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Ausgabe März 1998

INTERVIEW

Mut zum Risiko -
Mut zur Improvisation

Helmut Kagerer und Helmut
Nieberle über Attila Zoller

Autor:
Andreas Kolb

Wenige Tage nach dem Tod von Attila Zoller traf sich Andreas Kolb von der Jazzzeitung mit dem Gitarristen Helmut Kagerer nach einem Konzert, um mit diesem über den Freund und Lehrer zu sprechen. Helmut Nieberle, der an diesem Abend im Publikum war, ergänzte die Gesprächsrunde.

Jazzzeitung: Ihr wart mehrmals bei Attila Zoller in New York zu Besuch. Welche Eindrücke davon sind am lebendigsten geblieben?

Kagerer: Alle in New York liebten Attila. Früher bin ich Nächte mit ihm ausgehängt. Wir zogen von einem Jazzclub zum anderen, er kannte jeden und stellte einem jeden vor. Er war ein lebenlustiger Mensch und hat das Leben 150 Prozent ausgekostet. Er hatte Energie bis zum geht nicht mehr.

Nieberle: 1992 war ich auch mit dabei in New York und es war beeindruckend, wie Attila sich beispielsweise in den Szeneclubs von Village Vanguard bewegte, so selbstverständlich eben wie ich in Regensburg. Wenn wir nach New York kamen, empfing er uns erst einmal in Queens in seiner Wohnung und kochte sein Spezialgericht, Paprika Chicken. Und dann ab in die Jazzclubs. Normalerweise kostet ein Set zirka 20 Dollar pro Nase, Attila aber kannten alle, und er führte uns kostenfrei durch die Jazzszene New Yorks. Mit den Stars warst du dann sofort auf Du. Er war dort daheim.

Jazzzeitung: Wann fand die letzte Begegnung statt?

Kagerer: Wir spielten anfang Januar im Gitarristenclub New Yorks, in der Zinc-Bar. Es waren zwei Gigs ausgemacht, am ersten Abend war schon nicht klar, ob Attila spielen kann, denn sein Gesundheitszustand war schlecht. Am zweiten Abend kam Attila dann tatsächlich nicht und ich saß alleine da. Attila hatte an diesem Tag Unglaubliches geleistet: Er war mit Tony Flanagan im Studio, die Platte wird demnächst bei enja erscheinen, danach ist er zu seinem Zahnarzt und dann hätte noch dieser Gig kommen sollen. Und das ganze in New York: in Brooklyn die Aufnahme, in Queens zum Zahnarzt und in Manhattan um acht Uhr einen Set spielen. So war er, ein unermüdlicher Typ. Und das mit diesen Schmerzen, gegen die er Morphium bekam. Was mich wahnsinnig freut, ist, daß die Aufnamen mit Tony Flanagan noch klappte. Am zweiten Abend saß ich dann tatsächlich alleine da und spielte ein bißchen für Tony Flanagan und Bill Milkowski, die im Publikum saßen. Paul Bollenbeck ist dann eingestiegen. der hat mir ein bißchen ausgeholfen.

Jazzzeitung: Ihr habt Attila immer wieder nach Deutschland eingeladen?

Kagerer: Wolfgang Lackerschmid hat ihn oft nach Deutschland geholt. Wir vermittelten ihn dann im März 1996 mit Lackerschmid zusammen beispielsweise zum Barney Kessel Benefizkonzert nach Regensburg, bei dem wir dann 5.000 Mark erspielten.

Jazzzeitung: Was ist das Besondere an Attilas Spiel?

Nieberle: Attila vertritt die Improvisation, er war radikal in Sachen Jazz. Er hat keine Licks gespielt, so wie die Gitarristen, die heute groß ‘rauskommen, die spielen einer schneller als der andere, lick, lick, lick. Attila hat sich das immer verboten, er hat sich bemüht live immer zu improvisieren, das ist mit Risiko verbunden. Man ist da von der Tagesform abhängig. Das war seine Philosophie. Er hat auch viel komponiert, viele Stücke, die in jedes Real Book hineingehörten, die viel zu wenig populär sind. Wir spielen beide gerne Stücke von ihm: "Meant to Be", "Samba Caribia" auf jeder unserer Platten ist ein bißchen von Attila.

Kagerer: Attila Zoller war ein Gitarrist mit einer ganz modernen Auffassung. Wie Jim Hall zum Beispiel. Ganz anders als Herb Ellis zum Beispiel, das ist eine andere Welt, ebenso Barney Kessel. Attila besaß auch Offenheit gegenüber technischen Errungenschaften, zum Beispiel einem Delay-Gerät oder einem Sequencer. Attila experimentierte immer, war immer auf der Suche. Am Schluß ist er wieder zum alten. melodiösen Stil zurückgekehrt.

Jazzzeitung: Was habt ihr als Gitarristen von Attila profitiert?

Kagerer: Ich habe mit mir ein paar Akkorde von ihm abgeschaut: seine Griffweise. Attila griff gern sehr dicke Akkorde, der Daumen spielt den Baß, man hat dann fünf sechs Stimmen. Das hat einen gewissen Sound, wenn man solche Klänge schlagen will, mit dem Plektrum, dann gibt es nur diese Griffweise. Sein Akkord-Sound war einzigartig, man hat drei Klänge gehört und wußte, das war er. Eigentlich einfach vom Konzept her, aber der Ton hat’s gemacht.

Ich war öfter in New York privat bei ihm, er stellte mir dann stets die jungen Gitarristen vor, die ihm ihre Platten schicken. Auch von Pat Metheny, einem seiner Schüler, hatte er alles da. Er hatte nie einen auf Meister gemacht, aber er hat eine gute konstruktive Kritik draufgehabt, wenn er hörte, man macht da jetzt irgendeinen nach. Baudisch-Kagerer hätte ihm vielleicht eher nicht gefallen, das ist eher die Rock n’ Roll-Kiste. Obwohl, wer weiß?

Nieberle: Wir haben uns ein ganz bestimmtes Stück von ihm zeigen lassen, ein Stück von einem Klavierspieler, der im Stil von Bix Beiderbecke komponierte. Es heißt "Restless", und Attila hatte das drauf als Solostück. Das wollten wir Ton für wissen. Wir sind auch ein bißchen altmodisch. Und wir quetschten ihn immer wieder aus: Wie geht diese Stimme und wie klingt jener Akkord. Bis wir plötzlich merkten, jetzt fliegen wir den weiten Weg nach New York und wollen von einem Modern-Jazz-Gitarristen wissen, wie dieses altmodische Zeug geht. Absurd. Das Stück könnten wir heute noch spielen, das können nur wir, Attila, Kagerer und Nieberle. Ende der siebziger Jahre war Attila oft in München im Domizil. Da habe ich in angesprochen, ob er mir eine Stunde gibt. Im Hotelzimmer schickte er dann eine blonde Maus raus und wir machten da die erste Stunde. Das kostete damals 50 Mark – aber es gab noch einen Satz Saiten dazu.

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