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Inhaltsverzeichnis Jazzzeitung 7/2000

2000/07

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Festivals

Seite 6

New Orleans liegt an der Elbe

30 Jahre Internationales Dixieland Festival Dresden

Etwas geringschätzig wird Dixieland oft als die Blasmusik des Jazz bezeichnet; das Publikum setze sich aus Angehörigen der älteren Generation oder Herren mit Bierbauch zusammen. Derartige Thesen widerlegt nun schon seit Jahrzehnten das Internationale Dixieland Festival Dresden. In der Tat ist dieses Festival ein Phänomen mit Volksfest-Charakter, bei dem der Beobachter über den großen Anteil jugendlicher Zuhörer und deren Begeisterung ins Staunen gerät.

Erklärbar wird das wohl nur durch einen Blick in die 30-jährige Geschichte dieser Veranstaltung. Begonnen hatte alles am Pfingstsonntag 1971 mit einem Konzert im Dresdner Kulturpalast. Auf Initiative von Erich Knebel (Redakteur für Jugendmusik beim Deutschlandsender, ab 1972 „Stimme der DDR“) und Karlheinz Drechsel (Jazzexperte und Moderator) wurden sechs Bands eingeladen: Die Jenaer Oldtimers, die Tower Jazzband Berlin und die Dixieland All Stars Berlin vertraten die DDR. Ensembles aus Polen, Ungarn und Tschechien rechtfertigten den großzügig gewählten Veranstaltungstitel „Internationales Dixieland Festival“. Die 2.400 Plätze im Großen Saal des Dresdner Kulturpalastes waren an jenem Abend nicht einmal zur Hälfte ausgelastet.

In den Folgejahren war Dresden zumindest europaweit für Anhänger und Ausübende des Old Time Jazz ein Begriff geworden. Die Musiker (auch aus Westeuropa) bewarben sich um eine Teilnahme, wobei die Gagen in Mark der DDR ausgezahlt wurden und bestenfalls ein billig erworbenes Musikinstrument (etwa eine Gitarre aus Markneukirchen) für etwas Wertausgleich sorgen konnte. Finanziell abgesichert war das Festival über den Rundfunk der DDR, getragen wurde es vom Dresdner Publikum, und für die Konzeption war das Team Erich Knebel, Karlheinz Drechsel und Joachim Schlese verantwortlich. Doch dann kam die Wende und damit vieles anders. Der Rundfunk der DDR wurde 1990 abgewickelt, die Dresdner wurden zu freien Staatsbürgern des sich vereinigenden Deutschlands, durften reisen und sich für viele andere Dinge des Lebens interessieren, und das Organisatorenteam stand vor der Frage „wie weiter“?

Nachdem im Mai 1990 letztmalig „alles beim Alten“ war, wenn auch mit geschrumpften Besucherzahlen, wurde am 26. Juni 1990 die Sächsische Festival Vereinigung e. V. ins Leben gerufen. Ihr gelang es, das im Osten der Republik „von unten“ gewachsene (nicht „von oben“ verordnete) Festival auf eine neue finanzielle Basis zu stellen. Ein weltweit agierender Getränkekonzern, eine Automarke, Dresdner Bierbrauer und Zigarettenhersteller konnten als Sponsoren gewonnen werden. Als Joachim Schlese, Vorsitzender der Sächsischen Festival Vereinigung, 1992 als leitender Redakteur für Unterhaltungsmusik zu MDR 1/Radio Sachsen kam, war fast automatisch auch ein Medienpartner gefunden.

Die Sponsoren übernehmen etwa die Hälfte des Etats (insgesamt knapp 1,5 Millionen Mark pro Jahr), der Rest wird über den Verkauf der Eintrittskarten gedeckt. Sorgen muss sich der Veranstalter nicht machen.

Die Konzerte sind grundsätzlich ausverkauft, Karten für Highlights wie die Riverboat-Shuffle muss man Monate im Voraus buchen, und auch die Veranstaltungen in lockerer Biergarten-Atmosphäre sind bestens besucht. Als wahre Publikumsmagneten erweisen sich Openairs wie die sonntägliche Parade oder die Jazz-Meile mit acht oder neun Bühnen jeweils samstags in der Prager Straße. Hier kann man alle Bands des Festivals ohne Eintrittsgeld erleben, wofür die Sponsoren alljährlich Rekordumsätze verbuchen.

Mit Rekorden sollte selbstverständlich auch die diesjährige Jubiläumsausgabe aufwarten. Zehn Tage lang, vom 5. bis zum 14. Mai, zelebrierte man ein Mammutprogramm: Rund 200 Bands aus aller Welt hatten sich um die Teilnahme beworben, „nur“ 45 konnten eingeladen werden. Das bedeutete immerhin: zirka 350 Stunden Live-Jazz mit ebensovielen Musikern auf 77 Spielstätten in Dresden. Dazu gehörten traditionsgemäß der Kulturpalast, die Kreuzkirche (mit Spiritual und Gospel in sakralem Umfeld) und das World Trade Center („Dixie World“), aber auch Freiluftbühnen im Zoo („Dixieland in Familie“) und das Zelt von Circus Rolandos („Jazz unter dem Chapiteu“). Etwa 450.000 Menschen wohnten nach Polizeiangaben allein der Dixieland-Parade am Abschlusstag bei.

Ungeklärt ist vorerst noch, ob der Versuch aller im Tross befindlichen Bands, einen Titel gemeinsam zu spielen, tatsächlich Aufnahme ins Guinness-Buch der Rekorde findet. Laut Ohrenzeugen hätten die Musiker an der Spitze des 150 Meter langen Zuges einen anderen Song gespielt als jene am hinteren Ende. Übrigens werden die Bands heutzutage auf LKWs durch die Stadt gefahren, allen voran: Karlheinz Drechsel in einer Stretchlimousine der Marke Trabant.

Ostalgie? Ein bisschen wohl, aber vielmehr noch schwingt da der gemeinsame Stolz von Veranstalter und Publikum mit, dieses Festival in eine Zeit hinübergerettet zu haben, in der so vieles an ostdeutschen Kultur-„Events“ verloren gegangen ist.

Kai-Erik Ziegenrücker

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