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Inhaltsverzeichnis Jazzzeitung 5/2000

2000/05

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Story

Seite 6

Schwere Beats, dunkle Sounds

Nils Petter Molvaer bringt Jazz mit moderner Tanzmusik zusammen

Schattenwesen. Schemenhafte Gestalten. Fast unheimlich, wie sie da fast reglos auf der Bühne stehen, während der Sound, den sie produzieren, mit unerbittlicher Intensität aus den Boxen dröhnt und das Publikum im Saal in eine Endzeitstimmung versetzt. „Die Musik ist viel wichtiger, als dass es sich lohnen würde, sich auf eine bestimmte Person zu konzentrieren. In anderen Kulturen wird auch nicht soviel Wert darauf gelegt, den Musiker unbedingt in den Mittelpunkt zu stellen“, ist Nils Petter Molvaers lapidarer Kommentar zu seiner Form der Musikaufführung.

Die Klänge des norwegischen Trompeters verführen immer wieder zu unsachlichen Beschreibungen, zu bildhaften Assoziationen, zu dramatischen Charakterisierungen. Seine Klänge seien dunkel, mystisch, gefährlich, unheimlich, apokalyptisch. „Eine Zeitschrift, ich glaube, sie war sogar aus München, nannte mich den ‚Prince of Darkness‘,“ lacht Molvaer lausbübisch. „Dabei finde ich meine Musik gar nicht dunkel. Sie hat allerdings nichts unbedingt Leichtes.“ Mit was für Impressionen man ihn auch konfrontiert - stets scheint sich Nils Petter Molvaer einen Spaß daraus zu machen, seine Musik verbal zu entzaubern. „Aber ich mag es durchaus, wenn das, was ich mache, sehr unterschiedliche Reaktionen hervorruft. In einem sind sich wohl alle einig: Jeder sagt, meine Musik sei so melancholisch. Also muss es wohl stimmen, es ist was dran: ich trage viel Melancholie in mir“, gibt er schweren Herzens zu.“ Nur ist das nichts Schlechtes. Im Gegenteil: Melancholie ist ein Antrieb für Kreativität.“ Seine Musik ist wohl auch am stärksten, wenn der trauerumflorte, unwirkliche, einsame, verlorene Trompetenton über splittrigen Sounds und wummernden Beats zu schweben scheint. „Meine Musik ist ein Bastard“, sagt Molvaer. „Der Begriff mag negativ klingen, ist aber positiv gemeint. Unsere Welt ist ein melting pot geworden. Überall auf dem Planeten kann es dir passieren, dass du auf der Straße nacheinander jemanden aus Tuva, dann einen Aborigine, jemanden aus Uganda oder Düsseldorf triffst. Und das ist gut so. Mir gefällt die Idee einer Multi-Kultur, weil aus ihr auch neue Chancen wachsen – nicht zuletzt auch für die Musik.“

1997 konnte Nils Petter Molvaer mit seinem Album „Khmer“ (ECM) sowohl kommerziell als auch künstlerisch große Erfolge feiern. Seine frappierende Mischung aus Industrial-, Techno-, Ambient-, Ethno- und Jazzelementen faszinierte Publikum und Kritiker gleichermaßen - was ein äußerst seltener Fall ist. Nach diesem überraschenden musikalischen Coup stand die Frage im Raum, ob der Trompeter die Versprechungen, die er mit Khmer machte, mit seinem nächsten Album würde einlösen können. Nun liegt es vor, trägt den etwas verwirrenden Titel „Solid Either“ (ECM) und ist eine konsequente und sehr reizvolle Weiterentwicklung. Zu Molvaers Ensemble gesellte sich übrigens noch die Sängerin Sidsel Endresen. „Ich wollte auf keinen Fall den Fehler machen, ein „Khmer, Volume 2“ herauszubringen, sondern wollte Musik aufnehmen, die aus dem gewachsen ist, was wir auf langen Tourneen herausgearbeitet haben. Innerhalb von zwei Jahren absolvierten wir gut zweihundertfünfzig Gigs. Da ist es doch klar, dass sich die Musik zwangsläufig weiterentwickeln musste. Mir war für die neue CD nur wichtig, dass sie so organisch wie möglich sein sollte. Khmer war ein Projekt im Versuchsstadium. Natürlich haben wir auch für „Solid Either“ viel ausprobiert, aber das Album ist wesentlich schneller entstanden. In nur drei Tagen haben wir Massen an Musik aufgenommen.“ Als ich ihm sage, dass mir „Solid Either“ insgesamt sanfter, ausgeglichener erscheint, schüttelt Nils Petter Molvaer sachte den Kopf. „Da muss ich widersprechen. Es gibt einige wirklich schwere Beats und viel mehr Ecken und Kanten als auf Khmer.“ Es wäre ja auch verwunderlich gewesen, wenn er zugestimmt hätte.

Ssirus W. Pakzad

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