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Ausgabe Oktober 1998

STORY

Am Anfang war der Jazz

Jan Garbareks Metamorphose vom Jazzmusiker zum Weltmusiker

Interview:
T. Fuchs/ M. Müller

Foto:
ECM Records

Tourtermine:

Jan Garbarek Group
(feat. Rainer Brüninghaus, Eberhard Weber, Marilyn Mazur)

15.10. Rostock, Stadthalle

16.10. Hamburg, Musikhalle

17.10. Kiel, Schloß

18.10. Lübeck, Musikhalle

20.10. Hamm, Pauluskirche

21.10. Bielefeld, Oetkerhalle

22./23.10 Hannover, Raschplatz Pavillon

24.10. Oldenburg, St. Lamberti

25.10. Marburg, Stadthalle

26.10. Krefeld, Kulturfabrik

27.10. Heidelberg, Stadthalle

29.10. Ulm, Roxy

30.10. Freiburg, Konzerthaus

31.10. Frankfurt, Alte Oper

1.11. Trier, St. Maximin

2.11. Friedrichshafen,

Zeppelinhaus

3.11. Elmau, Schloß Elmau

Home

gabarek.jpg (5279 Byte)Jazz aus Skandinavien – ein Gütezeichen. Ob Terje Rypdal, Arild Andersen, Bobo Stenson oder jüngst Nils Landgren und Nils Petter Molvaer, der Strom hervorragender Jazzmusiker aus Europas hohem Norden reißt nicht ab. Als stilprägend auf seinem Instrument gilt ohne Zweifel Norwegens musikalischer Exportschlager, der Saxophonist Jan Garbarek. Der Sound seines Sopransaxophons ist von durchdringender Intensität und besitzt, ähnlich wie die Spielweise von Wayne Shorter, einen hohen Wiedererkennungswert. Für die Jazzzeitung sprachen Tom Fuchs und Manfred Müller mit dem Klangästheten Garbarek, der im Herbst sein aktuelles Album „Rites“ auf ausgedehnter Deutschland-Tournee vorstellt.

Jazzzeitung: Jan, die Stücke auf Ihrer neuen CD „Rites“ sind stilistisch und atmosphä-risch sehr unterschiedlich, mit deutlichen Verweisen auf Ihre musikalische Vergangenheit. Kann man daraus folgern, daß Sie eine Art Rückschau auf Ihr bisheriges Schaffen halten wollten?

Jan Garbarek: Nein, eigentlich nicht. Daß ich jetzt noch einmal einige ältere Stücke aufgenommen habe, hängt damit zusammen, daß ich sie mit meinen Musikern im Frühjahr auf Tournee spielte. Die Band verfügt über genügend Qualität, diese Songs mit neuem Leben zu erfüllen. Und so war es auch, live klappte es hervorragend, es schien daher nur naheliegend, dies auch auf Platte zu dokumentieren. Es handelt sich also nicht um eine lupenreine „Retrospektive“. Ich bin schon immer jemand gewesen, der bestimmte musikalische Versatzstücke aus früheren Produktionen in die Gegenwart hinübertransportiert, sie erneut verarbeitet. Der Song „Pan“ etwa hat auch so eine längere Geschichte. Es ist ein älteres Stück, das eigentlich schon für eine frühere Produktion vorgesehen war. Aber ihm schien etwas zu fehlen, die Background-Akkorde waren zu statisch, zu simpel, und so stellte ich den Song erst einmal zurück und arbeitete daran. Jetzt fand ich ihn endlich passend, und er hielt auch vor dem kritischen Ohr von Manfred Eicher stand! (lacht)

Jazzzeitung: Wie würden Sie die Rolle Ihres langjährigen Produzenten Manfred Eicher einschätzen?

Garbarek: Manfreds Aufgabe verändert sich von Stück zu Stück, da kann ich keine allgemeingültige Aussage treffen. Es gibt kein vorgefertigtes Schema, keine Routine bei den Aufnahmen, wie man schon allein aus der Fülle der bisherigen Plattenveröffentlichungen vielleicht schließen könnte. Bei den eigentlichen Aufnahmen hält sich Manfred eher zurück, erst beim Abmischen bringt er dann seine ganze Erfahrung ein, da ist seine Rolle nach wie vor sehr wichtig.

Jazzzeitung: Können Sie sich vorstellen, daß Sie Ihren speziellen Sound auch in einem anderen Studio gefunden hätten?

Garbarek: Schwer zu sagen. Mein Sound ist offenkundig ein Ergebnis von all dem, was ich gemacht habe: welche Hörerfahrungen ich machen konnte, der Einfluß anderer Musiker auf mich im Laufe der Jahre. Ich glaube, das große Verdienst von Manfred Eicher besteht darin, daß er mich überhaupt erst mit Musikern bekannt gemacht hat, die ich sonst möglicherweise nie getroffen hätte. Insofern kann man vielleicht von einem indirekten Einfluß von ECM und seinem Produzenten sprechen.

Jazzzeitung: Ist der Titel Ihres neuen Albums wörtlich zu nehmen – stellen Sie Rituale, Bräuche vor?

Garbarek: (lacht) Wenn Sie es denn unbedingt wollen, warum nicht? Der Phantasie des Hörers sind schließlich keine Grenzen gesetzt. Nein, im Ernst, wenn ich das wirklich vorgehabt hätte, wäre die ganze Musik unter einem anderen Aspekt konzipiert worden. Daraus hätte sich vielleicht eine einzige große Suite entwickelt. Andererseits findet man durchaus einiges, das mit Ritualen in Verbindung gebracht werden kann.

Jazzzeitung: Für unser Empfinden klingen etwa die Grooves sehr ursprünglich. Was überrascht, ist der Einsatz von Samples in diesem Zusammenhang – eine neue Facette im Spiel von Jan Garbarek?

Garbarek: Ich bin schon seit einigen Jahren mit der Sample-Technik vertraut, und so war es eigentlich nur logisch, daß ich sie auch in meine eigenen Projekte einbringen würde. Die archaischen Grooves gehen auf einen Indien-Trip zurück, den ich mit meiner Familie unternommen habe. Zu Hause habe ich dann das dort aufgenommene Videomaterial gesichtet und mußte feststellen, daß ich gleichzeitig einen faszinierenden Soundtrack aufgezeichnet hatte. Auf Indiens Straßen ist ja immer etwas los, sei es nun eine Parade, die dort gerade vorbeimarschiert oder eine Gruppe von Tempel-Trommlern, die irgend eine rituelle Handlung begleitet. Diese Sounds habe ich dann isoliert und gesondert bearbeitet.

Jazzzeitung: Mit der Don-Cherry-Komposition „Malinye“ erweisen Sie einem früheren Wegbegleiter Ihre Referenz. Was bedeutet Ihnen der Song?

Garbarek: Nach Dons Tod im letzten Jahr wurde mir plötzlich sehr klar, welch’ großen Denkanstoß er mir gegeben hat, Musik zu verstehen. Man kann sagen,daß er von den späten Sechzigern an einen enormen Einfluß auf fast alle skandinavischen Jazzmusiker hatte. Diese eine Melodie von ihm, die ich nun aufgenommen habe, beinhaltet so viel von Dons Persönlichkeit, es ist ein sehr sanftes, ein sehr einladendes Stück Musik. Obwohl es einfach strukturiert ist, würde man es doch nicht als banal abtun.

Jazzzeitung: Ist Ihre Musik noch als Jazz zu bezeichnen oder tendiert sie eher zu offeneren Stilformen, wie der heute so populären „World Music“?

Garbarek: Der Jazz war ja in gewisser Hinsicht der erste Vorläufer der Weltmusik. Er bildete den einzigen Weg, die verschiedenen Einflüsse miteinander zu mischen, seien es die afrikanischen oder die europäischen. Heutzutage gibt es jede denkbare Möglichkeit, all diese Musikkulturen zu kombinieren. Aber anfangs hatte der Jazz diese Aufgabe, denkt man daran, wie in Amerika zu Beginn dieses Jahrhunderts die Musik der Sklaven mit der Tradition der Europäer zu einer einzigartigen Mixtur zusammengefügt wurde. Neulich sah ich eine Dokumentation über die Musik Duke Ellingtons, zweifellos Jazz in seiner ursprünglichsten Form. Wenn ich dagegen meine Musik einordnen soll, bin ich doch sehr im Zweifel, ob man dies noch als Jazz bezeichnen kann, gerade vor dem Hintergrund eines Duke oder eines Louis Armstrong. Gewiß beinhaltet auch sie Jazzelemente, und sie würde ganz anders klingen, wenn ich damals nicht als Jazzmusiker begonnen hätte.

Jazzzeitung: Was macht der vielbeschäftigte Musiker Jan Garbarek, wenn er nicht auf Tournee oder im Studio ist?

Garbarek: Ich habe wie viele meiner Landsleute eine Hütte in den Bergen, dorthin ziehe ich mich gelegentlich zurück. Das ist unbedingt notwendig, um Kraft für meine Musik zu schöpfen.