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Inhaltsverzeichnis Jazzzeitung 11/2000

2000/11

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Portrait

Seite 10

Kitzel auf der Zunge

Matthias Bätzel mischt die Orgel-Zutaten neu auf

Wir kennen der Hammondorganisten Schwäche für leibliche Genüsse. Jack McDuff kitzelt die Sinne auf dem Plattencover von „Down Home Style” mit einem saftigen Steak, Jimmy Smith und Wes Montgomery ließen sich für die Hülle von „The Dynamic Duo” beim Vernichten von Burgern ablichten, Smith selbst überschrieb eine seiner Scheiben gleich mit „Home Cookin“ und Freddie Roach orderte „Mo‘ Greens Please”.

Insofern bewegt sich der Organist Matthias Bätzel direkt auf den Spuren einer guten Tradition, wenn er seine aktuelle CD „Green Dumplings” (JHM/sunny moon) nennt, was so viel bedeutet wie „Grüne Klöße”. Bei diesen Dingern handelt es sich nämlich um eine angeblich köstliche Spezialität aus der thüringischen Heimat Bätzels, die dort in etwa den gleichen Beliebtheitsgrad besitzt wie die weltbekannte Rostbratwurst. Die Verbindung zwischen gutem Essen und dem Sound einer Orgel kommt keineswegs von ungefähr.

Beider Genuss ist eine sinnliche Erfahrung von besonderer Güte. Soulfood eben: warm, würzig, wohlig und unheimlich sättigend. Hinterher geht’s einem grundsätzlich besser.
Bätzels Klöße erzielen genau diesen Effekt, obwohl sie eigentlich kaum mehr nach der klischeebelasteten Rezeptur des 1934 von Laurens Hammond in Chicago entwickelten Instruments mit den 91 elektromagnetisch abgenommenen, synchron angetriebenen Zahnrädern zubereitet werden.

Es ist angerichtet: Matthias Baetzel, den Groove im Visier

Woher Matthias Bätzel seine Ingredienzen nimmt, liegt auf der Hand. 1966 in Weimar geboren und im Schoß einer hochmusikalischen Familie aufgewachsen, studierte er zunächst Geige und Klavier an der dortigen Franz-Liszt-Musikhochschule und entwickelte durch die besondere Situation in der damaligen DDR schnell eine stark ausgeprägte Neugierde für fremdartige kulinarisch-akustische West-Kuriositäten. Nicht nur die Nouvelle Cuisine der Klassik hatte es ihm angetan, sondern vor allem das feurige Junk-Food des Rock. Die Hardrock-Kultband Deep Purple, deren Aufnahmen das DDR-Label „Amiga” lizenziert hatte, wurde für den wissbegierigen Jungen zu einer Art Leibgericht, und einer ihrer Musiker zur eigentlichen Initialzündung seiner Organisten-Laufbahn. Bätzel besorgte sich alles, was er über seine frisch entflammte Leidenschaft kriegen konnte, stieß dabei auf den orgellastigen Blues eines Freddie King, den polnischen Organisten Wojciech Karolak („Ein bis heute sträflich vernachlässigter Gigant!”), dessen französisches Pendant Eddy Louiss sowie Jimmy Smiths Bestseller „Organ Grinder Swing” und entdeckte mit Hilfe einschlägiger Westradio-Sendungen von Michael Naura und Dietrich Schulz-Köhn schließlich langsam den im Osten von Free und Dixieland in die Ecke gedrängten Mainstreamjazz.

Der neue Gaumenkitzel ließ den Jungvisionär fortan nicht mehr los. Noch vor der Wende kaufte er sich für 8.000 Ostmark ein Fender Rhodes-Electricpiano, nach dem Fall der Mauer dann eine digitale Hammond-Suzuki und später eine elektronische Korg BX 3.

Seine ersten Gigs im wiedervereinten Deutschland absolvierte Matthias Bätzel mit dem Altsaxophonisten Fiete Felsch und dem Schlagzeuger Torsten Zwingenberger – als Pianist. Zu jener Zeit, Anfang der 90er, begann gerade die Renaissance der vorübergehend in die Asservatenkammer des Jazz abgeschobenen Orgel. Bätzel brauchte also nur auf eine günstige Gelegenheit zu warten, um aktiv mitzumischen. Die ergab sich 1994 mit der Gründung von „Grooveyard”. In der Münchner „Unterfahrt” lernte er den Schlagzeuger Michael Keul kennen, der wiederum brachte ihn mit dem Gitarristen Michael Arlt zusammen.

„Grooveyard” entwickelte sich nach zwei erfolgreichen CDs und mehreren Tourneen mit fast unvermeidlicher Logik zum Matthias-Bätzel-Trio. Für Arlt kam der Regensburger Gitarrist Helmut Kagerer, einer der versiertesten europäischen Saitenzupfer. „Die Orgel ist für mich das Vehikel für die Musik. Nicht wie bei anderen, wo die Musik nur als Vehikel für die Orgel taugt,” umschreibt Matthias Bätzel mit dezenter Anspielung auf die Konkurrenz im eigenen Lande sein Credo.

Reinhard Köchl

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