ideale Ergänzung zu Art Farmers lyrischer Trompete, zum Beispiel auf „Hal McKusick Quintet“. Neben seinem Hauptinstrument Altsaxophon spielte Hal Klarinette, Tenor, Flöte (sein Lehrer war James Politis von der Metropolitan Opera) und hervorragend Bassklarinette – wenige Jahre bevor sich Eric Dolphy des Instrumentes erbarmte, um es fest im Jazz zu etablieren.

1955 leitete McKusick ein locker swingendes Quartett mit Barry Galbraith (g), Milt Hinton (b) und Osie Johnson (d), mit dem er 1956 „Jazz At the Academy“ aufnahm. Angeregt wurde es durch Mulligans pianoloses Quartett. Für die Scheibe „In a Twentieth Century Drawing Room“ erweiterte er es um vier Cellisten: neuartig, aber gemütlich, gefällig. Ganz anders sein für damalige Begriffe fast exzentrisches Album „Jazz Workshop“ (1954), für das er geniale Arrangeure heranzog wie George Russell (McKusick, war einer der ersten regelmäßigen Mitarbeiter des noch unbekannten Sonderlings) und Gil Evans (Ersteinspielung des „Blues vor Pablo“). Dass er diese Alben aufnehmen konnte, verdankt er der Tatsache, dass RCA Victor so gut an Elvis Presley verdiente, dass es einen Teil des Geldes in ungewöhnlichen Jazz investierte.

Als Sideman hatte McKusick das „Pech“ im Saxophonsatz unzähliger Orchester (Elliot Lawrence, Chico O‘Farrill, Med Flory, Larry Sonn, Billy VerPlanck) unterzugehen oder als Sideman längst vergessener Kollegen zu mitzuwirken. Und wenn er in einer Begleitband von Giganten wie Coleman Hawkins oder Charlie Parker saß, kam es Produzenten nicht in den Sinn, auch ihm ein Solo zu gönnen.

Faszinierend an McKusick ist seine enorme Vielseitigkeit; da finden sich Aufnahmen mit konventionellen Tanzbands ebenso wie Experimente mit ungewöhnlichen Taktarten und Kontrapunkt, Aufnahmen an der Ostküste mit typischen West Coast-Sound („Manhattan Jazz Septette“) und Combo-Bop („Triple Exposure“): Auf Russells eigenem Workshop-Album überzeugt Hal als geistreicher Fortschrittler; 1957, als der 2011 verstorbene französische Jazz-Kritiker André Hodeir sich als Komponist mit seinen „Essais“ in Third Stream versuchte, war er mit von der Partie; bei Nat Pierces traditioneller Kansas-City-orientierter Gruppe andererseits konnte sich McKusick 1956 ganz auf sein Prez-Erbe verlassen, um stellenweise wie Lester Young von 33 auf 45 Umdrehungen geschaltet zu klingen.

„Cross Section: Saxes“ (mit dem der Gruppe Supersax Jahrzehnte vorwegnehmenden Now’s The Time) stammt aus dem Jahr 1958 ist doch sein letztes Album unter eigenem Namen. Dabei hat er erst am 10. April 2012 in Sag Harbor, New York, für immer seine Instrumente aus der Hand gelegt – als bis vor Kurzem noch aktiver Musiker. Allein die Tatsache, dass für dieses Album so verschiedene wichtige Arrangeure wie Jimmie Giuffre, George Handy, Ernie Wilkins und George Russell Ambitioniertes auf den Leib schrieben, sollte neugierig machen. 1958 wurde McKusick Mitglied des CBS-Orchesters und arbeitete für Funk und Fernsehen, schrieb Werbejingles und verschwand im neuen Jahrzehnt in der Anonymität. Aus den Jahren 1959 bis 1961 gibt es schon weniger McKusick-Aufnahmen – auf „Lee Konitz meets Jimmie Giuffre“ wird ihm ein kurzes Solo zugestanden – doch dann werden seine Beiträge immer spärlicher und die Diskographie ab Mitte der 60er-Jahre sieht wie ein endgültiger Abschied vom Jazz aus. Warum? Noch in den 90er-Jahren, bevor man im Internet fast jeden ausfindig machen konnte, musste man Hal McKusick für einen Toten halten, dessen Sterbedatum nie in die Jazzlexika aufgenommen wurde. Es sei denn, man konnte jemanden wie Lee Konitz fragen, der mir einmal erzählte: „Hal lebt auf Long Island und ist wohlauf. Er macht klassische amerikanische Möbel. Er fliegt ein Flugzeug, machte viele Dinge. Er ist gesund und spielt noch. Er gibt er noch Konzerte auf Long Island, unter anderem mit Don Friedman. Ich habe ihn vor zwei Jahren bei einem Brunch getroffen. Er war ein feiner Musiker, ein Studiomusiker, der auch gerne Jazz spielt. Aber er war kein besonderer Improvisator.“

Auch wenn Konitz seinen Schüler da wohl unterschätzt, hat es Hal McKusick den anderen zu leicht gemacht, ihn zu übersehen. Die meiste Zeit seines Lebens war der spätere Schreiner, Berufsfotograf und Pilot auf Nebenschauplätzen des Jazz oder gar nicht musikalisch tätig. Sein Spiel war auch nicht gerade ein Muster an Biss und Blues. Und wenn schon; wer bei seiner Suche auf Pilze fixiert ist, übersieht Himbeeren. Hal McKusicks hochmelodische, formvollendete Improvisationen schienen von einem Menschen zu kommen, dessen Naturell Ausgewogenheit und Überlegtheit mehr entsprechen als Leidenschaft und Rausch. Er war ein apollinischer Altist im weitgehend dionysischen Jazz.

Marcus A. Woelfle

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