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Inhaltsverzeichnis Jazzzeitung 11/2000

2000/11

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Berichte

Seite 4

Moskauer Magie

Das Moscow Art Trio im Leeren Beutel in Regensburg

Manchmal scheint er grenzen los unzufrieden. Mikhail Alperin kämpft mit dem Flügel. Kneift die Augen zusammen, zieht die Nase hoch, krümmt den Rü-cken und hämmert die repetitiven Akkorde in die Tastatur, als wolle er alle Glückseligkeit dieser Erde aus dem Instrument heraus prügeln. Zusätzlichen Nachdruck verleiht der gebürtige Ukrainer seinem Spiel, indem er mit hängender Unterlippe den schwarzen Kasten ansingt. Im Unisono mit seiner rechten Hand entspannt seine Miene, zeigt sich ein wenig Zufriedenheit unter dem dünnen Bart.

Shilklopers Horn verleiht dem Trio den besonderen Klang.
Foto: Michael Scheiner

Der im norwegischen Oslo lebende Pianist ist Motor und als fast alleiniger Schreiber Kopf des „Moscow Art Trio“. Während seiner Herbsttournee gastierte das eigenwillige Ensemble im Oktober beim Jazzclub Regensburg im Leeren Beutel. Als einer von wenigen Bands aus der früheren Sowjetunion ist es dem Trio mit dem brillanten Hornist Arkady Shilkloper und dem Sänger und Klarinettist Sergey Starostin gelungen im Westen Fuß zu fassen. Mit einer Synthese klassischer und folkloristischer Traditionen mit zeitgenössischen Entwicklungen des Jazz und serieller Musik tritt das Trio in Dialog mit Interpreten und Strömungen in Italien, Frankreich und Spanien, die sich ebenfalls von der Dominanz der afroamerikanischen Jazztradition gelöst haben. Improvisation spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle.

Erst gegen Ende des bejubelten Auftritts erlaubte sich das „Moscow Art Trio“, unterwegs mit der norwegischen Sängerin Eli Kristin Hagen, zunehmend Spontaneität. Über Blues- und Jazzthemen improvisierten die drei Musiker mit humoristischem Gestus, während Hagen schrille Koloraturen darüber intonierte. Das insgesamt sehr spannende und bewegende Konzert geriet dabei in allzu seichtes Fahrwasser und wirkte am Schluss nur noch albern.

Auch wenn das dem Auftritt kaum etwas von seiner manchmal fast magischen Ausstrahlung und tiefen emotionalen Wirkung nahm, hätten Alperin & Co einen solchen Abgang nicht unbedingt nötig. Vielleicht gehört aber der musikalische Klamauk als Pendant notwendigerweise dazu, um eine Balance zur Spiritualität und zum Ernst Alperin’scher Musik zu schaffen. In seinen stark rhythmischen und repetitiven Formen ist der Pianist, der das erste Jazzquartett Moldawiens gegründet hatte, von der reichen Tradition moderner russischer Klassik Igor Strawinskys und vor allem Dimitri Schostakowitsch ebenso beeinflusst, wie von der Tanz- und Volksmusik seiner moldawischen Heimat.

Melodisch herrscht oft ein episch-melancholischer Gestus vor, wobei die Einflüsse von den Samen im Norden Skandinaviens bis zu den buddhistisch geprägten Traditionen Zentralasiens reichen. Ohne Zweifel gehört das „Moscow Art Trio“ heute zu den aufregendsten Ensembles im neuen Jazz.

Die Kombination von Natur- (Starostin) und Kunststimme (Hagen), von Naturinstrumenten wie einfachen Flöten und Kuhhörnern und ausgefallenen Klangfarben wie dem Clavinola und herumgeschleuderten Plastikschläuchen, machten das Konzert im Leeren Beutel zu einem erregenden Erlebnis. Mit seiner Begeisterung schaffte es das Publikum sogar, Misha Alperin ein glückliches Lächeln zu entlocken.

Michael Scheiner

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