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Jazzzeitung

2013/02  ::: seite 10-11

Instrumentalistinnen im frühen Jazz

 

Inhalt 2013/02

Inhaltsverzeichnis

Sternlein STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene /Jazz-ABC: Charlie Ventura no chaser: Europa und der Jazz standards: Giant Steps farewell: Günther KlattLeo von Knobelsdorff

Sternlein TITELSTORY: <Mit Swing in die Zukunft
Das Parov Stelar-Projekt belebt die Clubszene

Sternlein GESCHICHTE -
New York – Kopenhagen – New York
Dextivity: Gedanken zum 90. Geburtstag des Saxophonisten Dexter Gordon (2)

Sternlein DOSSIER: It’s a man’s world
Instrumentalistinnen im frühen Jazz · Von Hans-Jürgen Schaal

Sternlein Berichte
Nachwort zur Ausstellung „ECM – Eine kulturelle Archäologie“ //50. Jazz it!-Konzert in Germering // Max von Mosch Orchestra im Leeren Beutel Regensburg // 8. Festival Women in Jazz // Billy Martin’s Wicked Knee & Mostly Other People Do The Killing beim Salzburger Jazzit

Sternlein Portraits / Jubilee
Efrat Alony// German Jazz Trophy 2013 für Lee Konitz //Youn Sun Nah // Fotograf Guy Le Querrec

Sternlein Jazz heute und Education
Abgehört: Ein singender Trompeter
Chet Bakers Scat-Solo über „Dancing On The Ceiling ...

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

It’s a man’s world

Instrumentalistinnen im frühen Jazz · Von Hans-Jürgen Schaal

Der frühe Jazz war ein wenig wie der Wilde Westen. Raue Männer zeigten ihre Kräfte, forderten einander heraus, schlugen über die Stränge. Ihre Waffe war das Instrument. Frauen, die sich in dieser Welt behaupten wollten, mussten sich dem männlichen Diktat von Lautstärke, Kraft und Aggressivität fügen. Die Chance, eigene Sensibilitäten und Stärken zu entfalten und eine andere Ästhetik des Jazz zu entwickeln, gab es für sie kaum. Dabei fand schon die frühe Bandleaderin Dona Drake (1914–1989): „Frauen haben den besseren Ton, denn sie sind von Natur aus ästhetischer.“

Plattencover

Plattencover

Die eigentliche Aufgabe der Frau im frühen Jazz war klar definiert: Sie hatte zu singen – und zwar vorwiegend den Blues. Todtraurig und klagend. Oder leichtsinnig und ironisch. Da durfte sie Diva sein, durfte sich Skandale erlauben, durfte sich anschmachten lassen, in wechselnde Rollen schlüpfen, Fantasiekostüme tragen, über die Bühne tanzen und dicke Trinkgelder kassieren. Da lagen ihr nicht nur die Männer im Publikum zu Füßen, sondern strampelten sich auch die Jazzmusiker für sie ab. Die besten Solisten wurden engagiert, um Frauen zu begleiten wie diese: Bessie Smith, Mamie Smith, Clara Smith, Ma Rainey, Alberta Hunter, Ethel Waters, Victoria Spivey, Ida Cox, Maxine Sullivan. Diese klassischen „Blues Singers“ konnten eine Plattenfirma retten und sanieren.

Weibliche Instrumentalisten dagegen waren im frühen Jazz eine seltene Ausnahme. Das wundert wenig, wenn man bedenkt, dass professionelle Musikerinnen auch in der europäischen Musikgeschichte bis 1900 fast nicht vorkamen. Zwar haben Frauen seit Jahrtausenden Musikinstrumente gelernt, gespielt und gelehrt, doch die berufliche Konzertausübung war für sie lange Zeit verpönt. Ein männlicher Instrumentalist konnte Frau und Kinder haben und dennoch Karriere machen und auf Tournee gehen. Dass eine Frau auf eine Ehe verzichtet oder ihre Familie im Stich lässt um des Instruments willen, schien dagegen nahezu undenkbar. Felix Mendelssohns ebenbürtig talentierte Schwester Fanny erhielt von ihrem Vater den klaren Bescheid, dass die Musik für sie allenfalls „Zierde“, aber nicht Beruf sein könne. Selbst eine Clara Schumann musste in ihren Ehejahren das Konzertieren ihrem Mann zuliebe einschränken und brachte acht Kinder zur Welt. Als sie Witwe geworden war, gab sie sechs der Kinder aus dem Haus, um ihre Karriere wieder aufzunehmen.

Ein Klavier, ein Klavier!

Auch in den USA blühte im 19. Jahrhundert die private Musikkultur. Nicht nur höhere Bürgertöchter lernten Klavier oder Gitarre für den Hausgebrauch, auch bei den Afroamerikanern waren Klavierstunden für Mädchen üblich. Noch in der Frühzeit des Jazz galt das Klavier als ausgesprochenes Fraueninstrument, so dass mancher junge Mann sich scheute, das Klavierspielen zu lernen. Den Jungs legte man stattdessen schon in der Schule die Blasinstrumente nahe. Ein typischer Fall war die Musikerfamilie Teagarden: Der Vater spielte Trompete, die Mutter Klavier, obwohl sie beide alle gängigen Instrumente beherrschten. Die drei Söhne lernten Trompete, Posaune und Schlagzeug, Tochter Norma aber Violine und Klavier. Gerade in der Frühzeit des Jazz erlernte mancher männliche Pianist sein Handwerkszeug von einer Frau. Die Stride-Pianistin Alberta Simmons unterrichtete James P. Johnson, die Organistin Mazie Mullins lehrte Fats Waller.

Um 1900 besaßen Frauen durch ihre pianistisch geprägte Ausbildung häufig bessere Notenkenntnisse und ein besseres Harmonieverständnis als die Männer. Zwar kam eine offizielle Musikerkarriere für sie oft nicht in Frage, doch im „Halbwelt“-Bereich der Unterhaltung gab es für interessierte Talente durchaus professionelle Möglichkeiten. Schwarze Minstrel-Shows, Tanzbands, Cabarets oder Theater beschäftigten in den USA schon vor dem Ersten Weltkrieg manchen weiblichen Klavierspieler und Arrangeur. Als der „Jazz Craze“ losging, versprach die Showbühne weit bessere Einnahmen als etwa eine Laufbahn in der klassischen Musik. Die Aussicht auf schnelles eigenes Geld lockte damals manche junge Frau gleich nach der Highschool ans Jazzklavier. Lil Hardin verriet, dass ihr der Jazz anfangs „nicht sooo wichtig“ war. Das Geld, das sie bei King Oliver verdiente, konnte sie allerdings gut gebrauchen. Es ging jahrelang nur für „Eiscreme und Kleider“ drauf.

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Lil Hardin

Lil Hardin

Lil Hardin (1898–1971) gehörte zu den bekanntesten der frühen Jazzpianistinnen. Ihren Ruhm verdankte sie allerdings vor allem ihrer Rolle als „Mrs. Louis Armstrong“: Sie war es, die Armstrongs Loslösung von King Oliver beförderte, seine Karriere entschieden vorantrieb und ihm das nötige Selbstbewusstsein dafür vermittelte. Ihren ersten professionellen Job hatte die Fisk-University-Absolventin als „Demo“-Pianistin in einem Musikgeschäft in Chicago. Dort erlebte sie einmal auch Jelly Roll Morton am Piano. Seit diesem Tag war ihr klar, dass es beim „männlichen“ Jazzklavier nicht auf Feinheiten, sondern auf Lautstärke ankommt – damals zumindest: „Danach spielte ich immer so hart ich konnte.“ Bei ihrem ersten Bandjob lernte sie die nächste Lektion: Bläser wissen nichts über Tonarten. Für Louis Armstrong arrangierte sie deshalb die ersten Studioaufnahmen ab 1925, notierte seine neuen Stücke, schrieb die noch fehlenden Nummern für die Plattensessions. Nach der Trennung (1932) leitete sie eigene Bands, darunter bis 1935 ein sehr gutes Orchester mit dem „Ersatz-Louis“ Jonah Jones an der Trompete. Danach wurde sie Hauspianistin bei der Firma Decca, machte viele Platten auch als Sängerin und schrieb unter anderem das Stück „Just For A Thrill“, mit dem Ray Charles später einen Hit hatte. Aber die Musik war nie alles in ihrem Leben: Lil Hardin besaß zwei Universitäts-Diplome, unterrichtete Französisch, wirkte auch als Modedesignerin und Restaurantchefin. Sie starb im gleichen Jahr wie Louis Armstrong – übrigens am Klavier, mitten im Gedenkkonzert für ihren Ex-Mann.

Ebenfalls in Chicago aktiv war Lovie Austin (1887–1972), die in Nashville studiert hatte und ihre professionelle Karriere in Varieté-Shows begann („Vaudeville“). Sie stieg in den 20er-Jahren zur Hauspianistin bei Paramount Records auf und begleitete die Schallplattenaufnahmen großer Blues-Sängerinnen wie Ma Rainey und Ida Cox. Der Song „Down Hearted Blues“, den sie zusammen mit Alberta Hunter schrieb, wurde 1923 der erste große Hit von Bessie Smith und rettete so die damals am Rand des Ruins stehende Firma Columbia. In Lovie Austins eigener Band, den Blues Serenaders, spielten Jazz-Pioniere wie Johnny Dodds, Natty Dominique und Kid Ory. Später war Lovie Austin 20 Jahre lang die musikalische Leiterin eines Show-Theaters. Ihre Souveränität inspirierte viele Kolleginnen. Mary Lou Williams erzählt: „Ich erinnere mich, wie diese großartige Frau im Orchestergraben saß und fünf oder sechs Männer dirigierte, die Beine übereinander geschlagen, eine Zigarette im Mund. Mit der linken Hand leitete sie die Show und mit der rechten schrieb sie Noten für den nächsten Auftritt. Sie war eine fabelhafte Frau und auch ein fabelhafter Musiker. Sie war besser als viele Männer jener Zeit.“

Auch Irene Kitchings (1908–1975) sorgte im Chicago der 20er-Jahre als Jazzpianistin für Aufsehen. Der Banjospieler Ikey Robinson erinnert sich: „Sie war mein Lieblingspianist. Sie hatte den schweren Anschlag wie ein Mann. Sie klang auf dem Piano wie Louis Armstrong, wenn er Trompete spielte.“ Der Saxophonist Budd Johnson gehörte zu ihrer Band, aber auch Paul Quinichette war ein Fan von ihr – und ebenso Al Capone, in dessen Mafia-Club „The Vogue“ sie musikalisch den Ton angab. 1931 heiratete sie jedoch den Klavierkollegen Teddy Wilson und ging mit ihm einige Jahre später nach New York: „Ich hörte auf aufzutreten. Meine Schwiegermutter mochte nicht, dass ich in der Öffentlichkeit arbeite. Teds Karriere war mir wichtiger als meine.“ Als die Ehe dennoch in die Brüche ging, blieb ihr die Freundschaft mit Billie Holiday, durch die Irene Kitchings auch Kontakt zum Songtexter Arthur Herzog bekam. Mit ihm zusammen schrieb sie einige Songs, die Billie Holiday dann aufnahm, darunter das bekannte „Some Other Spring“.

Aus St. Louis, der Stadt des Ragtime, stammte Margery Creath Singleton (1899–1982). Als jüngere Schwester des Lokalmatadors Charlie Creath (Trompete) kam sie früh in Kontakt mit der örtlichen Jazzszene, lernte Ragtime zu spielen und half in den Bands ihres Bruders aus. Gleich nach ihrem Highschool-Abschluss akzeptierte sie einen festen Job bei ihm, allerdings ohne große Begeisterung: Sie fand das angeberische Gehabe der männlichen Jazzmusiker ziemlich abstoßend. Dennoch leitete sie Charlies Band vom Klavier aus und war angeblich die einzige Frau, die damals auf einem Mississippi-Raddampfer spielte (1924). Margery Creath wurde bekannt für ihre erdigen Blues-Chorusse und für „die stärkste linke Hand“ (Doc Randall) in der Stadt. Sie meinte später: „Die besten Pianisten in St. Louis waren alles Frauen“ – doch auf Charlie Creaths Platten durften immer nur Männer spielen. „Marge“ heiratete dann den Drummer ihres Bruders, den Armstrong-Intimus Zutty Singleton, und ging mit ihm nach Chicago, wo sie aufhörte, öffentlich aufzutreten. „Ich hielt es nicht mehr aus, immer mit diesen Männern zusammen zu sein. Ich war glücklich mit Zutty. Ich glaube, wir wären nicht zusammen geblieben, wenn ich weiter gespielt hätte, weil es nur einen Star in der Familie geben kann, und das war Zutty.“ Sie beriet ihren Mann aber in musikalischen Dingen, instruierte seine Pianisten oder half gelegentlich aus. Später in Kalifornien wurde sie zu einer „Mutterfigur“ der dortigen Jazzszene.

Mary Lou Williams

Mary Lou Williams

Die entschlossenste der frühen Pianistinnen war Mary Lou Williams (1910–1981). Ihre Mutter mochte zwar keine Musiklehrer, förderte dafür aber den Umgang ihrer Tochter mit „richtigen“ Musikern. Schon mit sechs Jahren trat Mary Lou als „Wunderkind“ auf, mit elf lernte sie Earl Hines kennen, mit 16 heiratete sie den Jazzsaxophonisten John Williams. Durch ihn bekam sie 1929 erste Piano-Jobs in der Bigband von Andy Kirk, für den sie bis 1942 arbeitete. Konsequent entwickelte sie sich vom Stride-Piano bis zur Modernistin, wurde als die „First Lady“ des Jazzpianos gefeiert und wusste sich in jedem Stil zu behaupten. „Sie spielte diese Männer an die Wand“, meinte Buddy Tate. Mary Lou Williams schrieb Bigband-Charts für Benny Goodman, Duke Ellington oder Dizzy Gillespie, war auch mit Ellingtons Trompeter Shorty Baker verheiratet und förderte als „Mutter des Bebop“ die modernen Jazzmusiker. In ihren späteren Jahren entdeckte sie die Religion und komponierte einige fromme Jazzwerke.

Ina Ray Hutton. Foto: Archiv

Ina Ray Hutton. Foto: Archiv

Und dann gab es da noch die Pianistin Edna Thomas, die bereits 1919 in New Orleans mit Louis Armstrong auftrat. Oder Gertie Wells, die von Duke Ellington bewundert wurde, aber nie aus Washington herauskam. Es gab auch die Pianistin Ida Maples, die in Chicago die „Melody Makers“ leitete. Oder Bertha Gonsoulin, die in King Olivers Band in Kalifornien eine Zeitlang Lil Hardin ersetzte und später beim Dixie-Revival mitmischte. Es gab Cleo Brown und Lottie Hightower, die Boogie-Königinnen von Chicago. Es gab die von Fats Waller und Earl Hines geprägte Betty Roudybush, die in Ina Ray Huttons Frauenband spielte und deren Soli für den Down Beat transkribiert wurden. Oder Mary Colston Kirk, die im Orchester von George Morrison spielte, 1925 den späteren Bandleader Andy Kirk heiratete und auch einmal den jungen Charlie Parker in ihrem Trio beschäftigte. Oder Edythe Turnham, die mit ihren eigenen Bands (Knights of Syncopation, Dixie Aces) durch Kanada und Kalifornien tourte. Auch gab es Doris Peavey, die auf der Hochzeitsreise nach Texas den Jazz und Blues entdeckte, mit ihrem Mann Hollis dann die „Jazz Bandits“ gründete und dort den jungen Gitarristen Eddie Condon förderte. Und es gab natürlich Norma Teagarden, die schon mit 14 professionell Klavier spielte, viele Jahre lang ihre eigenen Bands in Oklahoma und New Mexico leitete und später in den Formationen ihres berühmten Bruders Jack Teagarden am Klavier saß.

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Das größte Lob, das Musikerinnen im frühen Jazz erhoffen konnten, lautete: „Sie spielt wie ein Mann.“ Das hieß: Sie spielt kraftvoll, kämpferisch, herausfordernd und riskant. Es war ein zwiespältiges Lob, denn es bedeutete auch: Sie akzeptiert die Regeln, die die Männer für den Jazz aufgestellt haben. Der frühe Jazz war – in den Worten von Marge Creath Singleton – „a man’s world“. Im Jazz demonstrierten die Musiker ihre Kraft, ihren Mut, ihr Draufgängertum. Nicht nur die Musik, auch der Umgangston, die Lebensführung der Jazzmusiker hatten etwas Aggressives und Kraftmeierisches an sich. Zu diesem Selbstverständnis von Männlichkeit passte es nicht recht, wenn Frauen da mithalten konnten. „Sie mochten mich zuerst nicht, sie wollten keine Frau am Klavier sehen“, berichtet Marge Creath Singleton. Auch Jazzmusiker nämlich wünschten sich Frauen lieber als sanfte, charmante, verständnisvolle, anschmiegsame Wesen, nicht als kraftvoll zupackende, hitzig auftrumpfende Konkurrenten oder Chefs. Eddie Durham erzählt, selbst noch in den Swing-Jahren sei häufig die Meinung geäußert worden: „Es ist nicht angemessen, dass Mädchen so spielen.“ Der Trompeter Doc Cheatham sagte: „Damals akzeptierte man keine weiblichen Musiker.“

Es gab auch Vorbehalte auf Seiten der Instrumentalistinnen. Zu ihrem Verständnis von Emanzipation gehörte ja nicht nur, sich musikalisch ebenso frei zu betätigen wie die Männer, sondern auch, sich von diesen nicht den Lebensstil diktieren zu lassen. Doch wer im Jazz mithalten wollte, hatte die rauen Sitten dieser Männerwelt zu ertragen: das ständige Kräftemessen, den Alkoholkonsum, die durchgemachten Nächte, die lockeren Reden, die sentimentale Kumpelei. Manche Frau wurde davon abgestoßen – oder hatte bald genug davon und kehrte der Jazzkarriere deshalb wieder den Rücken. Andere suchten sich eine Jazz-Oase in der Provinz, fern von der großen Männerkonkurrenz, und begnügten sich mit lokalem Ruhm. Viele Frauen hatten auch keine Lust auf das ständige Reisen, weil es eine feste Beziehung und eine Familiengründung praktisch unmöglich machte. Zwar taten sich Frauen, die aus einer fahrenden Musikerfamilie kamen oder einen Jazzmusiker zum Bruder hatten, mit solchen Dingen oft etwas leichter. Aber in der Praxis kamen für sie dann doch nur Jazzmusiker als Ehemänner in Frage. Und im Zweifelsfall war irgendwann die Karriere des Mannes oder das Kinderkriegen wichtiger als der Jazzberuf der Frau.

selbst ist die Frau

Nicht ohne Grund gab es im frühen Jazz viele reine Frauenbands. Zu den bekanntesten gehörten die Bluebelles, die Eleven Bon John Girls, Babe Egan and Her Hollywood Redheads, Bobbie Grice and Her Fourteen Bricktops, Ina Ray Hutton and Her Melodears, die Dixie Sweethearts, die Harlem Playgirls, die International Sweethearts of Rhythm. Diese Bands waren für die Frauen eine Chance, ihre Musik zu entwickeln und zu spielen, ohne die Aggressivität, die Angeberei und das Konkurrenzdenken der Männer ertragen zu müssen. Nicht zuletzt in der Depressions-Zeit, als Frauenarbeit in Amerika verpönt war, weil sie den Männern angeblich die Jobs „wegnahmen“, lag der Rückzug in eine reine Frauenband nahe.

Die Qualität dieser Bands war oft hoch. Dennoch fühlten sich die Musikerinnen meist mehr bestaunt als akzeptiert, denn an den Anblick weiblicher Jazzbläser gewöhnte sich das amerikanische Publikum schwer. Blasinstrumente und Schlagzeug galten traditionell als Männersache. Frauen, die temperamentvoll auf Blasinstrumenten improvisierten, mussten auf das Konzertpublikum zunächst verstörend wirken. War erst einmal der erste Sensations-Effekt verbraucht, blieb der kommerzielle Erfolg dieser Bands oft enttäuschend. In der Jazzliteratur finden sich viele Beispiele dafür, dass Frauenbands, weibliche Bandleader und weibliche Instrumentalisten nicht den Erfolg beim Publikum erzielten, den um Objektivität bemühte Fachleute erwartet hätten. Aber noch 1938 entblödete sich der Down Beat nicht, seinen Lesern zu erklären, „warum Frauen schlechtere Musiker sind“.

Das alles überstrahlende Beispiel Louis Armstrongs inspirierte auch Frauen, zur Jazztrompete zu greifen. Eine der bekanntesten „weiblichen Armstrongs“ war Valaida Snow (1903–1956), die gerne als „Queen of the Trumpet“ angekündigt wurde. Natürlich kam sie aus einer Musikerfamilie, lernte ein Dutzend Instrumente, Tanz und Gesang und war schon mit 15 Jahren eine professionelle Entertainerin. Dem männlichen Jazz-Umfeld ging sie aus dem Weg, indem sie jahrelang als Multitalent durch Europa und Asien tourte – schon in den 20er-Jahren! In den USA wirkte sie in afroamerikanischen Bühnenshows mit und hatte 1928 ihr eigenes Programm in Chicago. Louis Armstrong war davon begeistert und attestierte ihr, „die zweitbeste Trompete der Welt“ zu spielen. In London nannte man die zierliche Person 1934 respektvoll „Little Louis“. Valaida Snow war berühmt für ihr Blues-Feeling, ihr starkes hohes C, ihren kraftvollen Swing und ihr „ganz unfeminines Vibrato“. Hätte sich „The Female Armstrong“ aufs Trompetespielen konzentriert, „hätte sie zu den Größten auf diesem Instrument gehören können“, meinte Mary Lou Williams.

Ebenfalls als ein weiblicher Satchmo galt Ernestine Davis (1907–1994), deren Vornamen man ironischerweise zu „Tiny“ (zierlich) verkürzte. Einer ihrer Ehrennamen lautete „245 Pounds of Jive and Trumpet“. Mit 13 Jahren begann sie Trompete zu spielen – in der Schulband, wo sie das einzige Mädchen war. Ihr großes Vorbild fand sie in Louis Armstrong: Sie kaufte seine Platten, studierte sie und spielte dazu. In Kansas City jammte sie mit den Besten und wurde 1935 Mitglied bei den Harlem Playgirls. Als Star-Solistin einer weiteren Frauenband, der International Sweethearts of Rhythm, verdiente sie sich das Prädikat „The Hottest Female Trumpeter in the Universe“. Ein Angebot Louis Armstrongs, seine Bühnenpartnerin zu werden, lehnte sie jedoch ab, weil sie zu sehr auf „die süßen Mädchen“ bei den Sweethearts stand, wie sie später verriet. Die dreifache Mutter sprühte nicht nur auf der Bühne vor Temperament und Witz: „Sie war einfach eine Wucht“, schwärmte ihre jüngere Trompetenkollegin Flo Dreyer.

Auch die Trompeterin Dolly Jones (1906–?) verehrte Louis Armstrong und wurde umgekehrt von ihm hoch geschätzt. Doc Cheatham meint, sie habe das Trompetespielen ernster genommen als mancher männliche Kollege: „Jeder liebte ihr Spiel.“ Dolly Jones begleitete die Blues-Sängerinnen Ida Cox und Ma Rainey und spielte in Chicago in den Bands von Irene Kitchings und Lil Hardin. Selbst den virtuosen Roy Eldridge forderte sie mutig heraus. Dolly stammte aus einer Musikerfamilie in St. Louis und hatte das Trompetespielen bei ihrer Mutter Dyer Jones gelernt, die auch Valaida Snow unterrichtete. Dyer Jones (ca. 1890–?) spielte schon Jazz, „als Louis Armstrong noch gar nicht wusste, was eine Trompete ist“, meinte Ikey Robinson. Sie war Lead-Trompeterin im Zirkusorchester und bekannt für ihre „vielen hohen Noten“. Sie spielte auch in der Band des legendären Pianisten Sammy Stewart.

Zu den ersten wichtigen Saxophonistinnen des Jazz gehörte Peggy Gilbert (1905–2007), die als Margaret Fern Knechtges geboren wurde. Sie erhielt als Kind Klavier- und Geigenunterricht und trat schon mit sieben Jahren in einer professionellen Kindertanztruppe auf. Als Teenager nahm sie heimlich Unterricht bei einem Jazzsaxophonisten und gründete 1924 ihre erste eigene Band, die „Melody Girls“. Von dem Novelty-Ragtime-Saxophonisten Rudy Wied oeft wurde sie für die Begleitung seiner Show „Saxophobia Idea“ engagiert. 1933 übernahm Peggy Gilbert die Leitung einer Frauen-Bigband und trat mit ihr 1937 beim „Second Hollywood Swing Concert“ auf – neben Benny Goodman, Ben Pollack, Les Hite und anderen. Später arbeitete sie als Konzertagentin und Sekretärin der Musikergewerkschaft. Noch mit 69 Jahren gründete sie zusammen mit anderen Seniorinnen eine professionelle Dixieland-Band, die „Dixie Belles“.

Auch Audrey Hall Petroff (?–?) stammte aus einer Musikerfamilie, die eine professionelle Band unterhielt, die „Hall’s Harmonizers“. Audrey wurde an Klavier und Geige ausgebildet und schon mit neun Jahren am Konservatorium zugelassen. Als Teenager lernte sie Saxophon und spielte mit 16 bereits professionell in einer Hotelband. Da Frauen damals weder als Konservatoriumslehrer noch in Sinfonieorchestern zugelassen wurden, stieg sie bei „Bobbie Grice and Her Fourteen Bricktops“ ein, der besten Frauenband der 20er-Jahre. Später bot ihr der Geiger Joe Venuti einen Job an, doch sie spielte lieber weiterhin in Frauenbands. Bis 1936 gehörte sie zu Ina Ray Huttons „Melodears“. Erst später erhielt sie attraktive Angebote im Jazz- und Klassikbereich, verzichtete aber zugunsten der Erziehung ihrer Kinder.

Und dann gab es noch die Altsaxophonistin Irma Young, deren Spiel stilistisch und klanglich an ihren Bruder Lester erinnerte, die stundenlange Jamsessions durchstand und von Paul Quinichette als „große Musikerin“ bewundert wurde, aber 1940 ihre Saxophonkarriere beendete, weil sie einsah, dass es für eine Frau leichter ist, wenn sie singt und tanzt. Es gab auch die Posaunistin Della Sutton aus New York, die um 1930 eine eigene Frauenband leitete. Es gab die Schlagzeugerin Alice Calloway, die unter anderem mit der Bandleaderin Isabelle Spiller und der Trompeterin Dolly Jones auftrat. Es gab auch in den allerersten Jahren des Jazz die Kornettistin Antonia Gonzales, im Hauptberuf Bordellmutter im Rotlichtbezirk von New Orleans. Dann gab es Alyse Wills, die bei den „Melodears“ souverän den Posaunensatz führte: „eine großartige Musikerin“, wie Eddie Durham befand. Es gab auch die Trompeterin Estelle Slavin, die gleich nach der Highschool zu den „Melodears“ ging, als „The Female Harry James“ gefeiert wurde und später ein eigenes Frauenquintett leitete. Und es gab natürlich Betty Sattley, die nur 1,50 Meter große „Little Bit“, heißeste Tenorsaxophonistin ihrer Zeit, Frontfrau der „Melodears“, die Chu Berry nacheiferte, bei Louis Prima ihren Ehemann Charlie Leeds am Saxophon vertrat, als der im Krieg war, und nach der Geburt ihres zweiten Kindes zu spielen aufhörte: „Ich fand keine Babysitterin, zu der ich Vertrauen hatte.“

Hans-Jürgen Schaal

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