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Ausgabe Februar 1999

MEMORIAL

Liebeserklärungen ans Publikum

Zum Tod von Michel Petrucciani

Autor:
Bert Noglik

Foto:
Ssirus. W. Pakzad

petrucciani.jpg (14973 Byte)Er war ein Meister der sensiblen, zuweilen auch der sentimentalen Klänge, ein Pianist mit einer bewundernswerten Anschlagkultur. Er wußte um das Zarte, das Zerbrechliche, vermochte aber gleichwohl mit Virtuosität und Vehemenz seine Entschlossenheit, seinen Lebenswillen zu bekunden.

Michel Petrucciani zeigte sich stets inspiriert von amerikanischen Jazzmusikern im weiten stilistischen Spektrum von Art Tatum bis Oscar Peterson oder Bill Evans. Aufgewachsen als Sohn italienisch-französischer Eltern in der Provence, hat er zugleich etwas Eigenes eingebracht, das auch mit seinen europäischen Prägungen, mit seiner Bewunderung für Komponisten wie Ravel, Debussy oder Rachmaninow zusammenhängt. Auf seinem Soloalbum "Live in Germany", von dem keiner ahnen konnte, daß es sein letztes werden würde, kann man das nachhören. Vor allem ging es ihm darum, in die Musik all seine Emotionen hineinzulegen. "Ich singe gern", bekannte er in einem Interview, das ich mit ihm führen durfte, "das ist mein sizilianisches Herz, liegt bei mir vielleicht im Blut. Auch als Pianist fühle ich mich manchmal eher wie ein Opernsänger oder wie ein Trompeter. Das Piano bietet mir die Möglichkeit, beides zu kombinieren: Gesang und Percussion."

Mit enormer Energie und einem überquellenden Talent widmete sich Michel Petrucciani von jungen Jahren an dem Jazzpiano. Unter dem Eindruck seines Spiels fand der Saxophonist Charles Lloyd, der sich jahrelang von der Jazzszene fernhielt, zum lebendigen Kontakt mit dem Publikum zurück. Neben Charles Lloyd waren es keine geringeren als Dizzy Gillespie, Wayne Shorter, Joe Henderson oder Stéphane Grappelli, die mit dem kleinwüchsigen, dem musikalisch so großartigen und generösen Pianisten gespielt und ihm ihre Anerkennung bezeugt haben. Besonders zu faszinieren vermochte der Pianist, der in Deutschland nicht nur wegen seiner Fernsehauftritte große Popularität genoß, mit seinen Solokonzerten. Er wolle sich in Zukunft hierzulande deutsch mit dem Publikum unterhalten, sagte Michel bei einem seiner Besuche. Das Sprachlehrbuch hatte er bereits im Gepäck und die ersten Lektionen schon gelernt.

Michel Petrucciani, der am 6. Januar 36jährig in einem New Yorker Krankenhaus an einer plötzlich auftretenden Lungenentzündung gestorben ist, liebte das Leben und brauchte es wohl auch, vom Publikum geliebt zu werden. Als ob er geahnt hätte, daß er nicht endlos Zeit haben würde, sich in Konzerten mitzuteilen, gab sich Michel Petrucciani nie geizig mit Klängen oder Zugaben, hat er sich mitunter beinahe an das Publikum verschenkt. Gesundheitlich gefährdet war er, der an der seltenen Glasknochenkrankheit Leidende, der nur knapp einen Meter groß wurde und weniger als dreißig Kilogramm wog, wohl stets. Ich werde nie vergessen, wie ich ihn einmal zur Bühne begleitete und regelrecht zitterte, als wir all die schweren Stahltüren passierten. Michel machte sich mit Witzen Luft gegen das ihn stets befallende Lampenfieber. Doch dann, wie immer, wenn er am Instrument saß, schien alles vergessen, gab es nur noch die Hingabe an die Musik und die Zuhörenden. Bewundernswert, wie sich Michel über seine Behinderung hinwegzusetzen, dem Leben zugewandt, oft geradezu lebensfroh mitzuteilen und damit auch anderen Mut zu machen vermochte.

Eine der Kompositionen von Michel Petrucciani trug ursprünglich eine rein private Widmung. "Ich schrieb das Stück", offenbarte der Pianist, "als Liebesbrief für meine Frau. Aber mittlerweile ist es auch ein Liebesbrief an das Publikum. Es ist doch großartig, wenn ich die Leute anderthalb Stunden mit meiner Musik glücklich machen kann. Mehr habe ich nie gewollt."