logo.GIF (1963 Byte)

Ausgabe Februar 1999

PLAY BACK

Jazz in Hollywood

Kultscheiben des West Coast Jazz auf Nocturne Records

Autor:
Marcus A. Woelfle

In fast jeder Stadt, zu fast jeder Zeit, konnte (und kann man noch heute) auf sogenannte Lokalmatadore stoßen, ja auf Musiker, die selbst im Ort kaum bekannt sind, und doch den Größten der Großen in (fast?) nichts nachstehen. Seien es Öffentlichkeitsscheue oder von anderen Berufen Belastete, von körperlichen oder psychischen Leiden, etwa Minderwertigkeitskomplexen Geplagte oder bescheiden im Hintergrund agierende, weltabgewandte Weise, sie können uns lehren, wie relativ die Jazzgeschichte der "big names" ist. Kleinere Labels haben sie aufgenommen, oder auch nicht. Im Lexikon stehen sie so oder so nicht. Zum Beispiel Tenoristen um 1950: Die Chicagoer Tom Archia oder Claude McLin bewundert, wer sie live erlebt hat oder zufällig eine Chess-Aufnahme von ihnen besitzt (nein, ich leihe das nicht mehr her!). Bei ihrem Kollegen Steve White aus Los Angeles dürfte der Fall ähnlich liegen, von dem glaubhaft versichert wird, er hätte bei einer Tenorbattle gleichzeitig Zoot Sims und Wardell Gray auf die hinteren Plätze verwiesen. White hat, wegen einer raren Single, eine Handvoll Fans. Wie begnadet White gespielt hat, (oder vielleicht sogar noch spielt?), wir wüßten es bis heute nicht, hätte ihn Nocturne Records nicht 1954 aufgenommen. Doch das Label stellte schon 1955 den Betrieb ein, veröffentlichte das Material nicht mehr und erst jetzt kann der 74jährige auf anderthalb CDs unter seinem Namen verweisen (eine teilt er sich mit einem auch nicht zu verachtenden Baritonisten): Jazz in Hollywood: Virgil Gonsalves / Steve White (Nocturne / Zyx OJCCD-1889-2), Jazz In Hollywood: Steve White Quartet (OJCCD-1891-2). Hört man, was White da mit dem (hervorragend zu ihm passenden) Pianisten Jimmy Rowles, den beiden Labelgründern - Bassist Harry Babasin und Schlagzeuger Roy Harte – eingespielt hat, möchte man seinen Ohren nicht trauen: Inspiriertes, an Lester Young orientiertes Spiel eines typischen West Coast Musikers, der im Sound und stellenweise sogar im Niveau dem frühen Stan Getz ähnelt, aber auch erdigere Seiten hat. Man kann nur mutmaßen, warum dieses außerordentliche Talent es nicht geschafft hat. Hervorragende Tenoristen dieser Stilrichtung gab es wie Sand am pazifischen Ozean: Bob Cooper, Buddy Collette, Bill Holman, Bill Perkins sind nur die Spitze des Eisberges. Und doch ist dieser unbeirrbar swingende Mann eine Entdeckung: Man spürt, daß er sich blindlings auf das Wagnis der Improvisation einläßt, weniger als andere mit Arrangiertem und Zurechtgelegtem am Hut hat und aufrichtig fühlt, was er spielt. Daß White zugleich einen ganz eigentümlichen, humorigen Sprechgesang hat, den man gar nicht dem gleichen Musiker zuschreiben würde, macht ihn nur interessanter. Was hat der Zurückgezogene seit diesen Aufnahmen getan? "Hauptsächlich geübt. Ich übe immer – ich spiele drei Tage hindurch ständig ein Stück. Vor fünf oder 10 Jahren habe ich Notenlesen gelernt." Kaum zu fassen.

Babasins und Hartes Nocturne Records bestanden nur in den Jahren 1953 bis 1955, dem Höhepunkt des West Coast Jazz. Die fünf CDs der "Jazz in Hollywood Series" enthalten fast alles, was sie damals aufnahmen. Obwohl die Kultscheiben des West Coast Jazz überwiegend für Labels Pacific Jazz, Contemporary und RCA entstanden, konnten sie auch manchen Gaststar ins Studio locken. Jazz in Hollwood: Bud Shank / Lou Levy (OJCCD-1890-2) vereinigt eine beachtliche, unveröffentlichte Bop-Session des unterschätzten Pianisten Lou Levy mit einer gelungenen Episode aus der über 40jährigen Zusammenarbeit des Altisten Bud Shank und des Trompeters Shorty Rogers, der hier alle Kompositionen beigesteuert hat und erstmals zum Flügelhorn griff. Wie Shank, der damals einer der ersten Jazzflötisten war, war auch Labelgründer Babasin ein fast vergessener, wichtiger Pionier. 1947 hatte er an der Seite von Dodo Marmarosa das Cello als Soloinstrument in den Jazz eingeführt. Auf Jazz In Hollywood: Harry Babasin and Bob Enevoldsen (OJCCD-1888-2) können wir nachhören, daß er auch 1954, abgesehen von Oscar Pettiford, keinen Konkurrenten zu fürchten brauchte. Neben Enevoldsen, einem Bilderbuchmultiinstrumentalisten – Ventilposaune, Baß, Tenor – empfiehlt sich hier Howard Roberts als flinker Gitarrist im Schatten Barney Kessels. Das Jazz in Hollywood-Album des Posaunisten Herbie Harper (OJCCD-1887-2) mag zu einer längst überfälligen Beschäftigung mit dem Baritonisten Bob Gordon anregen, der, wäre er nicht schon 1955 gestorben, vielleicht mit Mulligan in einem Atemzug genannt würde. Neben Harte und Babasin, ist vor allem der Pianist Jimmy Rowles in der Rolle des stets anregenden Begleiters auf zahlreichen Nocturne-CDs zu hören. Dick Bock von der Konkurrenz meint einmal: "Ich gründete Pacific Jazz; so konnte ich Rowles aufnehmen". Auch Bocks legendäres Label kam aus dem gleichen Stall: Aus dem Hinterzimmer von Roy Hartes Schlagzeugladen.

 

 

Marcus A. Woelfle