Anzeige

Startseite der Jazzzeitung

Inhaltsverzeichnis Jazzzeitung 11/2000

2000/11

Anzeige

Startseite der JazzzeitungZum Archiv der Jazzzeitung (Datenbanken und pdf)Zur Rezensionsdatenbank der JazzzeitungZur Link-Datenbank der JazzzeitungClubs & Initiativen Die Jazzzeitung abonnierenWie kann ich Kontakt zur Jazzzeitung aufnehmen

Story

Seite 8

Koordinaten der Jazzgeschichte

Das Vienna Art Orchestra im Münchner Volkstheater

Er beruft sich auf Gustav Mahler: „Tradition heißt nicht Anbeten von Asche, sondern Weiterreichen des Feuers“. Nach diesem Motto hat sich der Komponist und Arrangeur Mathias Rüegg diesmal ein besonders ehrgeiziges Ziel gesteckt. Mit seinem Vienna Art Orchestra will er die ganze Jazzgeschichte an einem einzigen Big-Band-Abend aufblühen lassen. „A travel through the Jazz Century – Songs and other adventures“ heißt sein neues Programm, das vom angenommenen Jazz-Geburtsjahr 1900 bis zum Jahr 2000 einen großen Bogen spannen soll. In Stichworten ausgedrückt: von Ragtime bis World Music und Jungle.

Am 5. November gastiert das Vienna Art Orchestra damit im Münchner Volkstheater (Brienner Str. 50, Kartentelefon 523 46 55). Und damit wird einem zumindest in München neuen Trend Rechnung getragen: Der Jazz schafft sich ein Forum auf den traditionellen Theaterbühnen. Der Trompeter Johannes Faber scheint mit seiner vor einem knappen Jahr gestarteten Reihe im Staatstheater am Gärtnerplatz (sonst der Platz für deutschsprachige Aufführungen aus dem Opern- und Musical-Repertoire) eine kleine Lawine losgetreten zu haben. Mit höchst unterschiedlichen Stilausprägungen – von Albert Mangelsdorff bis zum Modern String Quartet – ist die Reihe in der ersten Saison so erfolgreich gewesen, dass sie fortgesetzt wird. Auch die Bayerische Staatsoper, bei den Münchner Opernfestspielen 2000 mit Gastspielen von Louis Sclavis und Uri Caine im Nationaltheater ungewöhnlich blue-note-versessen, will ihre Bühne auch in Zukunft immer wieder für Jazzer öffnen. Hinter all dem steckt die (späte, aber richtige) Erkenntnis, dass der Jazz eine enorm theaterwirksame Kunst ist: Eine so stark von Kommunikations-Prozessen geprägte Musik lässt sich um so mehr genießen, je besser man ihr Entstehen auch optisch verfolgen kann. Nicht umsonst waren beim Nürnberger Festival Jazz Ost-West in den Siebziger- und frühen Achtziger-Jahren die später leider aufgegebenen Eröffnungskonzerte im städtischen Schauspielhaus besondere Attraktionen. Dass dabei auch neues, nicht von vornherein jazzbegeistertes Publikum angelockt wird, ist ein weiterer wichtiger Aspekt.

Mathias Rüegg. Foto: S.W. Pakzad

Der in Wien lebende Schweizer Mathias Rüegg (Jahrgang 1952) ist seit den achtziger Jahren spezialisiert auf musikalische Zeitreisen und Grenzgänge. Programmtitel wie „From No Time To Rag Time“ oder „From No Art To Mo-(Z)-Art“ zeigen, in welchen musikgeschichtlichen Koordinaten er sich bewegt. In Foren wie den Donaueschinger Musiktagen bis zum New Jazz Festival in Moers hat Rüegg seine komplexen Kompositionen aufgeführt und dabei klargemacht, wie sinnlich das scheinbar Akademische sein kann.

Nicht mehr ganz so viel wie in den Achtzigern macht das Vienna Art Orchestra heute von sich reden. Doch seine Gershwin-Huldigung 1998 und seine Ellington-Hommage 1999 gehörten zu den jeweils originellsten und spannendsten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Rüegg auch ohne einstige Mitstreiter wie Saxophonist Wolfgang Puschnig und Vokalistin Lauren Newton auf hervorragende Solisten zählen kann – etwa Gitarrist Wolfgang Muthspiel, dessen Bruder Christian (Posaune), Flügelhornist Arkady Shilkloper, Trompeter Thomas Gansch und Sängerin Anna Lauvergnac.

„Roll on Jelly“, eine Verbeugung vor Jelly Roll Morton und anderer Musik aus den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, ist das erste Stück des neuen Programms, weitere heißen „Shadows over The Jazz Age“ (20er-Jahre), „Arriba“ (40er) „The (dis)Advan-tage of silence“ (70er), „Anything comes – Anything goes“ oder „Off Beat Berlin on the Beat“ (80er und 90er) oder „Tomorrow’s forms – Today’s emotions“ (2000). Schon die Titel bereiten Vergnügen und versprechen viel. Gewidmet ist der kompositorische Rundumschlag in Sachen Jazz-Geschichte übrigens dem vor kurzem gestorbenen Dichter Ernst Jandl, dem Musiker das Vienna Art Orchestra in den Achtzigern schon die Gedichtvertonungen „bis Eulen?“ auf der gleichnamigen Langspielplatte zueigneten. Jandl schrieb damals: „Nun ist musik / nicht länger in mir drin / hier ist musik / drin ich enthalten bin“. Das ist wahrscheinlich das schönste Kompliment, das Rüeggs Musiker je erhalten haben.

Roland Spiegel

Konzert
5.11. Münchner Volkstheater

| home | aktuell | archiv | links | rezensionen | abonnement | kontakt | impressum
© alle texte sind urheberrechtlich geschützt / alle rechte vorbehalten / Technik: Martin Hufner