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Inhaltsverzeichnis Jazzzeitung 11/2000

2000/11

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Dossier

Seite 25-26

„Not a nine-to-five-job, but a way of life!“

Jazzmusiker in Deutschland – Existenzbedingungen heute
Von Sabine Westerhoff-Schroer

Ist Jazzmusiker eigentlich ein Beruf? Betrachtet man die in den letzten zwanzig Jahren entstandenen Ausbildungsgänge – viele davon mit Diplomabschluss – dann müsste man diese Frage mit ja beantworten. Es wäre freilich blauäugig, wollte man behaupten, dass es vergleichbar viele Arbeitsplätze für hochqualifizierte Jazzmusiker wie für klassische Instrumentalisten gäbe. Jeder Jazzer weiß von vorneherein, dass ein klares Berufsbild nicht existiert, dass Flexibilität und vor allem künstlerische Qualität – und vor allem gutes Selbst-Management – gefragt sind. Dann allerdings stehen viele Wege offen. Sabine Westerhof-Schroer untersuchte im Rahmen ihrer Magisterarbeit „Musikalische Werdegänge von Jazzmusikern“. Die Jazzzeitung bat sie um eine Zusammenfassung.

„Wie schön wäre es, wenn alle Jazzmusiker von den Auftritten in Clubs, bei Konzerten, auf Festivals und vom Verkauf ihrer Platten leben könnten. Dazu die Einnahmen aus der Verwertung von Urheberrechten, ein, zwei Tourneen – ein glückliches Musikerleben könnte das sein.“ Könnte. Denn die Wirklichkeit sieht anders aus, die große Mehrheit kann vom Spielen allein ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten.
Erschwerte Arbeitsbedingungen erlauben es heute kaum einem Jazzmusiker sich ausschließlich der Musik zu widmen. Daraus ergeben sich Fragen: Warum wird jemand Jazzmusiker? Wie leben Jazzmusiker überhaupt unter diesen erschwerten Bedingungen in ihrem Berufsfeld? Können sie damit zufrieden sein?

Antworten geben zehn musikalische Werdegänge von deutschen Jazzmusikern im Alter von 26 bis 50 Jahren und unterschiedlicher Stilistik (Mainstream Jazz bis Avantgarde). Ausführliche, mehrstündige biografische Interviews dienten als Grundlage einer umfangreichen Magisterarbeit am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Münster. Befragt wurden eine Musikerin und neun Musiker. Namen werden hier aus Datenschutzgründen nicht genannt.

Alle befragten Jazzmusiker sind im Jazzgeschäft etabliert, leben also ausschließlich vom Musizieren, Komponieren und Unterrichten, und sie treten national und international in Bands öffentlich auf. Durch teilweise zahlreiche Schallplatten oder CDs sind sie regional, national und international bekannt.

Vier der Musiker leben heute ausschließlich vom Komponieren und Konzertieren, weitere vier unterrichten an Musikhochschulen und geben Privatunterricht oder Workshops, zwei unterrichten an Musikschulen und geben ebenfalls Privatunterricht.

Jazzmusiker? – Hart und kreativ zugleich!

Die wissenschaftliche Literatur beschreibt bis heute kein einheitliches Berufsbild des Jazzmusikers. Denn im Vergleich zu Berufsmusikern im klassischen Bereich, die in der Regel als Orchestermusiker oder Solisten beschäftigt sind und einen mehr oder weniger vorgegebenen geregelten Arbeitsablauf haben, lassen sich Jazzmusiker mit Ausnahme der (Rundfunk)-Bigbands nicht in solche Kategorien einteilen.
Der Berufswunsch entwickelte sich bei den Befragten in einem längeren Prozess der Annäherung an den harten Musikeralltag mittels „learning by doing“. Alter und Ausbildung spielten dabei keine Rolle. Während ein Musiker schon mit 17 Jahren seine Mutter vor vollendete Tatsachen stellt: „Mama, ich bin jetzt Jazzmusiker“, entschieden sich zwei der Befragten erst mit 25 und 30 Jahren für den Beruf Jazzmusiker.

Wichtiger als das Alter ist jedoch der Zugang zur Jazzmusik:
Fünf Musiker entschieden sich im Anschluss an die Schulzeit/Lehre, bis zum 21. Lebensjahr. Die Musik – und vor allem der Jazz – hat von frühester Jugend an bei allen Befragten einen hohen Stellenwert. Sie beschäftigten sich früh, ab dem 11. Lebensjahr, und intensiv mit der Musik. Kennzeichnend ist das Musikhören mit Freunden und ist das Mitwirken bei Konzerten in der Schule.

Die übrigen fünf fassten ihren Entschluss interessanterweise erst nach einer nicht-musikbezogenen Ausbildung (Graphik-Design, Sozialpädagogik, Sport) im Alter zwischen 22 und 35 Jahren. Was waren die Gründe dafür?

Hier spielte der starke Einfluss des Elternhauses eine Rolle. Vor einem eher als unsicher geltenden Berufsziel soll „etwas Ordentliches“ erlernt werden. Interessanterweise wurden gerade diejenigen zu etablierten Jazzmusikern, die im Elternhaus eine ablehnende Haltung gegenüber ihrem Berufwunsch erfuhren. Sie sind heute nicht auf Unterrichten angewiesen, sondern leben vom Komponieren und Musizieren.

Existenzbedingungen

Die Einkommensverhältnisse sind von Musiker zu Musiker sehr unterschiedlich. Allgemeine Aussagen sind kaum möglich, da es keine verlässlichen repräsentativen statistischen Daten darüber gibt. Die vermeintlich aktuellsten Daten liefert noch immer der Künstler-Report von 1975, worin das Einkommen von Rock- und Jazzmusikern zu den niedrigsten und meist unregelmäßigsten zählt. 1983 stellte sich bei einer Umfrage von 156 deutschen Jazzmusikern heraus, dass der Großteil der Musiker 300 DM (60 Prozent) monatlich verdient.

Auch das Urheberrecht hat einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Existenzbedingungen der deutschen Jazzmusiker. Die Pauschalabrechnungen von Veranstaltern und Rundfunkanstalten, die über verschiedene Punktbewertungen bis hin zur unzureichenden Honorierung von Improvisationen gehen, werden als ungünstig bewertet. Anders dagegen in der Schweiz und in Frankreich, wo die Verwertungsgesellschaften seit 1985 keine Trennung zwischen der sogenannten „E“- und „U“-Musik mehr kennen. Ein einziger befragter Jazzmusiker kann von 20 Konzerten im Jahr und vom Komponieren gut leben, da er in der höheren E-Wertung bei der GEMA eingestuft ist.

In vielerlei Hinsicht wird die finanzielle Situation beklagt.

Die Konkurrenz-Situation: „Finanziell bin ich mit dem nicht zufrieden, was ich erreicht habe.“ (34, w) „Und wenn du etabliert bist, dann hat das, was du bietest, auch seinen Preis. [...] Und der [...] ist [...] zu hoch, weil der schon wieder so nah an dem Preis ist, den die richtig großen Stars aus den Staaten haben, dass die Veranstalter sich überlegen, ja dann nehmen wir doch lieber die.“ Die Kompromiss-Situation: „Ich kann nicht davon leben, aber ich tue es.“ (38, m). Für einen weiteren Musiker sind die Jazzmusiker „[...] die am schlechtesten bezahlten Musiker von allen Stilistiken, die es überhaupt gibt.“ Dadurch entsteht ein Missverhältnis, „das dem Jazzmusiker nicht erlaubt, sich doch mehr auf seine wesentliche Arbeit zu konzentrieren, weil er immer seine Brötchen noch woanders verdienen muss und will.“ (43, m). Zum Beispiel auch durch Unterrichten.

Nach den Ausführungen der Jazzer ist der Musikeralltag heute stressiger, die Arbeitsbedingungen sind schlecht und es gibt Ärger mit Veranstaltern. Zudem fehlt eine gute Infrastruktur für Auftrittsmöglichkeiten in Jazzlokalen oder bei Festivals in Deutschland. Dadurch reduzieren sich die Verdienstmöglichkeiten erheblich.

Bleibt festzuhalten: Die Existenzbedingungen für Jazzmusiker haben in den letzten Jahren eine ungünstige Entwicklung genommen. Vier befragte Musiker, die lieber konzertieren würden, sind dazu übergegangen, Unterricht an Musikhochschulen zu geben. Dies ist für sie ausdrücklich ein Kompromiss. Das aktive Musizieren und Komponieren sowie das Spielen in Jamsessions hat bei den Musikern einen deutlich höheren Stellenwert. Darin können sie all ihre Kreativität entfalten. Keiner der Befragten würde derzeit zusätzlich in einem jazzmusikfremden Job arbeiten.

Berufsalltag heute – trotz Einbußen zufrieden

Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass die Jazzmusiker hinsichtlich der Zufriedenheit zwei Ebenen, eine musikalische und eine finanzielle, unterscheiden.

Die musikalische Ebene beschreibt die allgemeine Selbstzufriedenheit der Musiker im Hinblick auf ihr musikalisches Schaffen: Es gibt offensichtlich Momente, in denen sie sehr glücklich sind als Musiker. Sie sind zufrieden, dass sie davon leben können, dass sie hin und wieder mit interessanten Leuten spielen und verschiedene Projekte haben.
Auch gelungene Plattenveröffentlichungen oder Auftritte unterstützen diese Zufriedenheit, meistens war es ein gutes Set, alle haben klasse gespielt. Die Musiker neigen nicht unbedingt zur Selbstzerfleischung.

Der Älteste unter den Befragten beurteilt das Zufriedensein als prozesshafte Entwicklung „langsam wird es mehr“ (50, m) und verbindet dies neben seinem Anspruch auch mit dem Älterwerden: „Die ganzen früheren Jahre waren so eine Suche. Das hat sich dann langsam geändert und im Moment ist es so, dass ich nicht mehr so suchen muss, sondern aus all dem, was da ist, kommt es mehr zu mir.“.

Fazit: Die befragten deutschen Jazzmusiker existieren heute sicher unter erschwerten Bedingungen. Jedoch distanzieren sie sich von dem reinen Fixiertsein auf die finanzielle Situation, denn Geld ist für sie drittrangig. Im Vordergrund steht die Musik und das eigene Musizieren - eben just a way of life.

Sabine Westerhoff-Schroer

Ein ausführlicher Beitrag erschien unter dem Titel: „Musikalische Werdegänge von Jazzmusikern – Eine Untersuchung anhand biographischer Interviews“ im Jahresband des Arbeitskreises für musikpädagogische Forschung (AMPF), Verlag Die Blaue Eule 1997, S. 201–217

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