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Jazzzeitung

2003/11  ::: seite 4

berichte

 

Inhalt 2003/11

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break
musiker-abc:
Bessie Smith
no chaser:
Der Verhinderungs-Produzent
all that jazz:
Musik/Theater/Sprache
farewell: Abschied von Bill Perkins / Die Jazzzeitung verabschiedet sich von ...


TITEL / DOSSIER


Titel: Streifzüge durch den Jazz
Die 27. Leipziger Jazztage: traditionsbewusst und zeitgenössisch
Dossier. Tonträger
Vinyl boomt in Berlin wie nie seit den 80ern / George Duke hat ein neues Label gegründet / Rezensionen


BERICHTE


Berichte aus
Bahia/Brasilien / Berlin-Köpenick / Donau und Altmühl / Dornbirn / Dresden / Hamburg / Viersen / Willisau


 JAZZ HEUTE


Nur Fans machen eine Welle
Deutschland jazzt vom 1. bis 11. November
Des Staunens entkleidet
„improvisieren...“, 8. Darmstädter Jazzforum 2003
Sturz mit Folgen
Leserbrief zur neuen Kolumne von Sebastian Klug


 PORTRAIT / INTERVIEW


Couch-Ensemble // Gonzalo Rubalcaba und Ramòn Valle // Charlie Mariano // Richard Bona


 PLAY BACK / MEDIEN


Wenn das denn alles ist …
Jukebox-Queen Peggy Lee: The Singles Collection
CD. CD-Rezensionen 2003/11
Bücher. Lesen lohnt sich doch
Gedanken und Empfehlung von Joe Viera
Bücher. Monografie über den Vibraphonisten Terry Gibbs
Noten. Neue Ausgaben für Laien und Profis
Instrumente. Music Man präsentiert neuen Bass / Equipment-News
Medien. link-tipps


 EDUCATION


Abgehört 19. Solo über „All The Things You Are“ aus einer Zeit als George Benson noch nicht an Fusion dachte
Frühzeitigen Spass am Spielen
Der Würzburger Hochschullehrer Hans Peter Salentin und seine Trompetenschule
Bloss nicht Dudeln
Richie Beirach traf in Hannover seine alte Lehrerin
Ausbildung. Kurse, Fortbildungen etc.


SERVICE


Critics Choice

Service-Pack 2003/11 als pdf-Datei (kurz, aber wichtig; Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV, Jazz in Bayern und anderswo (544 kb))

Wilde Tänze und fliegende Stühle

Zum XI. Festival de Musica Instrumental da Bahia/Brasilien 2003

Der Januar in Salvador da Bahia (einer Millionenstadt im Nordosten von Brasilien) ist natürlich ein Hochsommermonat, deswegen ist das Festival draußen, im Garten einer alten Festung. Mit Regen muss ja nicht gerechnet werden, tagsüber sind es so um die 35 Grad, auch nachts ist es noch viel zu heiß für mein Gefühl.

In der Bucht von Salvador, auf die man hier einen grandiosen Blick hat, verlässt gerade die Sonne mit romantischen Farbspielereien den Himmel, während sich so langsam einige hundert Zuschauer zwanglos bereit machen, die ersten Töne zu hören. Es gibt etliche Reihen mit weißen Plastikstühlen, die meisten Besucher aber sitzen im Gras oder lehnen an der Brüstung des Kastells. Geht man eine Treppe runter, gibt es leckere Sachen zu Essen (Acarajé ) und zum Trinken (Água de côco und Caipirinha). Auch während die Bands spielen, wird hier reichlich gegessen und geplaudert.

Maestro Duda und seine Big Band „Orquestra Fina Flor“: versammelte Spielfreude auf hohem technischem Niveau. Foto: Meißner

Nach etlichen einleitenden Reden und ausgiebigem Dank an den Herrn Gouverneur betritt schließlich Paulo Gondim die Bühne. Er spielt für eine Stunde lang alleine Klavier. Genauer gesagt spielt er auf einem Kurzweil.

E-Piano mit Klaviersound, welcher in den Höhen die Grenzen des Geschmacks etwas überschreitet und untenrum dafür mehr mulmt. Unvorstellbar für ein hiesiges Festival, denke ich, einen Solopianisten auf einem E-Piano spielen zu lassen, aber eigentlich geht ja auch das und warum auch nicht. Einem Flügel wäre es wahrscheinlich eh zu heiß. Herr Gondim, ein älterer Herr, der auch Professor an der dortigen Musikhochschule ist, spielt vor allem Stücke von Gershwin, daneben einige Latinjazz Evergreens wie „Girl from Ipanema“ gemischt mit Stücken aus der Klassikliteratur.

Erstaunlich ist dabei, dass er gar nicht wirklich improvisiert, sondern meist nur die Themen spielt und dann vermutlich von ihm komponierte Zwischenteile und Übergänge. Und richtig erstaunlich ist auch, dass er wirklich gar nicht das Timing halten kann und diesen „Lateinamerikanischen Groove“ kein bisschen in den Händen hat. Aber am Erstaunlichsten ist, dass gerade das die Leute zu lieben scheinen. Ich habe irgendwie den Verdacht, dass das Publikum das Fehlen des Grooves als Zeichen großer europäisch geprägter Kunst auffasst. Jedenfalls ist das Resultat sehr erfrischend und einmalig: „Rhapsodie in Blue“ als untanzbare Samba auf einem schrillen Instrument dargeboten!

Als Nächstes kommt die Fusionband von Conrad Nirav. Dieser spricht portugiesisch mit französischem Akzent und brodelt hinter seinem Keyboard wie Joe Zawinul. Beeindruckend ist in der Band vor allem ein junger farbiger Bassist, der all das an brasilianischen Grooves dem Publikum in die Beine pumpt, was Herr Gondim zuvor vermissen ließ. Amüsant zu hören war, wie die Band das wegen seiner schwierigen Harmoniefolge berüchtigte Stück „Giant Steps“ von John Coltrane vortrug. Man konnte sehen, dass dies auf Wunsch von Herrn Nirav geschah, der auch einige passable Chorusse vorbereitet hatte, danach war aber der Gitarrist, der sich immer weiter Richtung Bühnenrand orientierte, mit seinem Solo ebenso hilflos wie dermaleinst Tommy Flanagan, schließlich rettete ihn ein Schlagzeugsolo.

Der Höhepunkt des Abends kam dann mit dem Auftritt von Maestro Duda. Der Maestro dirigierte die Big Band „Orquestra Fina Flor“, in welcher die fähigsten Jazzer aus Bahia versammelt waren. Auf hohem technischen Niveau und mit einer übersprudelnden Spielfreude wurden neben Big-Band-Klassikern auch brasilianische Kompositionen vorgetragen. Dabei wurde der Klang der Band deutlich von den zwei zusätzlichen Percussionisten dominiert, die auch eine unfassbare Show mit Simultanbewegungen und und allerlei kleinen Kuriositäten vorlegten. Der „jazztypische Swing“ wurde durch lateinamerikanische Rhythmen ersetzt und wenn die Band kurz vorm Überkochen war, fing der Maestro – trotz seines hohen Alters – die Energie der Band in einigen Tanzschritten und Drehungen auf. Bemerkenswert waren auch die Solos. Obwohl fast alle Solisten über eine fundierte Klangsprache und erstaunliche Technik verfügten, spielte keiner länger als 8 oder 16 Takte, es gab keine längeren Ausflüge oder gar Features. Bei den lustigen Ansagen des Maestro kullerten einige Zuhörer von den Sitzen.

Die Stimmung explodierte aber, als der Maestro einen „Frevo“ spielen ließ. Dies ist eine typische Karnevalsmusik aus Pernambuco, woher Maestro Duda selber auch kommt, und für die er auch weithin bekannt ist. Entstanden ist die Musik angeblich 1909, als eine Militärkapelle anfing, Polka mit verstärkten Synkopen viel zu schnell zu spielen. Seit den 30er-Jahren ist diese Musik dann aus dem Karneval in Recife und Salvador nicht mehr wegzudenken. Sobald also die ersten Takte erklingen, steht das Publikum geschlossen auf und tanzt wie wild mit, Stühle fliegen um und ein dickes Lachen steht in jedem Gesicht. Der Frevo leitet sich ab vom Wort „ferver“ und das meint: „Kochen“ und genau das passiert! Nach dem Frevo setzen sich wieder alle gesittet hin, um wieder gepflegt einigen Jazzklängen zu lauschen, aber spätestens bei den Zugaben – die Leute stehen nun auf den Stühlen und skandieren „Frevo, Frevo“- ist das Publikum nicht mehr zu halten und auch meine kleinen deutschen Beine wollen irgendwie mitmachen. Danke, das war sehr gelungen.

Das Festival gibt es schon seit 22 Jahren, dies ist aber erst die elfte Ausgabe, was vor allem an der schwierigen finanziellen Lage liegt. Unterstützt wird das Festival von der „Kulturbehörde“, dem „Amt für Tourismus“, einer großen Telefonfirma und etlichen kleineren Sponsoren, es dauert 7 Tage und bringt 21 Bands auf die Bühne. Der große Traum des Direktors Fernando Marinho ist, das Festival auch für ausländische und bekanntere Gruppen zu öffnen, also international zu werden. Bei einem Eintritt von knapp drei Euro pro Abend und nur mäßiger Unterstützung des Staates, ist das allerdings ein langer Weg. Außerdem wird das Festival genutzt, um einiges Geld für Musikinstrumente für die Kinder in den Elendsvierteln, den Favelas, zusammenzutragen.

Überhaupt ist dieses Jazzfestival mehr ein gesamtgesellschaftliches Ereignis und nicht so sehr eine Delikatesse für spezialisierte Enthusiasten, und als solches war es sehr beeindruckend.

Dirk Meißner

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