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Ausgabe Juni 1998

PORTRAIT

Familienbild mit Sängerin

Gabriele Hasler:
Profi in der Musik und im Selbstmanagement

Autor: Michael Scheiner

Foto: Michael Scheiner

Auswahldiskografie:
"God Is A She" (Foolish Heart), Foolish Music 1986

"Gabriele Hasler`s Personal Notebook" (w/Christian Muthspiel, Wollie Kaiser, Lars Lindvall), FM 1990

"sonetburger" (w/Elvira Plenar), nach Texten von Oskar Pastior, Foolish Music 1993

"Experience" (w/Andreas Willers) Nabel Records 1995

"Go In Green" (Duo - Roger Hanschel), JazzHaus Musik 1995

"Gabriele Haslers Rosentücke" (w/Thomas Heberer, Jörg Huke, Wollie Kaiser, Martin Wind, Susanne Müller-Hornbach, Jörn Schipper), FM 1996

"Familienglück" (G.H., Hans Lüdemann, Andreas Willers, nach Texten von Oskar Pastior) FM 1997

Gabriele HaslerAm Abend des 1. August wird Gabriele Hasler im Intercity von Frankfurt nach München sitzen, Noten ordnen, Programm der nächsten Tage durchgehen entspannen und kurz Luft holen vor einem siebentägigen Arbeitsmarathon, der beinahe täglich bis tief in die Nacht geht. Die Sängerin ist auf dem Weg nach Neuburg an der Donau. In dem malerischen Renaissancestädtchen am rechten Donauufer, dem früheren Haupt- und Residenzsitz des Fürstentums Pfalz-Neuburg, wird schon erwartet. Am nächsten Vormittag beginnt die "Neuburger Sommerakademie", ein über regionale Grenzen hinaus renommierter Workshop, bei dem Gabriele Hasler als Dozentin Jazzgesang, Improvisation und Combo unterrichtet.

Innerhalb der Sommerakademie nimmt der Jazz mit inzwischen acht Dozenten einen gewichtigen Raum ein, bildet sozusagen die Nahtstelle hin zur Populärkultur. Vor zwanzig Jahren begann die vom Kulturamt getragene Einrichtung als künstlerische Fortbildung mit klassischer Musik und Bildender Kunst. Über den Klavierdozenten Herbert Wiedemann, der ein Faible für Improvisation besitzt, hat der Jazz, der sich seit dem Bebop gleichermaßen gut mit der populären, wie mit der Hochkultur (resp. ernster Musik) versteht, Einzug in die Sommerakademie gehalten. Heuer kann der künstlerische Leiter Franz Billmayer den 20 Geburtstag der Sommerakademie feiern. Im Jubiläumsjahr gehören Tanztheater für Jugendliche und Kinder, Trommelkurse und Computeranimation im Rahmen Bildender Kunst zum Programm. In vierzehn Tagen wird vom 2. bis 15. August in parallelen Kursen ein umfangreiches Angebot bereitgestellt.

Gabriele Hasler ist seit 1991 oder 92 regelmäßig dabei, genau weiß sie es selbst nicht mehr. Wenn sie im Zug nach Neuburg sitzt, hat sie bereits einen Teil der Arbeit für die Sommerakademie hinter sich. Dazu zählt die inhaltliche Vorbereitung: Konzepte entwerfen, Auswahl und Aufbereitung von Übungsteilen, Schwerpunktsetzung, Planung eines Dozentenkonzertes. Darüber hinaus hat sie vor der Abreise aus dem mittelhessischen Staufenberg noch einen persönlich-familiären Organisationsberg bewältigt. Dieser ist keineswegs weniger wichtig als der künstlerische und ohne dessen hochprofessionelle Bewältigung wäre für die Musikerin künstlerisches Arbeiten unmöglich. Für die acht Tage in Neuburg muß Hasler die Betreuung von Lena-Marie und Johann-Moritz, ihren beiden Kindern, organisieren. Bei früheren Workshops hat sie das Mädchen, der Kleine ist erst ein gutes halbes Jahr alt, bei ihren Eltern untergebracht. Oder der Vater hat die Betreuung seiner Tochter allein übernommen, wenn er nicht selbst durch Auftritte oder eine Tournee eingeschränkt war. Einmal waren sie auch auf Sommerakademie mit dabei, eine Betreuung wurde vor Ort organisiert. In diesem Jahr ist Papa Jörn Schipper ebenfalls als Schlagzeug-Dozent engagiert. Ihre Kinder bringen sie deshalb mitsamt einem Au-Pair-Mädchen mit an die Donau. Lena-Marie nimmt dann an der Kinder-Akademie teil, die sich an sechs- bis zehnjährige Kinder richtet. Johann-Moritz bekommt viel bayerische Luft zu schnuppern.

Der Balanceakt auf dem Drahtseil zwischen Beruf und persönlich-familiärem Engagement verlangt ein hohes Maß an Improvisations- und Organisationstalent. Fähigkeiten, die auch in der Musik Haslers entscheidend sind. Jüngstes Beispiel ist das neue Album mit dem liebevoll-ironischen Titel "Familienglück". Hasler hat es im vergangenen Jahr mit den Kölnern Hans Lüdemann (piano) und Andreas Willers (el-g) und ihrem Lebens- und Künstlerpartner Jörn Schipper als Gastmusiker selbst produziert. Für die mehrteilige, zusammenhängende Komposition aus sieben Teilen verwendet sie Texte von Oskar Pastior. Für den in Berlin lebenden Poeten ist das Album ein Geburtstagsgeschenk zum 70sten geworden. Pastiors eigenwillige Fantasiesprache und feinsinnige Ironie kommen dem hintergründigen Humor entgegen, der in Haslers musikalischer Sprache manchmal fast triumphierend aufblitzt. Auf dem konsequenten Weg von ausschließlich englischsprachigen Jazzsongs (LP "God Is A She"), über die Auseinandersetzung mit weiteren musikalischen Einflüssen und deutsch als ureigener Ausdrucksform, hat sie selbst eine eigene lyrische Kunstsprache entwickelt. Vor allem auf dem "Personal Notebook" setzt sie das "Esperango" ein. In der Fantasiesprache scheinen Dadapower, surreale Eindrücke und Jandls spitzmündige Sprachpoesie auf. Mit kritischer Nachdenklichkeit, romantischen Seufzern und schlagerhafter Rabulistik verbinden sie sich in Haslers dunkler Altstimme zu einem groovend rhythmisierenden Duktus.

Im "Familienglück" greift die Komponistin und eigene Interpretin die logische Geschlossenheit von Pastiors Anagrammgedichten, für die er die straffe Form des Sonetts verwendet, auf: Sie belegt das Alphabet mit Tönen und leitet aus der so gefundenen Tonreihe Akkorde und Melodienbögen her. Neben dieser strengen Konzeption besticht das Album auch durch unbekümmerte Verspieltheit. Mit spürbarer Lust an Improvisation, Klang und Energie verschmelzen im Spiel der Instrumentalisten - und da zählt sich Hasler selbst mit ihrer Stimme uneingeschränkt dazu - Rationalität und Logos. Wie fast alle bisherigen Aufnahmen hat Gabriele Hasler auch "Familienglück" selbst produziert, auf dem eigenen Label "Foolish Music" verlegt und ist an der Vermarktung beteiligt. Lediglich den Vertrieb hat die, auf Unabhängigkeit bedachte Künstlerin, an den musikereigenen Vertrieb "JazzHausMusik" abgegeben. Dessen Konzept künstlerisch-kollektiver Eigenverantwortung paßt mit ihren eigenen Vorstellungen gut zusammen. Zudem arbeitet sie immer wieder mit Musikern aus dem Kölner Jazzhaus-Kreis und dadurch konnte ein gegenseitiges Vertrauen aufgebaut werden. Den eigenen Verlag hat Hasler mit dem Preisgeld des SWF-Jazzpreises gegründet, den sie 1984 verliehen bekam. Zwei Jahre später erhielt sie für "God Is A She" den Preis der Deutschen Schallplattenkritik und stieg für kurze Zeit zu "everybodies darling" auf. Kulturredaktionen und Publikumszeitschriften bis hin zur "Brigitte" stürzten sich auf die "Hoffnungsträgerin des deutschen Jazzgesangs" - und ließen sie bald wieder fallen, als die Lieder und Musik auf den nächsten Platten zu immer größeren und komplexeren Formen mutierten. In der kompositorischen Arbeit ist es der Musikerin damit gelungen eine eigene und unverwechselbare Tonsprache zu finden, die sie in Anlehnung an die "folklore imaginaire" des französischen Musikerkollektivs A.R.F.I., ihre "persönliche Folklore" nennt. Mit diesem Etikett kann sie hartnäckige mediale Zuordnungen vermeiden, die sie nicht selten in falsche Kästchen zwängen. Zudem glaubt sie damit einen Begriff gefunden zu haben, der ihrer Musik gerecht wird, "die sich aus weit mehr Quellen, als nur dem Jazz speist". Längst ist Hasler im grenzenlosen Niemandsland zwischen U und E angekommen, wo sie achselzuckend aber fröhlich "zwischen den Stühlen und Stilen sitzt". Parallel dazu hat sie stetig ihre Stimme weiterentwickelt. Vor einigen Jahren hat sie bei einem Musiktheaterstück am Frankfurter Mousonturm, für das sie die Musik komponiert und an dem sie selbst mitgewirkt hat, die Erfahrung gemacht, daß ihre Stimme auch ohne Mikrofon tragfähig genug für die Bühne ist. Eine Zeit lang hatte sie mit elektronischen Möglichkeiten experimentiert, ist aber "von diesen Gimmicks völlig abgekommen".

Davon profitieren heute wieder die Teilnehmer und Teilnehmerinnen an den Workshops, die Hasler in Neuburg, aber auch an anderen kulturellen Bildungseinrichtungen hält. An der Frankfurter Musikhochschule lehrt sie seit 1990 als Dozentin für Jazzgesang und Ensemblespiel. Höhepunkt, zumindest eine hochinteressante Abrundung der pädagogisch-künstlerischen Arbeit der Musikerin während der "Sommerakademie" ist die Uraufführung des "Rosenprojekts". Für das speziell für Neuburg konzipierte Dozentenkonzert mit Martin Wind (bass), Klaus Ignatzek (piano), den Gastsolisten Claudio Puntin (cl) und Thomas Heberer (tp) und Streichern greift Hasler auf Stücke aus ihrer wundervoll-aufregenden Rosen-CD zurück, die 1996 vom WDR aufgenommen und bei Foolish Music veröffentlicht worden ist.

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