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Ausgabe September 1998

INTERVIEW

Brasilianische Erfahrungen und das Leben als Vibraphonist: Florian Poser und sein Projekt "Brazilian Experience"

Autor: Dirk Meissner

Foto: Axel Stöcker

poser.jpg (9140 Byte)Jazzzeitung: Wie kommt ein Familienvater aus Oldenburg darauf, brasilianische Musik zu machen, woher kommen die Einflüsse?

Florian Poser: Heutzutage ist nicht mehr nur das Umfeld wichtig, sondern auch die CDs, die man hört...

Jazzzeitung: Aber das Lebensgefühl kommt ja nicht über die CD...

Poser: Es dreht sich ja dann doch mehr um die Musik. In meinem Wesen bin ich sicher ein ganz normaler Norddeutscher geblieben. Nun, die Liebe zu dieser Musik ist sehr alt, es kommen auch viele Jazzund Fusion-Einflüsse dazu, in den Siebzigern gab es ja auch schon Latin-Einflüsse im Jazzrock...

Jazzzeitung: Chick Corea und diese Bands...

Poser: Dieses "Dummdudumm du dummdudumm", das hat mir schon immer richtig Spaß gemacht. Das war der eine Strang , und das andere waren im Jazzbereich die Latinund Salsa-Stücke, wo ja auch mehr dahintersteckt, als daß man nicht mehr so gut triolisch spielen kann. Dann habe ich durch Klaus Ignatzek Claudio Roditi und Gus-tavo Bergalli kennengelernt, und so bin ich langsam an diese Musik herangeführt worden. Und durch Hendrik Meurkens (Harmonika), der auch ein Herz für diese Musik hat, wurde das Projekt dann wirklich konkret.

Jazzzeitung: Wobei ich Harmonika und Vibraphon nicht unbedingt mit brasilianischer Musik assoziiere...

Poser: Hendrik Meurkens ist sicher ein Farbtupfer in dieser Geschichte; ich kenne ihn schon sehr lange und wollte schon öfters mit ihm etwas machen.

Jazzzeitung: Ich denke bei "Brasilien" auch viel an Samba-Bands, Carneval in Rio und viel Percussion, da hast du ja ganz drauf verzichtet. Ist das Absicht, so gegen die Klischees zu arbeiten?

Poser: Das hat sich so entwickelt – gib mir zehntausend Mark, und ich hätte noch einen Percussionisten dazugenommen. Außerdem ist es ja nicht wirklich brasilianische Musik; es sind meine Stücke, es ist Latin Jazz, es ist meine Experience. Ich sehe das von der Rhythmusgruppe aus, ich wollte, daß es sich genau so anfühlt, wenn ich spiele; ich wollte so begleitet werden, daß von hinten genau das kommt.

Jazzzeitung: Ich höre viele Fusion-Einflüsse...

Poser: Das ist ja auch Portinhos Spezialität – angefunkte Brazilgrooves. Das ist sein Ding, da gibt’s auch nicht so viele, die das gut spielen können.

Jazzzeitung: Wie kommt man auf solche Musiker, fährt man nach Rio und kuckt im Telefonbuch nach?

Poser: Das sind häufig Zufälle. Hendrik Meurkens war mit seiner Band in Deutschland unterwegs und wollte, daß ich ihm vor einer Plattenaufnahme in Oldenburg einen Auftritt organisiere egal was an Geld ‘reinkommt. Als ich die Band dann gehört habe, dachte ich, tierisch, einmal im Leben mit so einer Band eine CD machen, das ist es. Der Grundstock ist also eigentlich die Hendrik-MeurkensBand (Porhino am Schlagzeug, Helio Alves am Piano und Rogerio Botter Maio am Baß) plus Bergalli und mich und meine Stücke. Zuerst wollten wir das Projekt in New York starten, aber seine Band hatte dann auf einer Tour eine Woche frei, und da konnten wir dann meine CD aufnehmen – das war eine große Chance. Ich habe selten auf Proben so wenig Angaben machen müssen, das klang alles sofort so, wie ich mir das vorgestellt habe – eine Riesenfreude.

Jazzzeitung: Dabei haben Vibraphonisten eigentlich ein schweres Los: kaum Jobs als Vertretung, Rock, Pop, Musical oder Big Band kommen auch ohne euch aus, Unterrichten ist sicher auch nicht so üppig und der Transport des Instruments ist auch etwas schwer...

Poser: Als Vibraphonist mußt du eigentlich alles immer selber machen, du wirst nicht angerufen, keiner will so ein riesiges Instrument. Ein paarmal habe ich Glück gehabt und konnte als Sideman spielen. Andererseits liegt darin auch eine Chance, weil ich sehr viel Zeit habe, meine Projekte vorzubereiten, neue Stücke zu schreiben – auch Orchesterstücke. Wenn ich einen Gig habe, kann ich mich ganz gezielt wochenlang darauf vorbereiten.

Jazzzeitung: Sessions und ‘mal am Wochenende spielen geht nicht so gut?

Poser: Sessions nur bei richtig guter Rhythmusgruppe, denn sonst baust du das Gerät auf, und dahinten sind so zwei Zum-pelmeister, und das kommt alles überhaupt nicht aus dem Quark.

Jazzzeitung: Gab es eine Verschlechterung in den 18 Jahren deiner musikalischen Tätigkeit, merkt man, daß die Clubszene ums Überleben kämpft?

Poser: Es ist zwar insgesamt schwieriger geworden, aber ich bin auch immer besser und bekannter geworden, also ist es für mich in etwa gleich geblieben. Selbst bei einem Projekt wie der "Brazilian Experience", wo wirklich First Calls aus der New Yorker Szene mitspielen, mußt du einen unheimlichen Alarm machen, daß du überhaupt deine Kosten ‘reinkriegst.

Jazzzeitung: Viele Clubs können die Gagen ja dann auch nicht mehr zahlen...

Poser: Das wird in diesem Fall etwas abgefangen, weil das Projekt ja auch etwas attraktiver ist, und die Veranstalter bereit sind, auch ein Risiko einzugehen. Mit einer guten Werbung wird die Hütte voll, und wir sind alle zufrieden.

Jazzzeitung: Trotzdem führt deine Tournee nicht nach Hamburg, obwohl du ja ein Hambur-ger bist, auch in München spielst du nicht...

Poser: In Hamburg spiele ich gerne im Birdland, wenn sich’s ergibt, das ist ’ne schöne Location, das versuche ich möglichst einmal im Jahr hinzubekommen, aber oft ergibt es sich einfach nicht. Die Unterfahrt war schon ausgebucht, Hannover hat terminlich nicht geklappt. Deutschland ist groß, es klappt nicht immer überall. Manchmal schickt man einem Veranstalter zwei CDs und ruft dreimal an und schickt vier Faxe, dann stellt er fest, daß der Termin ja schon vor Monaten vergeben wurde...

Jazzzeitung: Immerhin können die sich an dich erinnern, nach nur zwei CDs...

Poser: Ja genau, aber ich bin ja auch schon länger im Geschäft. Das ist natürlich das Prinzip "Steter Tropfen höhlt den Stein", man darf sich einfach nicht unterkriegen lassen, immer immer weitermachen, immer Druck machen – über die Jahre wird’s dann vielleicht etwas leichter.

Jazzzeitung: Wobei du ja keine schwerverdauliche Musik machst, die kann ja wirklich jedem gefallen.

Poser: Brasilianische Musik generell – da spiegelt sich so eine Lebensfreude, das behagt mir sehr. In Deutschland ist man ja gerne ein bißchen dunkelgläubig und bedeckt. Paolo Cardoso, der brasilianische Bassist von Klaus Ignatzek, meinte, er wäre hier durch die Straßen gegangen und habe sich gefragt, warum sind denn die Leute hier eigentlich so traurig; die haben Geld, die haben zu essen, können sich alles kaufen, haben Urlaub – was ist hier eigentlich los, was macht ihr falsch? In Rio sind die Leute wesentlich besser ‘drauf, obwohl die nichts zu arbeiten und wenig zu essen haben. Mein persönliches Credo ist auch so, daß man nicht immer so ‘rummault und sich beklagt...

Jazzzeitung: Hältst du deine Stimmung, wenn du wochenlang mit Veranstaltern telefonierst?

Poser: Monatelang! Aber das nehme ich überhaupt nicht mehr persönlich. Wenn ich telefoniere, dann ist das fast so, als würde ich für jemand anderen telefonieren; das ist wie ein zusätzlicher Job – aber das ist eine ganz andere Geschichte...

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