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Inhaltsverzeichnis Jazzzeitung 5/2000

2000/05

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Bücher

Seite 21

Martin Pfleiderer, Zwischen Exotismus und Weltmusik. Zur Rezeption asiatischer und afrikanischer Musik im Jazz der 6oer und 7oer Jahre, Coda-Verlag, Karben 1998, 302 Seiten

Von Weltmusik, der wie immer auch gearteten Melange vieler Stile unterschiedlicher Provenienz, ist derzeit viel die Rede. Was gemeinhin hinter ihr steht, nämlich der Begegnung des Jazz mit den unterschiedlichsten Musiktraditionen dieser Welt, versucht nun eine lesenswerte Dissertation zu ergründen.

Der Berliner Musikwissenschaftler Martin Pfleiderer beleuchtet, wie er im Vorwort betont, „Hintergründe und musikalische Auswirkungen der Rezeption asiatischer und afrikanischer Musik im Jazz“. Er fragt, welche Spuren sie im Jazz hinterlassen hat, welche Versuche der Verbindungen unternommen worden sind, wie Jazzmusiker mit fremden Elementen umgehen, wo Berührungspunkte zwischen verschiedenen Musikformen liegen und welche stilistischen Veränderungen im Jazz die Folge sind. Antworten und Analysen liefert der Autor in Form einer Fülle dokumentierter Aufnahmen aus den sechziger und siebziger Jahren. Sie reichen von Ahmed Abdul-Maliks arabischen Jazz-Experimenten, dem Art Ensemble of Chicago und seinen Bezügen zur afrikanischen Musik über die Klänge des Flötisten Paul Horn im Tadsch Mahal und Tony Scotts „Djanger Ball“ bis zum Bandprojekt „Shakti“ des Gitarristen John McLaughlin. Freilich werden auch weniger gelungene Beispiele des direkten Kontakts zwischen Jazzmusikern und fremden Musikkulturen zutage gefördert. In der Musik Paul Winters, die Versatzstücke aus Folk, Jazz und abendländischer Musik kombiniert, Dizzy Gillespies und Dave Brubecks geht es nicht um Verschmelzung der Welten, sondern um „Anreicherung der westlichen U-Musik mit exotischen Klängen“. Die Indienwelle zwischen 1965 und 1968 ist eine weiterer Beleg. „Nicht nur die sinnlichen Reize fremder Musik, nicht nur Sentimentalität und Verklärung des Fremden motivierte Jazzmusiker“, lautet Pfleiderers Bilanz, „sondern ebenso die Suche nach Alternativen zur westlichen Kultur und Gesellschaft, nach anderen Vorstellungen von Tradition, Authentizität und Gemeinschaft“ (S. 43/44).

Ein Drittel des recht lesbaren Buches – immerhin eine Doktorarbeit – nimmt jedoch das Schaffen des 1995 verstorbenen Trompeters und Weltmusik-Pioniers Don Cherry ein, das im Mittelpunkt steht. Seine harmonischen und rhythmischen Einflüsse werden analysiert, seine ungeraden Metren und Klangfarben erforscht. Man versteht, dass Cherry „die zentrale Figur einer ‚jazzinspirierten Weltmusik‘“ genannt wird und Katalysator war für verschiedene Kooperationen von Jazzmusikern und Musikern aus Asien und Afrika. Insgesamt ein sehr nützliches Buch, das bei aller vordergründigen Verschmelzungseuphorie der Weltmusik Nüchternheit einfordert.


Institut für Jazzforschung/Internationale Gesellschaft für Jazzforschung (Hr.), Jazzforschung/jazz research, Band 31 (1999), Jazz Analyse, Akademische Druck und Verlagsanstalt, Graz 1999, 277 Seiten

Auf höchst kompetente und seriöse Weise widmet sich die Internationale Gesellschaft für Jazzforschung im österreichischen Graz allen Problemen, die mit Jazz zu tun haben. Zu ihrem 3o-jährigen Bestehen hatte die Gesellschaft zu einer jazzwissenschaftlichen Tagung geladen, deren grundlegende Beiträge in der alljährlich erscheinenden Schrift „Jazzforschung/ jazz research“ jetzt veröffentlicht worden sind.

Mit dem zentralen Thema „Jazz- Analyse“ beschäftigen sich vier der 15 Beiträge. Einleitend geht Eckehard Jost auf grundlegende Probleme, die schriftlose Musik aufweist, ein. Der in adäquate Form gefassten sinnlichen Erfahrung ist analytisch schwer beizukommen. Wolfram Knauer, der unter dem „Analytiker-Blues“ leidet, sucht Abhilfe in seiner Darstellung der Entwicklung der Jazz-Analyse. Er macht drei verschiedene Ansätze aus und plädiert schließlich für „multidimensionale Analyseansätze“, die auch „die kommunikativen Wege zwischen Musiker und Hörer untersuchen“. Analyse an sich, so Jost, gibt es eh nicht, sie ist immer interessengeleitet und zweckgerichtet. Die Transkription ist wichtiges Hilfsmittel, kommt ihr entgegen. Was die Sache kompliziert macht, ist die der Forschung schwer zugängliche Kommunikationsform der Interaktion. Der improvisierende Musiker „reagiert auf den vorgegebenen harmonischen und rhythmischen Bezugsrahmen und er reagiert auf die musikalischen Aktionen und Reaktionen seiner Mitspieler. Die erste Ebene erschließt sich der Analyse vergleichsweise leicht, die zweite ... nur schwer“ (S. 15).

Auf diese zweite Ebene wagt sich der Norweger Tore Dübo. Eine Mingus-Komposition ist für ihn exemplarischer Hinweis auf die Tatsache, dass Musiker stets auf verinnerlichte Erfahrungen zurückgreifen. Um diese nonverbale Kommunikation verstehen zu können, zieht Dübo ethnologische, anthropologische und philosophische Erklärungsansätze heran.

Ob nun Charlie Parkers musikalische Sprache, an der heute auch junge Saxophonisten sich orientieren, thematisiert wird, Monks Kompositionstechnik und Walter Norris‘ Spielweise oder impressionistische Strukturen erläutert und kubanische Rhythmen erklärt werden: fast alle Beiträge des Bandes kommen zum Schluss, dass sich Jazz-Analyse, will sie effektiv sein, von herkömmlichen Methoden traditioneller Musikwissenschaft absetzen muss. Interdisziplinäre Forschung ist deshalb unerlässlich. Ein Beispiel hierfür liefert schließlich Hermann Rauhe. Er beschreibt „die segensreiche Wirkung des aktiven Umgangs mit Jazz ... in unserer heutigen entkörperlichten, bewegungsarmen, technisierten und bürokratisierten Welt“. Musiktherapeutische Ansätze haben es an den Tag gebracht: „Jazzer sind lockerer, freier, gesünder, glücklicher. Jazzer haben mehr vom Leben“ (S. 252). Na denn.

Reiner Kobe

 

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