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Jazzzeitung

2008/01  ::: seite 8

jazz heute

 

Inhalt 2008/01

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig


TITEL - Musikerschicksal
Die Geschichte des Jazztrompeters Werner Steinmälzl – Teil 1


DOSSIER
- Musikbücher
Die wilden Zwanziger
Robert Nippoldt und Hans-Jürgen Schaal und ihr opulentes Buch über New York

Jazz-Visionen aus 40 Jahren
Ein Bildband von Siggi Loch

Drei Wünsche frei
Pannonica de Koenigswinter und ihre Labour of Love

Ein kleines Meisterwerk
Der Fotograf Jimmy Katz und seine Musikerporträts


Portraits

Stéphane Grappelli, Sabine Kühlich, Gilad Atzmon, Hyperactive Kid, Soulsängerin Ledisi, Daniel Glatzel

… und mehr im Inhaltsverzeichnis

Massstäbe setzen

Peter Herbolzheimer über BuJazzO und Kulturpolitik

Das Bundesjugendjazzorchester ist fraglos eine der erfolgreichsten Fördermaßnahmen des Deutschen Musikrates. Der Miterfinder und bis 2007 auch der künstlerische Leiter ist eine der wenigen Persönlichkeiten des deutschen Jazz, die international wahr genommen werden: der Bassposaunist, Arrangeur und Bandleader Peter Herbolzheimer. Erst im Oktober 2007 wurde Peter Herbolzheimer die Ehrenmitgliedschaft des Deutschen Musikrates verliehen. Präsident Martin Maria Krüger würdigte die Leistungen Peter Herbolzheimers zur Förderung des jungen Jazznachwuchses und im besonderen seine herausragenden Leistungen und Erfolge als künstlerischer Leiter, Dirigent, Komponist und Arrangeur des Bundesjazzorchesters von der Gründung 1988 bis zum Jahre 2006. Gemeinsam wird man im Jahre 2008 das 20-jährige Bestehen dieses in der Welt einmaligen Orchesterprojektes begehen. Andreas Kolb, Chefredakteur der Jazzzeitung, traf sich mit dem Bandleader zum Gespräch.

jazzzeitung: Wie sind Sie als Musiker an den Deutschen Musikrat gekommen? Wie kam es zur ersten Begegnung?
Herbolzheimer: Wie die Jungfrau zum Kind. Ich wusste gar nicht, dass es einen Musikrat gibt. Nächstes Jahr vor 20 Jahren hat Dr. Krings, Abteilungsleiter Musik Hörfunk beim WDR, mich gefragt, ob ich denn nicht Interesse hätte, dieses Bundesjugendjazzorchester zu leiten im Namen des Musikrats. Damals gab es schon das Jugendsinfonieorchester. Ich habe sofort ja gesagt, denn zu meiner Zeit gab es überhaupt nichts dergleichen. Es gab kein Notenmaterial, es gab keinen richtigen Unterricht. Man hat sich ziemlich viel erkämpfen müssen.

Peter Herbolzheimer. Foto: Tim Krieger

Bild vergrößernPeter Herbolzheimer. Foto: Tim Krieger

jazzzeitung: Heutzutage gibt es keinen jungen Musiker, der sich mit Platte oder Konzert in der Redaktion der jazzzeitung meldet, der nicht im BuJazzo mal mitgespielt hat.
Herbolzheimer: Ja, das stimmt. Alle von Roger Cicero bis Till Brönner waren im BuJazzo.

jazzzeitung: Der Name Peter Herbolzheimer steht als Synonym für den Erfolg im Jazz. Jazzmusiker haben es aber nach wie vor vielleicht ein bisschen schwerer als klassische Musiker. Jazz zu machen, ist für viele nach wie vor eine Art Luxus. Das Geld kommt über Film und Fernsehen rein. Was ist denn da nicht in Ordnung?
Herbolzheimer: Jazz ist im Bereich der Kunst angesiedelt, da ist der materielle Erfolg eine äußerste Seltenheit. Da müssen verschiedene Sachen zusammentreffen, die sich außerhalb des Vorhersehbaren ereignen. Das ist aber in der Klassik ähnlich. Man muss ein gewisses Charisma haben, man muss im richtigen Augenblick auftreten. Das haben ganz wenige Leute in der Neuzeit im Jazz gehabt. Im Moment kann man sagen, ist Till Brönner ein gutes Beispiel.

jazzzeitung: In Mannheim gibt es die Popakademie. Sie hat das ausgesprochene Ziel, kommerziell erfolgreiche Musiker zu produzieren. Bisher hat das noch nicht funktioniert. Warum?
Herbolzheimer: Das wird auch nicht funktionieren. Die Popakademie ist für mich eine Seifenblase. In Mannheim gibt es eine gut funktionierende Musikhochschule, die sehr gut ihre Leute betreut. Die Popakademie dagegen nimmt Leute an, die unter dem Niveau einer Hochschule spielen. Die haben sehr viel Gelder gehabt am Anfang, deswegen hat es viel Resonanz gefunden. Allmählich zieht sich die Industrie zurück, mal schauen, was daraus wird.

jazzzeitung: Auch wenn Jazz – insbesondere durch Ihre Arbeit – eine anerkannte Musik geworden ist. Nicht jeder junge BuJazzo-Instrumentalist kann ein Till Brönner werden. Der Arbeitsmarkt ist begrenzt.
Herbolzheimer: Ins BuJazzo ließen wir wirklich nur die Besten durch. Ich habe von Anfang an gesagt, ich möchte ein Ziel umsetzen, dass jeder Musiker, der im BuJazzo war, jederzeit ein Topjob verrichten kann. Das ist mir auch gelungen. In diesen ganzen 20 Jahren kann ich mich an zwei oder drei Musiker erinnern, wo ich gesagt habe, Junge, das hat keinen Sinn. Und das war meistens nicht spielerischer Eigenschaften, sonder die haben den falschen Zielen nachgejagt.

jazzzeitung: Das BuJazzo war bisher stark an Ihre künstlerische Persönlichkeit gebunden. Jetzt hat der Musikrat ein Modell mit wechselnden künstlerischen Leitern eingeführt. Alles hervorragende Musiker, aber nicht über den engeren Kreis der Kenner hinaus wirklich bekannt. Braucht das BuJazzo in Zukunft wieder einen Star des Jazz, einen populären Bandleader?
Herbolzheimer: Unbedingt braucht es so jemand. Wechselnde Leitungen halte ich für sehr fragwürdig, denn die Leute, die jemanden etwa für einen Auftritt engagieren, wollen genau wissen, wer der Bandleader ist und was er macht.

jazzzeitung: Für einen Künstler gibt es kein Pensionsalter. Was für Projekte machen Sie zur Zeit?
Herbolzheimer: Ich bin Künstlerischer Leiter der Europäischen Jazzakademie und leite seit diesem Jahr die Grey Hair-Convention, eine Big Band für Erwachsene. Fangen wir chronologisch mit der Jugend an. Die Europäische Jazzakademie ist eine Jugendband, die im Augenblick noch in erster Linie deutsche Musiker und Sänger beinhaltet, aber ungefähr ein Drittel Anteil an Ausländern hat. Das sind natürlich überall wiederum die Besten. Die Altersstruktur ist ähnlich wie im BuJazzo.

jazzzeitung: Wie alt muss man denn sein, damit man in die Grey Hair-Convention darf? Und was genau macht man da?
Herbolzheimer: Also im Sommer musste man noch 45 sein, beim nächsten Mal ist es egal. Der älteste Teilnehmer der GreyHair-Band war 78, das war Herb Geller. Es sind aber nicht nur Berufsmusiker gefragt, es kann sich jeder melden, der denkt, er will dort mitspielen, der einfach nicht mehr in dieser Masterclass, sprich Jugendband, sich artikulieren kann.

jazzzeitung: Wer unterstützt die Grey Hair Convention?
Herbolzheimer: Diese Big Band wird von Skoda, Yamaha, dem Verband deutscher Musikschulen unterstützt.

jazzzeitung: Peter Herbolzheimer, Bassposaunist und Bigband-Leiter. Wie fing denn alles an?
Herbolzheimer: Ich habe von Anfang an eigentlich Musik gemacht, aber ziemlich spät studiert. Denn ich war von den Eltern aus eigentlich programmiert drauf, Architekt zu werden Studium kann man zu meiner „Ausbildung“ aus heutiger Sicht auch nur mit Vorsicht sagen. Ich hab’s halt gemacht nach den Möglichkeiten, die mir damals zur Verfügung standen. Ich war Gasthörer in Nürnberg am Konservatorium.

jazzzeitung: Zunächst spielten Sie Gitarre…
Herbolzheimer: Genau, aber dann hab ich auch gleich Bassposaune angefangen.

jazzzeitung: Wann genau war der Punkt, als Sie bemerkten: Ich bin Musiker und ich werd den Teufel tun und nicht Architektur studieren?
Herbolzheimer: Das kann ich schlecht sagen. Als ich aus den USA zurückkam, habe ich geheiratet und bei meinem Vater mitgearbeitet. Aber ich machte nebenher andauernd Musik. Irgendwann fand ich das unfair meinem Vater, aber auch mir gegenüber, eigentlich Musik machen zu wollen und in beiden Feldern mehr schlecht als recht zu funktionieren. Ich war damals so um die 25, als ich mich dazu entschloss, nur noch Musik zu machen. Es folgten schwere Jahre, denn ich hatte schon eine Familie: zwei Kinder waren schon da, das dritte war unterwegs. Wir hatten große finanzielle Schwierigkeiten. Das war eine Zeit, die für Musiker bei weitem nicht so war wie heute. Ich bin reihenweise aus Wohnungen rausgeflogen. Einmal, weil ich die Miete oft nicht zahlen konnte, aber auch sehr oft, weil die Nachbarn sich immer beschwert haben, weil ich geübt hatte. Meine Frau, mit der ich heute noch, seit über 50 Jahren verheiratet bin, hat mich aber immer unterstützt. Die hat damals Monatspläne gemacht, wie wir mit dem Geld auskommen. Meine Kinder machen alle Musik als Amateure, der eine macht`s auch beruflich.

jazzzeitung: Wann würden Sie sagen, war Ihr kommerzieller Durchbruch? War’s die Gründung von Rhythm, Combination and Brass? War’s der erste Fernsehauftritt? Wo war der Punkt, wo Sie dann wirklich Erfolg hatten?
Herbolzheimer: Materiellen Erfolg fing ich an zu haben so ab 1972. Da hab ich die Musik für die Eröffnung der Olympiade komponiert. Die Platte wurde sehr schnell im Zuge der Olympiade die meistverkaufte Instrumentalplatte in Deutschland. Ich hatte insgesamt vielleicht so 180.000 D-Mark eingenommen. Wenn ich mich recht entsinne, hieß die „Olympia-Einzug 1972“ oder so ähnlich… Damals hatte ich eben das erste Mal wirklich Geld auf dem Konto. Seitdem wurde ich natürlich auch bekannt, vor allem auch durch „Bios Bahnhof“.

jazzzeitung: Was soll der Musikrat denn in den nächsten 20 Jahren machen, damit es dem Jazz weiterhin gut geht? Was wäre Ihr Wunsch?
Herbolzheimer: Mein Wunsch wär, mindestens so intensiv weiterzumachen wie bisher. Je älter ich werde, umso vehementer kämpfe ich dafür, dass Kultur ein wesentliches Bedürfnis der Menschen ist, das auch umgesetzt werden muss. Dieser Satz „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ hat immer mehr Bedeutung, vor allem heute. Sie erleben diese schlechten Beispiele überall. Es werden Universitäten, Musikhochschulen zusammengelegt in Deutschland, in Holland, in Spanien. Nie mit dem Ziel, etwas für die Studenten zu machen. Sondern immer unter der Prämisse, sparen, wir müssen schlanker werden. Das ist ein großer Unsinn. Es ist ganz wichtig, Kulturpolitik zu betreiben.
Ich habe in Südosteuropa, im ehemaligen Jugoslawien, im Kosovo, überall ein Kulturbewusstsein erlebt, ein Wunsch nach kulturellen Dingen, der ungleich viel ausgeprägter ist als bei uns. Bei uns wird Kultur sehr oft konsumiert. Dort wird sie gemacht. Ich habe im Kosovo dieses Jahr Künstler kennengelernt, die alle arriviert waren im Westen, die in den Kosovo zurückgekommen sind und gesagt haben: „Mein Land braucht mich, ich muss was machen“.
Das ist Kulturbewusstsein und das muss bei uns auch so werden. Die Kunst und Kulturpolitik nicht zu trennen, das ist eben zum Beispiel bei dieser europäischen Big-Band-Geschichte immer im Vordergrund, und ich hoffe, da auch Maßstäbe setzen zu können.


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