Jazzfest Berlin 2017. Tyshawn Sorey. Foto: Petra Basche

Heimatabend ohne Spirit beim Jazzfest Berlin 2017 (Donnerstag)

Natürlich läuft das Jazzfest Berlin offiziell längst seit man im Schloß Bellevue unter die Fittiche von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier genommen wurde. Die ersten Konzerte auf der Festspiel-Bühne fanden aber erst am Donnerstag statt. Zwei Ensembles, in Besetzung und Ansatz denkbar konträr, schlugen auf der Klangfläche auf. Nicht immer gerade funkensprühend oder funkenstreuend – und auch nicht feuertrunken. Ein Männer-Trio aus den USA und eine Männerbigband aus dem Norden Deutschlands, verstärkt mit norwegischen Musikern. Und: natürlich einer Sängerin.

Es gibt Tage, da mag man nicht gerne Kritiker sein. Der erste Abend des Jazzfests Berlin war so einer. Das Tyshawn Sorey Trio und die erweiterte NDR-Bigband legten sich nämlich anfangs stark ins Zeug und scheiterten wenig grandios im Lauf ihrer Auftritte. Warum unangenehm: Weil man eigentlich freudig Schönes berichten möchte, aber nicht kann.

Tyshawn Sorey Trio – Zwischen Klangkunst und Abklang

Der Pianist Cory Smythe betritt die Bühne und baute aus sparsam zusammengesetzten Klänge, repetierend schönste glockenähnliche Klangstrukturen. Pedalisiert, sich langsam auffüllend. Mal werden sie stark musikalisch angereichert und gewürzt, dann wird es wieder wundervoll leer. Ein Grundmuster, zart und von geradezu träumerischer Leere und Luftigkeit. Nach fünf Minuten betritt der Bassist Chris Tordini die Bühne und entfaltet seine eigenen Musikstrukturen. Beides nebeneinander, beides mit eigenem musikalischen Zeitstrahl. Es mischt sich, es trennt sich. Freier Fluss. Wunderbar. Dann tritt der Schlagzeuger und Namensgeber des Trios, Tyshawn Sorey, auf. Vor ihm ein großes Arsenal an Klangerzeugern: Vom Tamtam, über ein Vibraphon, ein Konglomerat aus weiteren Trommeln und Becken, Triangel und Celesta. Und er haust sich darin ein, als ob er eine neue Wohnung besichtigen wolle. Alles wird nacheinander mal ausprobiert, mit verschiedenen Schlegeln traktiert. Bis er seinen Ort am Sitzplatz vor einer Art reduziertem Drumset gefunden hat. Business dann. Man kann es ja. Aber damit ist es “Aus mit freien Flottieren”. Es folgen die üblichen musikdramatischen Verdächtigen: Steigerungen in Dichte und Lautstärke, Abklang. Was so feinfühlig begonnen hat ist im Warenkorb der Routine gelandet und wird durch die Klangregale geführt.

(Alle Fotos von Petra Basche. © Petra Basche, HuPe-Kollektiv)

Höhepunkt und Tiefpunkt ein Tamtam-Tremolo mit extremer Geschwindigkeit und dann auch Lautheit. Abklang! Klangeleere. In die dann ein Handyklingeln hineinbricht und den letzten mystischen Klangzauber bricht. Heiterkeit im Publikum. Man weiß nicht recht: Ist es eher echte Heiterkeit oder doch Schadenfreude? Wenn die Musik so sehr gepackt hätte, hätte man es locker überhört. Wenn die Musik fröhlich gewesen wäre, man hätte laut aufgelacht. So blieb es eine traurige Sache. Danach, nach 50 Minuten hatte man sich auf eine Ende hingespielt. Nicht so Tyshawn Sorey. Die musikalische Perkussions-Wohnung war noch nicht gründlich genug untersucht. In der Begrüßung sagte die Jazzredakteurin der SWR, Julia Neupert, dass man sich in einem Mikrohabitat bewege, das sich mit den Begriffen „Komposition“ und „Improvisation“ nicht gültig erfassen ließe. Und doch schwankte man in den Extremen ohne dass die Sache wirklich „frei“ im Sinne einer Vergleichgültigung wurde. Der kompositorische Strohhalm schien verstopft.

Mit der Situation am besten kam noch der Bassist klar. Er hatte seinen musikalischen Raum längst durchmessen und konnte gestalten an seinem Instrument. Das tat er mit fantastischer Leidenschaft. Oder im Zweifel schwieg er dann auch.

Ist es wirklich nicht möglich entweder wenige Töne und leise zu spielen oder viele und laut? Möglich wäre es freilich schon, man hat so etwas auch schon einmal gehört, ganz sicher bei Alban Berg, wenn der Abstecher erlaubt ist – in der „Lyrischen Suite“ und dem „Wozzeck“ gibt es Beispiele zur Genüge. Aber leider sind diese Erkenntnisse musikalischer Gestaltung nicht überall wahrgenommen worden. Der Bassist Chris Tordini hätte es draufgehabt und konnte derlei tatsächlich. Bei Sorey wusste man nicht recht, ob es gut oder schlecht ist, dass er nicht acht Arme, sechs Beine und wenigstens drei Körper hat, um nicht nur der Lage der Instrumente folgend zu agieren.

NDR Bigband: Geir Lysne’s Abstracts from Norway – Heimat atemlos

Ebenso stark wie beim Vorhangöffnen im Theater trat die NDR-Bigband auf den Plan. Satte Bläsersätze, sauber und fulminant gesetzt. Geir Lysne formt und modelliert sie als Bandleader. Aber für acht Nummern, drei mit Frauenstimme, ist das nicht genügend. Auch nicht, dass man zu den Abstrakts aus Norwegen sich norwegische Jazzstars wie Helge Lien oder Solveig Slettahjell hinzuholte.

(Alle Fotos von Petra Basche. © Petra Basche, HuPe-Kollektiv)

Die NDR-Bigband kann spielen. Und dabei auf die Dauer doch in unergründliche Langweile verfallen. Mitverursacher die rhythmsection, insbesondere die Schlagzeug/Perkussions-Gruppe, die es fast zu jeder Zeit geschafft hat, den letzten Funk von Groove lahmzulegen. So etwas Biederes muss man sich erst einmal in den Arrangements einfallen lassen. Und dabei zugleich irre rastlos sein wie Marcio Doctor in seiner Perkussionswelt. Jetzt ohne Scherz: Das war ein Rückfall in den Dumpfklang der Trimmdichfit-Zeit der Bigbands – nur es fehlten Wald und Hindernisse zum Überspringen. Ein BuJazzo kann da deutlich mehr Funken aus dem Material schlagen. Nur mal so gesagt …

Solveig Slettahjells Stimme mit der leicht raunenden Dunkeltönigkeit half da nicht auf die Sprünge, da sie ja mehr oder minder im sogenannten „Volkston“ phrasierte – eben mit dem Einschlupf auf den Zielton. Die kurzen Klangexkursionen von Eivind Aarset an der Gitarre mit dem Effektgerätetischchen halfen auch nicht drüber hinweg. Aber wenn dann auch noch einzelne Musiker aus der Band nach vorne geholt werden, um „ihr“ Solo zu spielen, fragt man sich schon ein bisschen, ob nicht noch mehr als die Sommerzeit bei manchen stehen geblieben ist. Gleichwohl großer Applaus ohne Überschwang seitens des Publikums.

Conclusio

Hat man noch vor einem Jahr wenigstens den Hauch von Auf- und Durchbruch in die Männerwelt des Jazz verspürt und den Willen dazu wahrgenommen, wirkte das Programm und die Musik beim ersten großen Konzert wie als Schritt in die schlechte alte Zeit. Das ist schon traurig. Richard Williams hat dem diesjährigen Programm das Motto „In all languages“ vorangestellt. Nun, man mag den Gedanken dazu erahnen. Leider fehlt es an Musikerinnen, dies auch in die Tat umzusetzen. Aber abwarten, noch ist das Fest nicht vorbei – nur der erste Abend.

(Diese Fotos von Martin Hufner | HuPe-kollektiv)


MusikerInnen und Bands

Tyshawn Sorey Trio

  • Tyshawn Sorey drums
  • Cory Smythe piano
  • Chris Tordini double bass

NDR Bigband: Geir Lysne’s Abstracts from Norway

  • Geir Lysne conductor
  • Solveig Slettahjell vocals
  • Thorsten Benkenstein trumpet
  • Ingolf Burkhardt trumpet
  • Claus Stötter trumpet
  • Stephan Meinberg trumpet
  • Fiete Felsch alto saxophone
  • Peter Bolte alto saxophone
  • Christof Lauer tenor saxophone
  • Frank Delle tenor saxophone
  • Daniel Buch baritone saxophone
  • Dan Gottshall trombone
  • Klaus Heidenreich trombone
  • Stefan Lottermann trombone
  • Ingo Lahme bass trombone, tuba
  • Frode Berg double bass
  • Eivind Aarset guitar
  • Helge Lien keys
  • Knut Aalefjær drums
  • Marcio Doctor percussion

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