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Inhaltsverzeichnis Jazzzeitung 6/2000

2000/06

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Berichte

Seite 4

Von den Farben des Jazz

Das Festival Ulrichsberger Kaleidophon im 15. Jahr

Auch im 15. Jahr seines Bestehens konnte das „Ulrichsberger Kaleidophon“ wieder seinem ausgezeichneten Ruf gerecht werden und im Bereich der freien und improvisierten Musik Akzente setzen. Drei Tage lang bot sich dem Publikum ein pittoreskes Hörerlebnis aus insgesamt elf ebenso innovativen wie spannenden Konzerten, die einen Überblick gaben über aktuelle Wege klanglicher Annäherungen zwischen Free Jazz und Neuer Musik.

Begeistern konnte man sich an kleineren Ensembles, bei denen es in der klassischen Free-Jazz-Triobesetzung Saxophon-Bass-Drums gleichmäßig über die Festivaltage verteilt drei verschiedene Formationen zum Vergleich gab. Gleich zum Auftakt musizierte der britische Drummer Eddie Prevost, der mit John Edwards am Bass und Tom Chant am Sopransax zwei jüngere kommunikationsbegeisterte Mitstreiter vorstellte. Im Solospiel zeige Prevost furiose Virtuosität am traditionellen Set und munter-verspielten Schnickschnack an Weinfasstrommel, Becken und kleinerem Percussion-Allerlei. Im Trio hingegen lotete Prevost fast ausschließlich mit Besenspiel die Spannung der Felle seiner Trommeln aus, während Edwards seine Bassgeige mit dem Bogen traktierte oder perkussiv mit Händen und Fäusten peitschte. Tom Chant überraschte mit einer Spielweise, die das Rohrblatt zu kurzen, zerhackten Schwingungen anregte – zusammen ergab sich ein Klangbild, das mit all dem Geschnatter und Geflatter zuweilen an eine wohlorganisierte Hühnerfarm erinnerte.

Freejazz mit atemberaubendem Hochdruck bot der britische Tenorist Paul Dunmall (mit John Adams, E-Gitarre, und Mark Sanders, Schlagzeug). Am Dudelsack übertrug Dunmall sein quirlig-spritziges Temperament auf ein Instrument, das – freilich in einer Spielart ohne Bourdon – nur noch entfernt an das keltische Erbe Britanniens erinnerte. Mit funkigen Grooves und hartem Pulse präsentierte das DKV-Trio – mit Ken Vandermark am Tenorsaxophon, Kent Kessler am Bass und Hamid Drake am Schlagzeug – brillante Kollektivimprovisationen, die in ihrer Nähe zu konventionellem Gebrauch von Harmonie und Rhythmus schon fast traditionelle Einschläge mitbrachten – wirklich große Musik, die Chicago wohl mit Recht derzeit zu einem der wichtigsten Zentren für improvisierte Musik der USA macht.

Ungeniert konservativer Traditionalismen bediente sich das ICP-Orchestra um den holländischen Pianisten und Arrangeur Misha Mengelberg, der sich mit seinem neunköpfigen Ensemble in liebevoll ironisierender Collagetechnik der Musik Duke Ellingtons annahm. Dies war gewiss mit ein Highlight des Festivals, zumal die hochkarätige Besetzung unter anderem mit dem brillanten Trompeter Thomas Heberer oder auch mit der clownesken Schlagzeuglegende Han Bennink einen Hörgenuss garantieren konnte, der nach vielen teils sehr strapaziösen Darbietungen des Kaleidophons eine direkte Wirkung auf das Gefühls- und Seelenleben zu entfachen vermochte, ohne jedoch dabei eine musikalische Tiefe vermissen zu lassen. Vorlagen alter Jazzgrößen – im speziellen Eric Dolphys – bedient sich auch das Duo von Rudi Mahall (Bassklarinette) und Aki Takase (Piano), wenngleich sich beide in freier Improvisation weit von ihrem Ausgangsmaterial entfernten (siehe auch Rezension auf Seite 5). Feine Klangwirbel, zu Wolken verdichtete Nebel aus klassisch übereinander geschichteten Tönen und Rhythmen formten das Duo der Pianistin Sylvie Courvoisier mit dem Schlagzeuger Lucas Niggli. Die beiden Schweizer Musiker konnten mit ihrem sehr dichten, energiegeladenen Spiel beeindrucken. Dass selbst ein derart diszipliniert dem aufmerksamen Zuhören zugewandtes Publikum auch an die Grenzen der Wahrnehmung gelangen kann, machte schließlich eine Soloperformance des japanischen Gitarristen Taku Sugimoto deutlich. Seine an Zen-Meditationen erinnernden Momente der Stille und Ruhe, seine Sparsamkeit an Lautstärke, ja sein Geiz an Tönen überhaupt verflüchtigte sich mitunter ungehört in der minimalen, sicherlich kaum vermeidbaren Unruhe des Publikums.

Elektronische Klangbilder, denen in den vergangenen Jahren schon ein wesentlich höherer Stellenwert zukam, hatten sich diesmal gegenüber den rein akustischen „human sounds“ auf ein verträgliches Maß von drei Konzerten reduziert. Für das Publikum stellt sich bei rein elektronischen Ergüssen (so etwa bei der Gruppe „Antasten“) oftmals eine Zuordnung eines Klanges zu dem dafür Verantwortlichen der Regler-drehenden und Kabel-stöpselnden Akteure als nicht nachvollziehbar dar. Das optisch-ästhetische Geschehen auf der Bühne ist bei einem „Kaleidophon“ (im Gegensatz zum Kaleidoskop also nicht fürs Auge sondern fürs Ohr gedacht) selbstverständlich nachrangig. Einen interessanten Beitrag lieferte jedoch Phil Durrants Quartett „Ticklish“, das diese natürliche Gesetzgebung mit den virtuosen Live-Video-Bearbeitungen des Rob Flint zu durchbrechen suchte. Provokanter hingegen präsentierte sich das Quartett „Efzeg“ (Zitat Efzeg aus dem Programmbericht: „Efzeg garantiert auf der Bühne nicht für ein intensives Hörvergnügen, dafür sind wir nicht da“). Letztlich bleibt es dann wohl dem Hörer selbst überlassen, darüber zu entscheiden, ob er mit dem Gehörten überhaupt etwas anfangen mag.

Wolfgang Seemann

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