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Jazzzeitung

2008/01  ::: seite 5

berichte

 

Inhalt 2008/01

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig


TITEL - Musikerschicksal
Die Geschichte des Jazztrompeters Werner Steinmälzl – Teil 1


DOSSIER
- Musikbücher
Die wilden Zwanziger
Robert Nippoldt und Hans-Jürgen Schaal und ihr opulentes Buch über New York

Jazz-Visionen aus 40 Jahren
Ein Bildband von Siggi Loch

Drei Wünsche frei
Pannonica de Koenigswinter und ihre Labour of Love

Ein kleines Meisterwerk
Der Fotograf Jimmy Katz und seine Musikerporträts


Portraits

Stéphane Grappelli, Sabine Kühlich, Gilad Atzmon, Hyperactive Kid, Soulsängerin Ledisi, Daniel Glatzel

… und mehr im Inhaltsverzeichnis

Tschabi, Tschoro, Tschäss

Beim JazzFest Berlin 2007 ging das das konsequente Konzept auf

Die „Berliner Jazztage“ waren ja zunächst ein Signal von einer Insel nach draußen, quasi eine Antwort des Dankes, kulturell gewendet, an die carepackages aus der Luft: Jazz, das war lange Zeit leider auch im Verständnis des ansonsten als sehr kritisch bekannten Berliner Publikums, beinahe ausschließlich „amerikanische“ Musik. Aber bereits zur Zeit des Vietnamkrieges entwickelte sich gegen diesen naiven Hauruck-Euphorismus Widerstand – in Gestalt eines „Total music meetings“. Joachim Ernst Berendt hatte – verschrien als „Jazzpapst der Republik“ – ja auch diese Tendenz mit befördert, als langjähriger künstlerischer Leiter der Berliner Jazztage, hatte nachgerade Widerstand provoziert in Gestalt einer autonomen, pan-europäisch verstandenen Musikerkooperative namens Free Music Production und deren Protagonisten Alexander von Schlippenbach, Manfred Schoof, Peter Brötzmann, Gunter Hampel und vielen mehr.

Ray Anderson. Foto: Peter E. Rytz

Bild vergrößernRay Anderson. Foto: Peter E. Rytz

Dies als Intro ist unabdingbar wichtig, weil ebenjene Protagonisten gottlob noch immer auftauchen, aufscheinen, aufblitzen. Gunter Hampel erhielt beim JazzFest Berlin 2007 den von der Union deutscher Jazzmusiker verwalteten, nach Albert Mangelsdorff benannten deutschen Jazzpreis in diesem Jahr; Schoof überreichte den Scheck. „European echoes“ des Manfred Schoof Projektes (1969 auf FMP veröffentlicht) ist eines der Motti des Peter Schulze, nicht nur als Projektleiter des JazzFests Berlin für fünf Jahre, sondern auch wesentlich in seiner Arbeit als Inspirator des „German Jazz Meetings“ in Bremen und früher in seiner Eigenschaft als Redakteur für Jazz und Popularmusik bei Radio Bremen.

Dass eine Person in dieser Position umsichtig agieren kann, hat Peter Schulze nachhaltig beweisen können, am radikalsten wohl 2007 mit einem Programm, das kaum bekannte Namen präsentierte – und schon überhaupt keine „Stars“ im landläufigen Sinne. Peter Schulze weiß um die Erfordernis des Faktors „Glamour“; aber wenn es um Musik geht, ist Schulze ganz und gar Anwalt der Emotion, des Ausdrucks, und geht nicht dem trügerischen Glanz der Scheinwerfer auf den Leim.

Das ist schön, denn so konnte ein beinahe 40-köpfiges Ensemble mit Namen „El Gusto“ einen Festivalreigen eröffnen, der das Dogmenscharnier Jazz zwischen E und U ganz schön alt aussehen ließ: Jazz ist immer, wenn ein Saxophon dabei ist, hatte der deutsche Gitarrist Volker Kriegel immer wieder gewitzelt. Ja, diesmal waren auch wieder Saxophone dabei - gleich fünf in der Band des ehrgeizigen Pianisten Florian Ross. Dann: Michael Moore, Didier Malherbe, Sebastien Texier, Ingrid Laubrock und Gebhard Ullmann. All das sind Namen, die man sich merken sollte und die im umtriebigen Gig-Dschungel – meist „for the door“ (gegen Eintrittsentgelt, meist im Verhältnis 60:40) leider untergehen. Gebhard Ullmann konnte sich daher auch die Bemerkung nicht verkneifen, als sein Auftritt stürmisch bejubelt wurde: „Tja, das war leider nicht immer so in Berlin, da kann man nur staunen, danke schön“.

Schulzes konsequente Haltung ist rundum aufgegangen: Beinahe sämtliche Konzerte des Berliner Jazzfestes waren bereits im Voraus ausverkauft. Ray Anderson bot nach schwerer Krebserkrankung im Trio mit Gerry Hemingway und Mark Helias einen atemberaubenden Set, dicht, konzis und luzid, lobte die Atmosphäre in der Stadt und im besonderen bei diesem Festival: „Die Leute sind in einer gewissen Weise gut vorbereitet, das Festival hat eine Geschichte, die Stadt hat eine Geschichte, das spürt man sofort, und das schlägt sich natürlich auch auf das nieder, was man dann am Abend spielen wird.“

„El gusto“ meint vor allem: Geschmack – verwandt mit „sabor“ auf Spanisch und „goût“ und „esprit“ auf Französisch. Spricht „sabor“ vom Wissen um etwas, meint „esprit“ eine Geisteshaltung. Dazu gehört die Entscheidung, ein Ensemble wie „El gusto“, in dem jüdische und muslimische Musiker seit je zusammengearbeitet haben und sich nun nach mehr als 40 Jahren wieder begegnen konnten, ganz selbstverständlich an den Anfang, ein vor Ideenreichtum sprühendes Ensemble des englischen Multitalents Django Bates dringlich als Ausrufezeichen an den Schluss eines Festivals in der Hauptstadt.

Als in Berlin die Mauer errichtet wurde, brach der Wiener Michael Mantler nach New York auf, um dort – gemeinsam mit Bill Dixon, Archie Shepp, Steve Lacy, Cecil Taylor,Carla Bley, Roswell Rudd und etlichen anderen die von Journalisten so betitelte „Oktoberrevolution des Jazz“ auszurufen – 1964 war das, im gleichen Jahr, als die ersten Berliner Jazztage stattfanden – allerdings: Oktoberrevolutionäre wurden vom damaligen künstlerischen Leiter der Berliner Jazztage, Joachim Ernst Berendt, zunächst nicht eingeladen. Jetzt hatte Mantler ein DAAD-Stipendium in Berlin absolviert, und beim JazzFest gab es „Sketches of Berlin“ – so könnte man die sieben „compositions“ benannten Tableaux nennen, auf denen sich Solisten unterschiedlichster Provenienz profilieren können. Ob sie ein ganzes Konzertprogramm zu tragen im Stande sind, darf an dieser Stelle bezweifelt werden.
Der für den erkrankten Roswell Rudd verpflichtete Wahlberliner Niederbayer Gerhard Gschlößl absolvierte einen fulminanten Überraschungscoup. Ebenso den Perkussionisten Pedro Carneiro, der ganz unprätentiös eine Volte nach der anderen schlug, sollte man sich merken.

Nick Mason, Pink-Floyd-Trommler der psychedelisch konfigurierten Popwelt von Anbeginn, hinterließ jedoch Stirnrunzeln und Fragen – aber auch das ist im Rahmen eines solchen Festivals eine Qualität – musste das sein? Und was überhaupt „musste sein“?
Von Chaabi bis Choro – das war zunächst der von Peter Schulze gespannte Bogen – und mittendrin: „Jazz“ – auch das ist einem sympathisch. Nach der Schreibung in Helmut Dietls „Münchner G’schichten“ hieße das dann: Tschabi, Tschoro und Tschäss. Choro übrigens ist die weitgehend instrumentale Musik der Kieze in Rio de Janeiro – urban, tanzbar und voller Improvisation: Paolo Moura, Saxophonist und Klarinettist, ist einer ihrer wichtigsten Figuren – leider in Berlin nicht dabei . Aber nächstes Jahr ist wieder alles offen, alles neu: Peter Schulze hört auf, der Posaunist Nils Landgren kommt. Landgren, der Mann mit der roten Posaune, war ja schon einmal Programmmacher beim Jazzfest Berlin – 2001. Aber auch Landgren ist ein Sympathieträger und ein – in Schweden zumindest – erfahrener Festivalmacher. Es war nach der Zusammenarbeit von 2001 der ausdrückliche Wunsch des Intendanten Joachim Sartorius, einen wie Landgren – nein, eben DEN Landgren – als neuen Programmmacher zu verpflichten – Chefsache also.

Er und der langjährige Produktionsleiter Ihno von Hasselt – Herz und Seele des Betriebs – werden mit dem Beratergremium aus Redakteuren der seit jeher dem Festival verbundenen ARD das nächste Jazzfest Berlin stemmen, gewiss, aber eines werden sie alle: neugieriger sein als bislang auf Entdeckungen. Den Jazz mit anderen Ohren hören. Nur so hat er künftig eine Chance.

Roland HH Biswurm

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