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Jazzzeitung

2009/05  ::: seite 13-14

rezensionen

 

Inhalt 2009/05

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Farewell: Dieter Seelow


TITEL -
Von der Rückkehr des Stils
Wie die Mode in den Jazz ein-, aus- und wieder einzog


DOSSIER
- St. Lucia und Ungarn

Mit der Wende war alles möglich
Jazz in Ungarn – ein besonderes Erlebnis

Schirmherrschaft der Pietons
18. Jazzfestival auf St. Lucia – ein Rückblick

Berichte
Keith Jarrett in der Berliner Philharmonie // 20. Jazzfest München // Jazzorchester Regensburg mit Gaststar Efrat Alony // 33. Leipziger Jazztage // Loft Music und Gasteig GmbH starten neue Jazzreihe // 30. Jazzfestival Saalfelden


Portraits

German Jazz Trophy 2009 für Carla Bley // NU-Jazz-Reihe von ACT // Jamie Cullum // „Magnus Fra Gaarden“ // ETNA // Jazzpianist Martin Sasse // Randi Tytingvåg // Tiny Tribe


Jazz heute und Education
BMW Welt Jazz Award 2010 – ein Interview mit Frank-Peter Arndt // Martin Pfleiderer lehrt in Weimar Geschichte des Jazz und der populären Musik // Abgehört: Cannonball Adderleys Solo über „Straight, No Chaser“

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

 

CDs

Chris Jarrett‘s Four Free
Wax Cabinet

Edition Collage 540-2, GLM

Wie in einem optischen so ist man auch in einem akustischen „Wax Cabinet“ mit manchmal freundlichen oder erschreckenden Phänomenen konfrontiert. Nur dass, statt Plastilin, in der Musik das Klangarrangement auf die Wahrnehmung wirkt.
Stilistisch bedienen sich „Four Free” um den Pianisten Chris Jarrett bei einem Mix aus Postbebop, Rockjazz und osteuropäischer Folklore. Die kompakte Impulsivität des Quartetts wird gleich mit „L’homme de fer” (Mann aus Eisen) vorgestellt. Bizzar kontrastiert ein grelles Riff und Kicks aus einem Ostinato sein akustisches Klavier mit der Elektro-Gitarre von Adrien Dennefeld. Garstige Electronis tasten sich „Inside the Bunker” durch rhythmisch unbestimmte Dunkelheit voran, sodass man froh ist, im frechen Balkanblues der „White Nights” wieder swingen zu können.
Dann ist man im „Wax Cabinet”, wo flackernde Geräuschspots und perkussive „Wood and String” (durch direkt angeschlagene Klaviersaiten) gruselige Empfindungen erzeugen.
Doch diese Episoden sind peripher, dominant bleiben von Pascal Gully präzise getrommelte ungerade Metren im „Flunching” und der „Engführung”, wo Chris Jarrett frappierende Temopovirtuosität zeigt, oder „The Simmer”, einer sanften Barkarole. Auch Jérôme Fohrer kann sich gelegentlich durch ein lyrisches Bass-Solo profilieren, etwa beim impressionistischen „Friand Poulet”, sodass dieses prächtige Album insgesamt in gelungener Gleichberechtigung von „Four Free” erscheint.
Hans-Dieter Grünefeld

Rolf Kühn & Tri-O feat. Matthias Schriefl: Close Up
Jazzwerkstatt JW 089

Er war der erste deutsche Jazzer, der den längerfristigen Sprung über den großen Teich wagte. (Die erste war und vor ihm, worauf er selbst in dem biographischen Interview-Band „Clarinet Bird“ von Maxi Sickert verweist, Jutta Hipp.) Rolf Kühn hat die Musik von Kindheit an geliebt und gelebt. Immer schon hat er Grenzen und Mauern erlebt und überwinden können. Als Kind einer jüdischen Mutter und eines „arischen“ Vaters in Leipzig aufgewachsen fand er während der Nazizeit Trost und – zumindest innere – Befreiung bei der Klarinette, der „Geliebten seines Lebens“, als junger Mann wagte er den Sprung von Ost nach West, später bis über den großen Teich, dann auch wieder zurück, gereift vom „Clarinet New Star“ des Down Beat über Engagements u.a. bei Benny Goodman und im Orchester von Tommy Dorsey zum Leiter des NDR-Fernsehorchesters, Mitglied der „German All Stars“ und Pionier des freien Spiels der Kräfte, welch letztere u.a. auf etlichen Einspielungen für MPS dokumentiert sind. Ganz abgesehen von der überaus fruchtbaren Zusammenarbeit mit seinem Bruder Joachim! Am 29. September wurde Rolf Kühn 80 Jahre alt, quicklebendig, neugierig, kreativ wie je. Gemeinsam mit den Jung-Berlinern Ronny Graupe, g, Johannes Fink, b, Christian Lillinger, dr, und dem Special Guest Matthias Schriefl, tp, legt er mit „Close Up“ ein echtes Juwel improvisierter Musik vor, gemischt aus Neugier und Erfahrung, Weisheit der Jahre, generationenübergreifender Offenheit und dem Zauber intuitiver Spontaneität. Ad multos annos!
Tobias Böcker

Jan Garbarek
Dresden In Concert

ECM 2100/01 – 6025 270 9572 (1)

„Dresden“ ist Garbareks erste Live Einspielung unter eigenem Namen und präsentiert sein aktuelles Quartett, aufgenommen 2007 im Alten Schlachthof. Lange haben Fans auf eine neue „Garbarek Quartett“-Aufnahme warten müssen. Seit „Twelve Moons“ sind mittlerweile fast 16 Jahre vergangen, aber das Warten wird entschieden belohnt! Garbarek und sein langjährig vertrauter Pianist/Keyboarder Rainer Brüninghaus haben das Quartett mit Manu Katché an den Drums und dem Brasilianer Yuri Daniel am Bass neu formiert, ohne das Grundkonzept der Gruppe wesentlich zu verändern. Nach wie vor begeistert Garbareks unverkennbar rufendes Saxophon.
Nun liegt der Reiz von Live-Aufnahmen per se in den sich während des Auftritts entwickelnden Soli. Genau dies stellt das Quartett beim Dresdner Konzert eindrucksvoll unter Beweis. Jeder der Musiker nutzt seine Freiräume, die musikalisch gehaltvoll ausgestaltet und mitreißend ge-
spielt werden. Garbarek präsentiert sich in absoluter Höchstform, kommuniziert traumwandlerisch mit Katchés filigran groovendem Drive, während Brüninghaus in perlenden Klängen badet und Daniel mit prägnantem aber durchweg lyrischem Bass aufwartet. Der Mitschnitt umfasst Garbarek Standards wie „Twelve Moons“ oder „Voy Cantando“, gleichzeitig eine beachtliche Anzahl von neuen Stücken wie „Heitor“, „Fugl“ oder „Nu Bein“ auf dem Garbarek erstmals die Seljeflöyt, eine norwegische Obertonflöte, spielt. Was für ein wunderbares Geschenk von Garbarek an seine Fans und ECM zum 40. Geburtstag!
Thomas J. Krebs

Andres Böhmer/Jan Roth
Schwedische Impressionen

AO-NRW 3078

„Schwedische Impressionen sind tönende Aquarelle skandinavischer Landschaften und Wetterauffälligkeiten. Jan Roths vielfarbiges Schlagzeugspiel transformiert die sich aufschaukelnden Miniaturkompositionen von Gitarrist Andres Böhmer. Trolle tanzen in Schleifen, während Hirtengesang in der Ferne verhallt. Ein tonmalerisch-programmatisches Klang-abenteuer.“ Hört sich prima an, was der Pressetext über das neue Album des Duo Andres Böhmer & Jan Roth in Mythen-, Sagen- und Realwelten ausgreifend wortmalt. Im weiteren Verlauf wird es noch unendlich poetischer, üppig bildhaft und – einfach – romantischer. Hier ist jemand eindeutig verliebt. Leider wird nicht klar in wen oder was. Ist der Musiker in das Land mit seinen Erscheinungsformen verliebt oder ist der Autor der Zeilen – Dominique Wand – in die Musik(er) verliebt. Als letzter Ausweg bleibt noch anzunehmen, dass der Werbeschreiber in seine eigene schwärmerische Prosa verliebt ist und hier – nun ja – reichlich dick aufgetragen hat. Es ist schöne Musik, zweifelsohne, es sind nette kleine Stücke und die beiden Musikanten großartige Instrumentalisten, die mit viel Gespür und sicherem Instinkt für dynamische Feinheiten und Klangnuancen diese (Miniaturkompositionen) ausloten. Aber es sind auch furchtbar harmlose Stücke, in ihrer musikalischen Textur und Gestalt so beliebig und damit letztlich nichts sagend wie die perfekt gestylten Bilder von Künstlern, die ein weltumspannendes Möbelhandelsunternehmen von der Stange verkauft. Hier noch eine weitere Kostprobe aus dem Pressetext: „Sonnenstrahlenweich. Schweden ist schön.“
Michael Scheiner

Michael Riessler/Howard Levy/Jean-Louis Matinier:
Silver & Black

Enja 9536-2

Metall- und Rohrblattzungen sind für „Silver & Black“ das Inventar. Nämlich die Bassklarinette von Michael Riessler, Diatonische Harmonica (und Klavier) bei Howard Levy und Jean-Louis Matinier am Akkordeon. Ein ziemlich riskantes Projekt, sind doch die Timbres der Instrumente sehr ähnlich. Gerade beim Aufenthalt im „Coma Berenices” (eine Referenz zur gleichnamigen Galaxie) ist das evident, denn das Haar der ägyptischen Königin Berenike verführt zu wallenden Klang-Verschlingungen. Die sich auch sonst bemerkbar machen, etwa in den Traumszenen der „REM” (Rapid Eyes Movements), wo sich aber aus seufzenden Akkordeon-Akkorden unisono ein Blizzard Balkan-Riff herauslöst. Klangrisiko wird deshalb oft in äußerst virtuosem Hypertempo entspannt, entweder per Akkordeon-Solo in klein gekräuselten, romantischen Arpeggios für „Amischa” oder durch „Louisiana” im Tremolo-Trab der Bassklarinette. Selten gönnt sich das Trio Atempausen, wenn gezupfte Klaviersaiten dem peruanischen König „Vela” etwas Ruhe bringen. Auch die „Seven Steppes” beginnen zwar mit einer Harmonica-Doina, starten dann aber zu einer ausgiebigen Fiesta kollektiver Improvisation durch. Manchmal wird die Neigung zum Geschwindigkeitsrausch allerdings übertrieben, so wenn bei „The Ravinia Merengue” der eigentliche Tanz und die Grazie melodischer Finessen zu schnellen Skalen gepresst werden. Doch solche Details trüben kaum die Freude.
Hans-Dieter Grünefeld

Mari Boine
Sterna Paradisea

Emarcy/Universal

Mari Boine gehört zur Urbevölkerung der Arktis, den Samen. Schon seit 25 Jahren ist sie im Musikgeschäft aktiv; im Laufe der Zeit wurde sie zu einer Integrationsfigur ihres über mehrere Staaten zersplitterten Volkes. Denn die Sängerin verbindet die Folklore der Samen mit zeitgemäßem Pop, Rock und Jazz; zudem macht sie immer wieder die Diskriminierung ihres Volkes zum Thema. Dennoch strahlt Boines neues neuntes Album Optimismus aus. Der Titel, der lateinische Name der Küstenseeschwalbe, deutet symbolträchtig den Aufbruch zu neuen musikalischen Ufern an. Denn dieser Vogel verbringt den Sommer in Lappland und den Winter in Südafrika – und Mari Boine kooperiert erstmals mit Xhosa-Musikern: der Sängerin Lathozi Madosini und der zwölfköpfigen a-cappella-Gruppe Abaqondisi Brothers. Im Kontrast zu diesen exotischen Klängen stehen die elegischen Melodiebögen des norwegischen Trompeters Ole Jørn Myklebust. Mari Boine präsentiert sich hier vor allem als Geschichtenerzählerin. In ihrem suggestiven Song „Lihkahusat“ (Entranced) erinnert sie sich an die kollektive Trance bei den Laestadianisten; ihre Eltern gehörten dieser lutherischen Erweckungsbewegung an. Weil sie die samische Volksmusik für moderne Klänge öffnet, wird Mari Boine immer wieder von Folklore-Puristen angefeindet. Dabei offenbaren ihre stilistischen Ausflüge gerade, welches Potenzial in der Konfrontation von alt und neu steckt.
Antje Rößler

Fanfare Ciocarlia
Live

Asphalt Tango Records 2309

Gypsy Power pur! Was Fanfare Ciocarlia an Spiellust und -laune auf die Bühne bringen, kann nur als phänomenal bezeichnet werden. Die Gypsy Brass Band aus Rumänien zeigt, wie unverkrampft Musik aus reiner Lebensfreude bestehen kann. Zehn Blechbläser, Percussion und große Trommel, alles, was das Herz begehren mag an mitreißend temporeicher Blasmusik! Wo auch immer sie auftreten: Die zwölf wackeren Kämpen des Großgebläses locken ihr Publikum aus jeglicher Reserve, einfach deshalb, weil sie ohne Netz und doppelten Boden schlichtweg alles in ihre Musik hineinwerfen, was nur an Lebensenergie zur Verfügung steht. Der einstündige Live-Mitschnitt aus dem Kesselhaus der Kulturbrauerei Berlin – im Doppelpack der reichhaltig-üppigen CD-DVD Kombination auch optisch gehaltvoll in Szene gesetzt – erfreut und ergötzt durch die virtuose Rasanz der Combo aus Zece Prajini, einem Dörfchen im Nordosten Rumäniens, wo – seit Generationen und ganz ohne Notenkunde – in schier halsbrecherischer Manier die musikalischen Fetzen fliegen. Bei jeder Hochzeit möchte man gewesen sein, bei der die Jungs aufgespielt haben vor ihrer internationalen Entdeckung nach der Ära Ceaucescus. Als Extra bietet die DVD u.a. den Film „Iag Bari – Brass on Fire“ von Ralf Marschallek, der beweist, dass im äußersten Osten Rumäniens sich keineswegs Fledermaus und Hase „Gute Nacht“ sagen, sondern schlicht und einfach der Bär tanzt.
Tobias Böcker

Benedikt Jahnel Trio
Modular Concepts

Material Records MRE 022-2

Wenn man das Benedikt Jahnel Trio im Konzert hört, könnten einen Zweifel beschleichen, ob das „modulare Konzept“ von Jahnels Kompositionen, seine Fähigkeit über normale Thema-Solo-Strukturen und die Grenzen des einzelnen Songs hinaus weite Bögen zu spannen, die Momentspannung des Live-Musizierens nicht zu wenig mitdenkt. Auf CD funktioniert es dafür umso besser. Organisch wachsen die Bausteine auseinander hervor, lassen den nahtlosen Übergang in ein neues Stück ganz selbstverständlich erscheinen. Das liegt – und das ist eine weitere Kehrseite von Jahnels bemerkenswert eigenständiger Klaviertrio-Vision – freilich auch an einer harmonischen Sprache, die es sich in hymnischem Wohllaut manchmal ein wenig zu leicht macht. Wenn Jahnel sich mal – mit Anklängen an die Minimal Music – in einer entsprechenden Schleife konsequent festbeißt, hat das dann aber wieder eine emotionale Kraft, der man sich nicht entziehen mag. Exemplarisch hierfür ist die Songfolge ab „I should have“, das zunächst das „Interlude C“ auslöst, während die Ballade „Siachen“ im wunderbaren Bass-Solo (Antonio Miguel!) des „Interlude D“ ausschwingt. Owen Howards geradezu gesangliches Schlagwerk (hochgestimmte Bassdrum, genietete Becken) bringt das Ganze zum Schweben und in „Thingvedlir“ sind dann auch Zonen der Auflösung mitkomponiert. Die muss man dann allerdings im Konzert erleben…
Juan Martin Koch

Bebel Gilberto
All in One

Verve/Universal

Seit die brasilianische New Yorkerin Bebel Gilberto im Jahr 2000 mit ihrem ersten Album „Tanto Tempo“ in den Billboards World-Music-Charts in den Top 5 landete, hat sie sich in der Musikszene für einen neuen Bossa-Nova-Sound etabliert. Ihre vorletzte Aufnahme „Momento“ (2007) zeigt sie bereits zunehmend experimentierfreudiger, so dass man ihr jüngstes und bisher vielseitigstes Album durchaus als Highlight ihrer noch jungen Karriere bezeichnen kann. Als Tochter des großen Bossa-Nova-Gitaristen João Gilberto und der Sängerin Miúcha ist sie mit Musik groß geworden. „Ich wachte zu seinen Gitarrenklängen auf und schlief zu ihnen ein.“ Mit ihrer Mutter nahm sie 1977 bis 1979 ein Kinderalbum auf. „Seitdem weiß ich, dass ich auf die Bühne gehöre.“ In der Folge arbeitete sie mit namhaften Künstlern wie Arto Lindsay und David Byrne sowie Produzenten wie Mark Renson und John King.
„ All in One“ ist wie eine Konklusion. In der neuen CD offenbart sie ihr eigenes frisches Liebesglück mit dem Produzenten Didie Cunha, präsentiert im Song „Cancao de Amor“ ihren langjährigen Gitaristen Masa Shimizu, gedenkt mit „Bim Bom“ ihrem Vater und huldigt mit „Chica Chica Boom Chic“ ihrem großen Vorbild Carmen Miranda. Hinzu kommen eigene Arrangements von Stevie Wonders „The Real Thing“ und Bob Marleys „Sun is Shining“. Doch lässt die durchgängige Unbeschwertheit Zwischentöne vermissen.
Anne Kotzan

Absolute Ensemble
Absolute Zawinul

Intuition INT 3456 2/Sunny Moon

„Sultan“ geht ab wie die berühmte Post – und sprengt damit uralte Klischees von breitärschigen Herrschern, die auf kostbaren Kissen hocken und gemütlich ihr Reich regieren. Vorgefertigte Raster hat Joe Zawinul zeitlebens vermieden und sich immer neu orientiert, auf Neues eingelassen und ausprobiert. Seine letzte Studioaufnahme hat der vor zwei Jahren verstorbene Keyboarder und Komponist mit dem genreunabhängigen Kammerensemble „Absolute Ensemble“ des estnischen Dirigenten Kristjan Järvi und Mitgliedern seines „Zawinul Syndicate“ eingespielt. Der, Järvi, musste beim Meister erst hartnäckig intervenieren, bis dieser überzeugt war, mit dem über 30 Jahre jüngeren Leiter des Tonkünstler-Orchesters Wien ein gemeinsames Projekt zu stemmen. Herausgekommen ist ein vibrierendes, schillerndes und lebensfrohes Album weit jenseits von geläufigen Jazz-meets-Klassik-Vorstellungen. Von dieser mal viril brodelnden, mal poetisch zart insistierenden Musik geht ein enormer Sog aus, ein Sog der über den gemeinsamen Horizont von Jazz und E-Musik hinaus-weist. Zwischen Rapvocals, afrikanischen Vibes und Streicherparts, die mit einem höllischen Tempo groovend durch Gehörgänge rasen kommt – bei aller Präzision und strahlender Brillanz – ein Gefühl von heiter unmittelbarer Spontaneität auf, wie man es wohl kaum von einem klassisch geschulten Kammerensemble erwarten würde. Dann künden wieder Flötenklänge und ein perlendes Piano von den paradiesischen Tagen eines „Great Empire“, womit Zawinul Japan musikalisch besingt. „Peace“ schrammt in changierender Unentschiedenheit zwischen Freude und melancholischem Zweifel bisweilen am Kitsch entlang. Einerseits ist das Album Fortsetzung der Arbeit der letzten Jahre vor Zawinuls Tod, andererseits zeigt es eine neue, weitgehend unbekannte Seite dieses Tausendsassa. Man kann Järvi nur zu seiner Hartnäckigkeit beglückwünschen, „Absolute Zawinul“ ist ein bewegendes Vermächtnis.
Michael Scheiner

Dave Douglas
Spirit moves

Greenleaf Music GRE-1010

Eine reine Blechbläserbesetzung (Trompete, Posaune, Horn, Tuba) plus Schlagzeug – das lässt an Lester Bowies Brass Fantasy denken oder an Ray Andersons Pocket Brass Band. Dave Douglas nennt auch Lester Bowie als Inspiration für die-se Musik, die 2008 aufgenommen wurde. Seine Stücke sind sehr ausbalanciert, in den geschriebenen Teilen wie in den Improvisationen und in deren Verhältnis zueinander. Die Bläser, insbesondere der Tubist, spielen diszipliniert – sehr zum Vorteil des Ganzen. Die Stilistik reicht von Modern Bop („Fats“ – gemeint ist Fats Navarro) und New Orleans R&B („Mister Pitiful“) über Ballade („Rava“ – Enrico Rava gewidmet) und Gospel („Great Awakening“) bis zu einem wunderschönen langsamen 16-taktigen Blues im ¾-Takt („I´m so lonesome I could cry“ – das Thema ist von Hank Williams). Schlagzeuger Nasheet Waits hält die Gruppe sehr gut zusammen, die im Juli in München spielte und der wir ein langes Bestehen wünschen. Diese CD muss man oft hören – jedes Mal entdeckt man neue Feinheiten.
Joe Viera

Mulo Francel und Nicole Heartseeker
Angel Affair

GLM/FM 144

Eine sonst eher ungewöhnliche Duo-Konstellation beweist hohe Kunst auf sinnlichem Terrain: Die Organistin Nicole Heartseeker, die ihre musikalische Heimat in der klassischen Welt Johann Sebastian Bachs und in der Orgelkunst Max Regers hat, lässt sich gekonnt auf das Experiment mit dem Saxophonisten Mulo Francel ein, der mit dem Quartett Quadro Nuevo weltweit erfolgreich ist.
Von Beginn an glänzt sie mit weiblicher Dominanz. Einer solchen aber, die sich vor allem durch Feinfühligkeit und Finesse ausdrückt. Langsam, geduldig und voller zurückhaltender Zärtlichkeit schleicht sich Francels Saxophon heran, umgarnt zielstrebig das weite Klangfeld der Orgel. Bis sich beide Instrumente auf Augenhöhe begegnen und im harmonischen Einklang wie federleicht fliegend durch eine facettenreiche Musikwolke bewegen: Da geht es von „Lisboa“ auf eine von Francel selbst komponierte „Reise nach Batumi“ bis hin zum „Moonlight in Vermont“. Dazwischen wiegt sich der Saxophonist mit der Organistin im sinnlichen „Magnétique Tango“und gemeinsam besuchen sie „Joshua“ und den „Nature Boy“.
Leichtfüßig und elegant übernimmt Heartseeker seine Themen, antwortet gewitzt und selbstbewusst auf die verschiedenen Charaktere der Stücke und behält sich dabei noch immer genug Platz für lebendige Improvisationen. Das Spiel der beiden ist stets von zurückhaltender Anmutung, doch im Kern von sinnlicher Energie genährt. Eine gehaltvolle Novität.
Uta Leidenberger

Thorsten Heitzmann’s Bonefunk
Soulfields

Mons Records MR 874463

Fast schon nostalgisch anmutenden Funk mit dem Flair der besseren Hälfte der Siebziger gibt Bonefunk zu hören mit griffigen Riffs und knalligem Groove, eine Fusion-Band aus Köln, wo der Posaunist Thorsten Heitzmann zu Hause ist, der die Band schon 1999 gründete. Auf dem stets beweglichen, mal mehr Rock-, mal mehr Jazzfunk-kompatibel ausgelegten Groove-Teppich, den Florian Bungardt, dr, und Rainer Wind, b, mit Lust und Tücke knüpfen, und vor dem von Thomas Nordhausen, g, und Xaver Fischer, keyb, fein schraffierten und farbig ausgemalten Hintergrund tummeln sich mit dem „Next Generation“-Trompeter Frederik Köster und Heitzmann selbst zwei quicklebendige Bläser, gleichermaßen offensiv und (schweiß)treibend aktiv in Thema, Satz und Solo. Heitzmann hat sich nach dem Studium der Posaune an der Hochschule für Musik Köln bei Jiggs Whigham, Adrian Mears und Henning Berg die ersten Sporen im Landesjugendjazzorchester NRW und im BuJazzO verdient, Studio-, Musical-, Fernseh- und Festivalerfahrung in reichem Maß gesammelt, und neben fleißiger Arbeit für andere seine eigene Band Bonefunk kontinuierlich zu einem hochkarätigen Energie-Lieferanten aufgebaut. Die „Soulfields“ werden mit Power durchkreuzt, alle neun Kompositionen stammen aus der Band, sieben davon aus Heitzmanns eigener Feder. Die Stücke entfalten Druck und Leuchtkraft und lassen bei aller Eingängigkeit die gebotene Differenzierung keine Sekunde missen. „Eins, zwei, drei“ ist’s fast zu schnell vorbei.
Tobias Böcker

Irina Karamarkovic Band
Songs from Kosovo

GLM/Edition Collage EC 541-2

Seit 1998 war die kosovarische Sängerin Irina Karamarkovic nicht mehr in ihrer Heimat: Bevor die NATO 1999 ihre Heimatstadt Prisitina zu bombardieren begann, floh sie mit ihrer Familie ins österreichische Graz, wo sie ganz von vorne anfangen musste. Mit ihrer neuesten Produktion „Songs from Kosovo“ will sie eine versunkene Welt heraufbeschwören.Lieder, die ihre Mutter und ihr Großvater seit Jahrzenten gesammelt haben, kleidet sie zusammen mit dem Bassisten Wolfram Derschmidt, dem Pianisten Stefan Heckel und ihrem Lebenspartner und Schlagzeuger Viktor Palic in moderne Gewänder. Wer nun deftig-melancholische Folkinterpretationen à la „Fanfare Ciocarlia“ oder „ErsatzMusika“ erwartet, wird enttäuscht, entschädigt wird er aber durch glasklare Jazzarrangements mit orientalischen Anklängen, die aber nur Spielmaterial bleiben und nie ins Folkloristisch-Rührselige abdriften. Leben tut das Ganze natürlich durch die perfekte und kraftvolle Stimme der Karamarkovic, die eben genau weiß, von was sie singt: Da geht es um verlorene Liebe, im Krieg verloren gegangene Menschen, Einsamkeit in weiter Landschaft und Familien, die auseinander gerissen wurden. Aufgenommen wurde in einem Rutsch innerhalb von zwei Tagen in einem Studio in Maribor, das zeugt wiederum vom Können der Musiker. Ebenso kunstvoll ist das Cover gestaltet, die Fotos der Band passen wunderbar dazu – und trotzdem – manchmal fehlt einem doch dieses winzige Quentchen Balkanromantik, Schwelgen in der Vergangenheit, so seltsam kühl-distanziert bleibt die Umsetzung.
Ursula Gaisa

Thärichens Tentett
Farewell Songs
Traumton 4528

Was ist der vielbeschworene Berliner Sound? Einigen wir uns einfach darauf, dass Berlin mehr und mehr zum kreativen Schmelztiegel vielerlei Impulse, Ideen, Umtriebe wird. Und dass sich das auch in einzelnen Projekten widerspiegelt, etwa in Thärichens Tentett. Dessen viertes Album in zehn Jahren bringt nun „Farewell Songs“. Keine Angst jedoch, trotz der ernsten Thematik – jeder Abschied ist ja wie ein kleiner Tod – müssen die Spreekähne mitnichten Trauer tragen, auch wenn die Stimmung deutlich melancholischer ist als auf den Vorgängeralben. Das mag dann auch an der Reife der mittleren Jahre liegen, schließlich geht Thärichen hart auf die 40 zu, jenes Alter, in dem die Menschen zu grübeln beginnen und ein bisschen lebensschwerer werden. Dem enthoben jedoch ist nicht allein die Stimme Michael Schiefels, die ohne Schräglage gar nicht zu sich selbst zu finden vermag, infolgedessen so abgedreht wie eh und je den vertrackten, komplexen, introspektiv verharrenden, expressiv brodelnden Arrangements der Band die Sahnehäubchen aufsetzt. Das geht von AC-DCs „Up To My Neck in You“ über die dem Tod des Vaters gewidmete dreiteilige „Farewell-Suite“ und Gedichtvertonungen von Dorothy Parkers „On Being a Woman“, Maria A. Slowinskas „This Time“ oder Ronald D. Laings „Unadored” bis zu Thärichens „The Last Day of My Youth“. Wenn das die Midlife-Crisis ist, kein Stress! Für jede Menge Unterhaltung ist gesorgt!
Tobias Böcker

Rafik Schami/Günter Baby Sommer
Abbara

Intakt 140

Was für ein Glücksfall. Zwei der muntersten und aufregendsten Erzähler, Meister ihres Faches, tun sich zusammen und erzählen drauf los. In zwei Sprachen, zwei Formen, mit zwei Zungen, die sich ergänzen, durchdringen, umtanzen, vor- und zurückweichen, zärtlich begleiten oder munter vorneweg springen. Es ist ein herrlicher Dialog, der auf verschiedenen Ebenen stattfindet und mehr als die Summe seiner Teile ist. Die Teile, das sind der syrisch-deutsche Autor Rafik Schami, ein fabelhafter Erzähler, der köstliche, absurde, nachdenkliche und zuckersüße Geschichten aus seinen Büchern rezitiert, und der große Trommler aus dem Elbtal, Günter Baby Sommer, Freejazzpionier und Geschichtenerzähler auf Holz, Metall, Plastik und Fellen. Natürlich ist das kein Jazzalbum, aber die Musik Sommers auf dieser CD geht über eine einfache Begleitung der Texte weit hinaus. Sommer gibt Antworten, ist Partner und Diskutant, das Ganze eine aufregende Wort-Klang-Performance, die unter die Haut geht, das Gemüt in Erregung versetzt. Am deutlichsten wird das bei der Satire „Wie ein Syrer zweimal geboren wird“: Schami beginnt mit einer Geschichte, mit der er seine Heimatstadt Damaskus anhimmelt. Sommer trägt seinen Teil bei mit zauberhaften klanglichen Nuancen und einer abwechslungsreichen perkussiv-klang-(farben-)reichen Musik, die imstande ist süchtig zu machen. Den Zweien sollten man öfter die Chance geben sich gemeinsam zu produzieren – ein Hochgenuss.
Michael Scheiner

Charlie Mariano with Philip Catherine and Jasper van’t Hof:
The Great Concert
,
enja 95322

Ein Vermächtnis der besonderen Art! Weil zwei Eigenschaften besonders deutlich werden, die Charlie Marianos Spiel seit je getragen haben, Eigenschaften, die einen wirklich großen Jazzmusiker ausmachen: Individualität, ein eigener Ton, Persönlichkeit, Erkennbarkeit, eine Stimme, die nicht untergeht im Meer der Eitelkeiten und der Zeit. Und die Begabung zur Partnerschaft, Freundschaft, Kommunikation, Empathie, eine Stimme, die in Dialog tritt, die sich zusammentun kann mit anderen im Ein- und Ausatmen kreativen musikalischen Miteinanders, eine Stimme, die immer in der Lage war und blieb, Impulse aufzunehmen, zu integrieren, sich zu eigen zu machen, zu beantworten und zu gültigem Ausdruck zu bringen, Stimme eines Weltenbürgers ohne Allüren, von sonderem Ernst und intensiver Kraft. Als Ende der 70er Jasper van’t Hofs Jazzrock-Band „Pork Pie“ aufgelöst wurde, blieben die Drei zusammen, formten ohne Bass und Schlagzeug ein Trio leiserer Töne: Jasper van’t Hof, Philip Catherine und eben Charlie Mariano. Um das Jahr 2006 fanden die Drei sich erneut zusammen, vereinten die besten Impulse der gemeinsamen Jahre mit der Reife der Zeit und konzertierten miteinander, am 2. Mai 2008 im Theaterhaus Stuttgart, wo irgendwarum ein Aufnahmegerät zur richtigen Zeit am richtigen Platz war. Was es einfing? Eine Sternstunde zeitloser Schönheit, melodietrunkener Kommunikation, weiser Lebensfreude, leisen Humors, vitaler Frische, magischer Intuition!
Tobias Böcker

Vijay Iyer Trio
Historicity

ACT 9489 – 2

International ist der 1971 mit indischen Wurzeln in Amerika geborene Komponist und Pianist Vijay Iyer längst kein unbeschriebenes Blatt mehr. Seit 1995 veröffentlicht er kontinuierlich und hat sich den Ruf eines ungewöhnlich kreativen wie innovativen Musikers erworben. „Historicity“ ist beachtenswert: nach diversen Aufnahmen unter eigenem Namen ist dies seine erste Klavier-Trio Aufnahme als exklusiver ACT-Künstler. Mit dem Bassisten Stephan Crump und Marcus Gilmore an den Drums versucht Iyer das klassische Klavier-Trio auf seine Art neu zu definieren.
Hervorstechend sind dabei sowohl seine Wurzeln im amerikanischen Jazz, als auch die Bandbreite westlich populärer, sowie nicht-westlicher Musiktradition. Seine Ausdrucksweise ist enorm vielschichtig und verlangt die komplette Aufmerksamkeit des Hörers – also ganz und gar nichts zum Nebenbeihören! Auf Tempo- und Rhythmuswechsel folgen Klangkaskaden, abstrakt konstruierte Sequenzen, gefolgt von versöhnlich vertrauten Klängen, um sofort danach wieder auszubrechen. Ob frühe eigene Kompositionen, Stevie Wonders „Big Brother“ oder Bernsteins „Somewhere“ – Iyer positioniert sich auf „Historicity“ ganz klar als ein Suchender im Kosmos des Jazztrios. Trotz aller Komplexität bleibt seine Musik immer hörbar, gestaltet sich äußerst spannend und energiegeladen ohne geschmäcklerisch daher zu kommen.
Thomas J. Krebs

Gary Peacock/Marc Copland:
Insight

Pirouet Records

Ein halbes Jahrhundert nach „Kind of Blue“ kommt so manche Revolution im Jazz eher sanft daher. Etwa, wenn sich Bassist Gary Peacock und der Pianist Marc Copland eigentlich überhaupt nichts mehr zu beweisen, aber dafür umso mehr zu sagen haben. Wenn es um den symbiotischen Austausch musikalischer Innenenansichten geht. „Insight“ lautet entsprechend der Titel ihres jüngsten Albums.
Hier ziehen die langjährigen Weggefährten neue Eigenkompositionen aus dem Hut und gehen mutig mit Kostbarkeiten der Jazz-Historie auf Tuchfühlung. Wer den langjährigen Keith-Jarret-Bassisten Peacock kennt, erwartet alles und nur keinen schnöden Begleiter auf den tiefen Saiten. Erwartungsgemäß fordert Peacocks Spiel heraus mit seinen weit tragenden Linien und solistischen Einwürfen, die gerne durch Hintertüren kommen. Das schwärzt Hintergründe für oft regelrecht impressionistische Stimmungsbilder im Zusammenwirken mit dem Pianisten Marc Copland. Copland lädt seinen Klavierton manchmal mit regelrecht mystischer Schwere auf. Das alles revolutioniert die Hörerfahrung bei „All Blues“ aus dem berühmtesten Jazz-Album der Musikgeschichte. Es gibt keine Bläsersection wie beim Original von 1959 mehr, doch die hier entstehende aufwühlende Klangwelt, vor allem aber Coplands latent neutönerische Harmonieverläufe scheinen derartige „Verluste“ mehr als wett zu machen.
Stefan Pieper

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