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Ausgabe März 1998

JAZZ-PORTRAIT

ATTILA ZOLLER
13.6.1927 - 25.1.1998

Autor:
Hans-Jürgen Schaal

Fotos:
Ssirus W. Pakzad

Visegrad gehört zum touristischen Pflichtprogramm im Umland der ungarischen Hauptstadt. Als ich in der Abenddämmerung endlich oben auf der Burgruine stehe, muß ich daran denken, wie ehrfürchtig die Jazzfreunde in Budapest raunten: "Dort ist Attila Zoller geboren". Die schroffen, ausgefransten Zinnen überm anmutigen Donautal fallen mir seitdem immer wieder ein, wenn ich seine Gitarre höre: diese Mischung aus Kargheit und Romantik, Konstruktion und Empfindung. Ein Avantgardist mit Herz.

Wahrscheinlich war er der erste, der sich von der strengen Akkordschule der Jazzgitarre löste, um auf diesem Instrument das freie Abenteuer zu suchen. Die Experimente des Cool Jazz boten ihm ein Sprungbrett in die offenen 60er Jahre - ähnlich wie bei Lee Konitz, Albert Mangelsdorff, Jimmy Raney, Hans Koller, Martial Solal und anderen seiner Weggenossen. Duo- und Triobesetzungen kamen ihm daher entgegen: Sie ließen Raum für die Phantasie des Ungeprobten, für mutwillige Intervalle und überraschende Akkorde, bläserartige Linien und Pausen voller undefinierbarer Wärme. "Weißt, ich bin immer wieder verwundert, was aus der Scheiß-Gitarr' alles so rauskommt", sagte er noch vor zwei Jahren in einem Interview.

An meinem ersten Tag bei Enja, es war im Herbst 1992, fand ich auf meinem Tisch ein halb beschriebenes Notenblatt und einen Bleistift; sie gehörten Attila Zoller. Der Komponist so vertrackter kleiner Ohrwürmer wie "Struwwelpeter" und "Mr. Heine's Blues" hatte an meinem künftigen Arbeitsplatz seinen Gig vorbereitet: "Das bringt Glück", hätte Attila gesagt. Ich lernte, daß er ein Freund und häufiger Gast des Hauses war, und schlug ihm deshalb vor, doch mal zusammen in München eine Radiosendung zu machen. Natürlich wurde daraus nie etwas: Ich wußte nie, wann er auftauchte und wann er wieder ging. Man sah ihn vom Joggen kommen, man sah ihn aufs Taxi warten: ein liebenswerter Chaot, ein fahriger Reisender, einer, der sich selbst nur selten ernst nahm.

Fast vierzig Jahre lang lebte er in den USA, hatte ein Häuschen und eine eigene Jazzschule im schönen Vermont, wo es angeblich aussieht wie im Hügelland von Visegrad, nur waldiger. Die lange vermißte und in zahlreichen Artikeln reklamierte Anerkennung wurde ihm dann doch noch zuteil, wenn auch erst zum 70. Geburtstag im letzten Jahr. Es grüßten, gratulierten oder verliehen Auszeichnungen: der Bürgermeister von New York, der ungarische Staatspräsident, das American Guitar Museum, Gitarristen unterschiedlichster Jazz-Couleur und sogar Sonny Rollins (per Fax), der nicht vergessen hatte, wie sehr ihn Attilas Sound und Melodik einst beeindruckten. Attilas sperrige Originalität inspirierte Musiker jeder Richtung und Generation: "Er war mein erster wirklicher Gitarrenlehrer, damals 1968, als ich als 14jähriger Schüler mitten in Illinois an einem Workshop teilnahm", erinnert sich Pat Metheny.

Im September traf ich Attila noch einmal im Birdland in New York. Er rief meinen Namen, ich drehte mich um und erschrak. "Hast mi net erkannt?" sagte er lachend und war offenbar an das Verstummen der Leute schon gewöhnt. Er war von der Chemotherapie gezeichnet, aber bester Laune; das breite Lausbubengesicht war schmal und würdevoll geworden. Ich vergesse nicht, wie er spätabends zu seinem Auto an der 9. Avenue ging, rasch und sehnig, und mich zum Abschied umarmte. Mir war zum Heulen, aber er hatte immer noch ein launiges Wort.

Ein letztes Mal sah ich ihn im November in Deutschland. Es war seine letzte Konzerttour, er spielte unter Schmerzen, und ausgerechnet da wurde ihm in der Eisenbahn die Gitarre gestohlen. "Jetzt mag ich nimmer", soll er gesagt haben, "jetzt will ich sterben". Aber einen langgehegten Wunsch erfüllte er sich doch noch, nur Wochen vor seinem Tod: Eine Platte nur mit amerikanischen Standards hatte er seit Jahren einmal machen wollen. "Ich bin immer für dich da, ruf mich einfach an", hatte Tommy Flanagan zu ihm gesagt. Gehört hat die Aufnahme mit Flanagan und Mraz noch keiner hier in Europa.

Eine Münchener Tageszeitung meldete Attila Zollers Tod eine Woche zu früh, und andere Blätter zogen - trotz Dementi - nach, während alte Freunde (wie Albert Mangelsdorff) noch mit dem Sterbenden telefonierten. Der unberechenbare Schalk seiner mäandernden Gitarrenlinien schien auch noch aus dieser letzten makabren Inszenierung zu grinsen. Irgendwem lag wohl daran, daß wir den liebenswerten Chaoten und großen Künstler Attila Zoller nicht so schnell vergessen.

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