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Jazzzeitung

2004/12-2005/01  ::: seite 4

berichte

 

Inhalt 2004/12-2005/01

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break
no chaser:
An den jungen Kollegen
jäzzle g'macht: Die Stadtwette


TITEL / DOSSIER


Titel: Sein letzter grosser Auftritt
Chet Baker wäre 75 Jahre alt geworden
Dossier. Jugend jazzt


BERICHTE


JazzFest Berlin // Jazz Festival Frankfurt // Leipziger Jazztage // Oktober-Special im Neuburger Birdland


 JAZZ HEUTE


Leben um sich Träume zu erfüllen
Jane Monheit taktiert zwischen Starlet, Antlitz und routinierter Professionalität
Neues Domizil für den Jazz
Jazzclub domicil 35 und darf bald umziehen
DJF. Aufbruch zu neuen Ufern
Neuer Schwung für die Deutsche Jazz Föderation e.V.


 PORTRAIT / INTERVIEW


Der Pianist Klaus Ignatzek // „saxophon-actor” Dietmar Diesner


 PLAY BACK / MEDIEN


Playback.
Arbors Records im Vertrieb von jazz-network.com
CD. CD-Rezensionen 2004/12-2005/01
Bücher. Kenny-Clarke-Biografie bei Hannibal erschienen
Bücher. Neues über Nelson Riddle und Ornette Coleman
Noten. Neue Noten für Keyboarder und Gitarristen
Instrumente. Das Epiphone ES 335 Dot Studio unter der Lupe
Medien. Neu beim BR: Roland Spiegel
Medien. link-tipps


 EDUCATION

Kurse, Fortbildungen etc.


SERVICE


Critics Choice

Service-Pack 2004/12-2005/01 als pdf-Datei (Kalender, Clubadressen, Jazz in Radio & TV (127 kb))

Tiefgang mit Ansage

Das JazzFest Berlin feiert 40. Geburtstag

Das Jubiläums-JazzFest Berlin 2004 hat gerade mit einer Gala angefangen, da bekomme ich Alarm, dass auf der Baustelle meiner neuen Wohnung eine Wasserleitung angebohrt wurde. Ich rase hin, der Installateur braucht einen Zugang zur Hauptleitung, die 71-jährige Hauswartsfrau sucht nach den Schlüsseln, sie bringt uns zu den Anschlüssen, verdreht plötzlich die Augen, kippt um und hört auf zu atmen. Nur weil der Mann mit dem Bohrer auch Wiederbelebungstechniken drauf hat, erlangt sie ihr Bewusstsein zurück. Dafür sitze ich nun zwischen 10.000 Zuschauern vor Jazzmusikern, Scheinwerfern und PA und sehe die ganze Zeit nur eine Sache vor mir: Ein grünes Gesicht, eine Totenmaske.

Halsbrecherische Kombinationen beim großen Finale: Charles Lloyd (re.) mit Zakir Hussein. Foto: Uwe Neumann

Halsbrecherische Kombinationen beim großen Finale: Charles Lloyd (re.) mit Zakir Hussein. Foto: Uwe Neumann

Vielleicht fragen Sie mich, was das jetzt mit dem JazzFest zu tun hat? Ich möchte es so erklären: Jedes Jahr sehe ich das JazzFest durch eine völlig neue Brille. Die Welt um mich herum verändert sich, ich verändere mich. Inmitten all dieses Wirrwarrs, bei allem auf und ab bringt der Jazz mein Boot immer wieder in die Mitte des Stroms, wenn ich energiegeladenen Musikern zuschaue, die risikobereit Plattitüden überwinden, neue Anknüpfungspunkte erzeugen und diese mit Verve austauschen. Aber obwohl der Jazz theoretisch jede Menge zwanglosen, unkontrollierten Raum anbietet, ist eine Ausgabe des JazzFest für mich immer nur so interessant, wie es Akteure findet, die aus der Theorie zeitgemäße Praxis entwickeln. Wie viele Künstler und Ensembles sind 2004 geistesgegenwärtig genug, wer lässt mich aufhorchen?

Den ersten Kick gibt mir Toots Thielemanns, der in voller Panoramabreite – die zum 40. Jahrgang extra angemietete Berliner Philharmonie bietet genug Platz – durch die Mundharmonika seufzt. „Ausgerechnet Swing“, wird mir am nächsten Tag von genervten Chefkritikern entgegen gehalten. Ich lächele, denn ich empfinde die Klangkombination mit Richard Gallianos Akkordeon als ein spontanes, berauschendes Klangerlebnis. Vor meinen Augen verbinden sich unzählige sonnige, feminine, positive Echos zu einem liebevollem Tanz. Zwischen Jubiläumsgedröhne und dem Sperrfeuer des Feuilletons stelle ich fest: „Liebe ist...“ schon mal ein gewaltig guter Anfang.

Beim Betreten der Universität der Künste spüre ich, dass der Koffer mit den unsortierten Erwartungen bereits wie durch Zauberhand in irgendeiner Ecke angelangt ist. Bevor sich aber die Brille mit der Toten auf meine Nase senkt, fangen die holländischen Senegalesen Serigne C.M. Gueye und Mola Sylla im Ensemble mit Ernst Reijsegers Système D an zu trommeln. Die beiden Jungs sind wirklich deep. Ich atme mit den Trommeln und lasse los.

Lieben und loslassen, was für eine kosmisch-jazzige Verbindung! Kein Wunder, dass mir just jetzt jemand den Strom abstellt. Die Babysitterin kriegt Fieber und ich muss die Band meiner Frau wegen des Babys auf Tour begleiten. Schluss mit Berlin, willkommen beim Jazzfestival Würzburg. Seltsam, nicht wahr? Auch hier ausverkauftes Haus, natürlich nicht 10.000 Leute wie in Berlin. Dafür kommen drei der vier Bands aus der Hauptstadt, irgendwie absurd. Ich schalte mit Wehmut die Live-Übertragung aus Berlin im Bayerischen Rundfunk an und tröste mich mit reichlich Frankenbier darüber hinweg, dass ich Aki Takases aberwitzige Fats Waller-Interpretation und die schräge Paarung Huw Warren/June Tabor verpasse. Sonntag Vormittag auf dem Weg zurück zum JazzFest brennen mir die Augen vom Bauschutt und das Hirn vom Alkohol, aber das Herz hüpft vor Aufregung.

In diese Stimmung passt der eben noch erreichte Nachmittagsauftritt des durchgedrehten Briten Billy Jenkins in der neuen Ostberliner Location Kulturbrauerei. Der Mann spielt besessen elektrischen Blues („The new Jazz“), verbreitet schwarzen Humor und verschreckt die Fachkundigen, die beim JazzFest vergeblich nach (ewigem) Aufbruch zu neuen Ufern suchen. Mangelsdorff, Gruntz, Bennink, Breuker, Namyslowski – große Konzepte von einst. Roseman, Robson, Brückner – etabliertes Handwerk von heute. Darüber hinaus? Ein tolles Publikum, dass den Festivalkurs jenseits der Superstars voll mit trägt. Und: Immer wieder Showtime, was man am künstlerischen Leiter Peter Schulze schätzen muss, obwohl es regelmäßig schief geht. So auch beim Grande Finale, für das Charles Lloyd und Denys Baptiste Tiefgang und Statement ankündigen. Musikalisch lösen sie ihre Versprechungen ein, aber die Kombination von Orientteppichen, Umhängen und 90 Minuten Folterszenen auf Großbildleinwand pendelt halsbrecherisch zwischen Nippes und „Michael Moore-Schüler-AG“ (Die Welt). Ein Glück fallen mir vor Müdigkeit die Augen zu und ich fokussiere mich ganz auf das Zusammenspiel aufregender Musiker wie Zakir Hussain, Eric Harland oder Omar Puente.

Nun, die Veranstalter dürfen sich nicht beschweren, denn jede Laudatio und selbst der Jubiläumsband „40 Jahre JazzFest Berlin 1964-2004“ (Bestellung direkt über die Berliner Festspiele) prahlt mit Jean Cocteau: „Nichts ist intensiv genug es sei denn vielleicht, es ist Jazz...“ Für jeden Intendant der Welt muss solch ein Zitat inhaltlich zur Tenniswand werden.

Al Weckert

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