Aktuelle Ausgabe Jazz in München Jazz in Hamburg Jazz bundesweit
Ausgabe Oktober 1997
bis Februar 1998

TRANSATLANTIC
GABI'S CALLING


gwahlbri@student.berklee.edu
Gabi
Musiklehrerin für Saxophon und
Klavier an der Musikschule der
Stadt Regensburg, eine jazzbegei-
sterte, hochbegabte Musikerin,
aber auch Komponistin und Arran-
geurin. Sie fuhr zu einem Workshop
nach Perugia, stieg beim Abschluß-
konzert grippeumnebelt mit der
Workshopband aufs Podium und
kam mit einem Stipendium für
Berklee wieder herunter. Jetzt
studiert sie dort.


bayernjazz@t-online.de
Richard
ist Leiter des Bayerischen Jazz-
instituts und "Fachlicher Betreuer"
des Landesjugendjazzorchesters
Bayern.
Beide kennen sich seit Jahren, und
es erscheint uns nicht uninteressant,
was ihr Meinungsaustausch über
Amerika bringt.

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5.9.1997, 12.08h

Hallo lieber Richard,

das erste Mal in meinem Leben versuche ich zu e-mailen, und ich hoffe, daß mein kleiner Brief bei Dir ankommt. Hier in Boston ist so ziemlich alles aufregend. Bis heute bin ich auf Zimmersuche. Die Zeitungen sprechen von einem Horrorjahr für Studenten. Das letzte Loch kostet noch 1200 DM. Seit gestern weiß ich wieder, warum ich eigentlich hier bin. Ich hatte meine Eingangstests und Audition, und Bill Pierce hat mich in einen very high level eingestuft. Das war sehr schön und bedeutet auf breiter Linie, guten Unterricht zu bekommen - juch-huhh!!

Es würde mich freuen, wenn Du mir zurückmailen würdest, einmal, um zu sehen, ob die Nachricht angekommen ist, zum anderen um zu hören, was es bei Dir/Euch so Neues gibt, wie es Dir geht......

Liebe Grüße aus dem wilden Westen

Gabi

 

14.9.1997, 16.15h

Liebe Gabi,

vielen Dank für Dein e-mail. Leider ließ die Antwort etwas auf sich warten. Aber jetzt ist es so weit: Theo Geissler, mein alter Freund, hilft mir beim Erstellen meines ersten e-mails. Alle Regensburger lassen Dich "herzlich grüßen und so...", ich tue ein Gleiches und hoffe, daß beides bei Dir ankommt. Jetzt werde ich dieses Werk starten. Keep it swingin’

Richard

PS. Theo rät: wenn Dich das Heimweh packt, schau doch mal in die Web-Seite der NMZ:

http://www.nmz.de

 

30.9.1997, 12.05h

Liebe Gabi,

jetzt mache ich doch einfach einen zweiten Versuch, diesmal ohne Theo, den Computerkundigen. Ich hoffe, es kommt am Schluß tatsächlich zu Dir.

Das Landes-Jugendjazzorchester war jetzt 10 Tage im Süden der USA (Memphis und Umgebung). Musikalisch muß es großartig gewesen sein, aber ansonsten fanden unsere Leute den "way of life" der Amerikaner nicht sehr ansprechend. Jedenfalls wurde sehr viel mehr Kritisches als Begeisterung geäussert. Nun meinte Harald, das sei vielleicht im Süden, quasi auf dem Land, so und könnte anderswo ganz anders sein.

Das, was mir von Deinen Äusserungen berichtet wurde, scheint diese Auffassung zu bestätigen. Dir scheint es ja ganz gut zu gefallen. Ich hoffe, daß dem tatsächlich so ist, und daß es Dir gut geht, und Dir das alles Spaß macht.

Mit herzlichen Grüssen vom Donaustrand

Dein Richard

 

30.9.1997, 16.45h

Lieber Richard,

soeben habe ich Deinen netten Brief gelesen. Es ist schön, von Dir und meiner alten Heimat zu hören. Demzufolge weißt Du also, daß Dein e-mail auch ohne Theo angekommen ist. Ich bin auch ganz stolz, daß ich meine Computeraversion ein wenig abgelegt habe. Im Gegenteil, ich fange an, die neuen Möglichkeiten zu geniessen.

Schade, daß Du nicht mit in den USA warst, dann hättest Du mal vorbeischauen können. Man hört so oft, wie die USA sein sollen, aber es läßt sich einfach kein Urteil fällen, da das riesen Land 1000 Gesichter zu haben scheint. Selbst an einem Ort wie Boston findet man unglaublich verschiedene Lebensformen, obwohl man die Wurzeln der alten Puritaner noch überall zu spüren kriegt. Hier ist es vorwiegend englisch, der Baustil, das Schulsystem, der aufmerksame Umgang der Einwohner miteinander, alles erinnert mich stark an meinen Kurzurlaub in London.

Dann wieder sehnt man sich nach einem gemütlichen Cafe o.ä., nach schönen Treffpunktmöglichkeiten, wie es das schnuckelige Regensburg zu bieten hat, und was findet man, nix, bis auf die hässlichen, typisch amerikanischen Fastfoodketten. Natürlich gibt es auch Restaurants, die sind allerdings nichts für arme Studenten.

Mittlerweile habe ich für hiesige Verhältnisse ein wunderschönes Zuhause gefunden, mit Blick auf Bäume, ohne Kakerlaken. Auch im College spielt sich so langsam der Arbeitstag ein. Nach unzähligen Prüfungen hab ich es geschafft, eine Menge Credits zu sammeln, d.h. ich bin in guten anspruchsvollen Kursen gelandet. Es sind die Kurse, die man mindestens machen muß, wenn man hier studieren will.

Bei uns hat man ja die Möglichkeit, gleich Examen zu machen, wenn man meint, es zu schaffen. Hier muß man bestimmte Kurse wie: chord scales, reharmonisation, den letzten eartraining-kurs....belegt haben, um dann weiter zu machen. Dafür erhält man aber auch alle Credits, die alle untergeordneten Kurse bringen, nach Bestehen der fortgeschrittenen Kurse. Man ist in eine straff durchorganisierte Mühle eingespannt, muß ständig irgendwelche Prüfungen machen und darf nicht fehlen.

Meine Lehrer sind durch die Bank sehr qualifiziert, das macht Spaß, und in meinen Kursen sitzen zum Teil nur 4 Leute, das ist schon sehr elitär. Alles in allem macht es sehr viel Spaß. Das sogenannte Saxofonquartett (laut Bill Pierce) ist allerdings in Wirklichkeit schlechter als mein Schülerquartett, und hier muß ich noch dafür bezahlen. Das passiert mir nicht noch einmal.

Konzerte gibt es noch und nöcher, eines besser als das andere. Gerade bin ich dahingeflossen bei einem Konzert von James Moody mit Nussbaum und dem Aebersoldbassisten. Am Tag darauf habe ich mir Bill Pierce angehört. Für mich waren Welten zwischen diesen beiden Konzerten. Aber vielleicht verstehe ich auch die neue Welt noch nicht. Ich bin halt ein Veteranenfan.

So jetzt habe ich Dich wieder lange von Deinen schriftstellerischen Arbeiten abgehalten. Es ist schon verrückt, jetzt gibt es die Landesjugendband schon 10 Jahre. Auf bald.

Alles Gute vom Walestrand dem Richard am Donaustrand,

Gabi

 

30.09.1997, 16.45

Lieber Richard,

es tut mir leid, daß ich erst jetzt antworte, aber ich hatte vorher einfach keine Gelegenheit an den Computer zu kommen. Die Warteschlangen werden immer länger und oft ist einfach keine Zeit so lange zu warten.

Das Thema "Was so auf einen zukommt, wenn man in die Berklee-Maschine gerät" könnte eine Doktor-Arbeit werden. So spontan muß ich erst einmal die 1000 Sachen ordnen, die alle gelaufen sind. Aber es macht sicher Spaß, sonst verblaßt der Horror womöglich noch, ich spür ihn jetzt schon kaum noch. -

Es gibt hier hochqualifizierte Leute, die so viel tun, wie ich es noch nirgends sonst erlebt habe. Ich wußte gar nicht, daß eine einzelnes Menschenkind überhaupt in der Lage sein kann, so viel in einem Leben zu schaffen.

Allerdings scheint es hier um einiges leichter zu sein vorwärtszukommen. Es werden einem nicht ständig Steine in den Weg gelegt, aus was für schlechten Gründen auch immer. Hier herrscht eine allgemein positive Einstellung nicht nur im Schaffen, sondern auch dem Schaffenden gegenüber. Man hilft sich, wo man nur kann (manchmal hab ich das Gefühl, bei uns ist es genau umgekehrt). Teamgeist wird hier großgeschrieben, dadurch trägt sich vieles wie von selbst. Alles in allem kommt einfach Spaß dabei heraus, und wenn etwas Spaß macht, und nicht nur einem allein Spaß macht, schafft man einfach mehr und fühlt sich dabei überhaupt nicht mehr erdrückt.

Aber das ist natürlich nicht der einzige Grund dafür, das es hier gute Leute gibt. Sie tun einfach auch nicht so viel unnützes Zeug drumrum und gehen gleich den Kern der Sache an. Ich dagegen Kreise ständig um den heißen Brei, weil das Thema immer so aufregend ist. Ich hoffe, ich werde noch etwas von ihren effektiven Zeitsparmaßnahmen lernen, das kann nur gesund sein, dann komm ich vielleicht doch noch zum Whale-Watchen am Wochenende.

Nun ist es allerdings schon wieder spät, und ich wollte noch ein bißchen üben. Mein Lehrer spielt immer so furchtbar schnell. Gestern abend habe ich Michael Brecker einmal ganz anders erlebt, in einer kleinen Hotelbar. Es war ein sehr beeindruckendes Konzert. Alle sind sie so furchtbar schnell. Wie gut, daß man hier bis ein Uhr nachts üben kann, wenn man es in den kleinen Telefonzellen so lange aushält.

Ich hoffe, daß es Dir gut geht und grüße Dich kräftig.

Bis bald Gabi

 

2.11.1997, 11.43

Liebe Gabi,

vielen Dank für Dein letztes mail. Tut mir leid, daß Du Schwierigkeiten mit dem mailen hast. Für mich alten, verbohrten Europäer wäre es nicht weiter verwunderlich gewesen, wenn im Land der unbegrenzten Möglichkeiten jeder Student seinen eigenen Computer gehabt hätte. Trotzdem sollten wir - notfalls auf dem normalen Postweg - weitermachen. Unsere erste "Transatlantic"-Korrespondenz im Oktoberheft ist erschienen, das Heft ist auf dem Weg zu Dir. Hoffentlich macht es Dir Spaß, damit die Energien wachsen. Wir wollen von Dir nach wie vor einiges über Berklee und Amerika wissen.

Herzlichst Richard

 

3.11.1997, 18.02

Hallo lieber Richard,

gerade fällt eine Stunde aus und ich husche schnell zu meiner Post. Was sehe ich da? Unser Artikel ist wohl wirklich erschienen, denn ich habe soeben einen langen Brief von einem Zeitungsleser bekommen. Ich glaube nicht, daß ich ihn kenne. Es ist ein netter Brief, der mir Kontakte zu den Local Heros im traditionellen Jazz verspricht. Ist doch toll, oder?

Es ist etwas, was mir ein wenig fehlt, denn die Berklee-Reality kann auf Dauer für mich nicht die einzige Reality. Ich werde mich mal per e-mail auf die Socken machen und den vom Leser empfohlenen Billy Novick (Komponist/Arrangeur/Holzpieler) aufsuchen. Bin mal gespannt, was da herauskommt.

Außerdem weiß ich jetzt, wo man in Cambridge die besten Ribs kriegt. Na, wenn der Artikel kein Erfolg ist!!!!!!!!

Alles Gute und bis bald grüßt Dich die Gabi

 

4.11.1997

Lieber Richard,

nun ist es endlich so weit, daß ich doch einen Computerplatz bekommen konnte. Anscheinend kriegen hier jetzt ploetzlich alle Heimweh oder so. Hinzukam, dass ich mal wieder eine Prüfung nach der anderen hatte, wir haben gerade ‘Midtermzeit’, alle Kurse machen Zwischenprüfun-gen, Hochsaison sozusagen. Jetzt müßte ich eigentlich zur Kur. Trotzdem ich nicht viel zum Arbeiten gekommen bin sind die Prüfungen sehr gut ausgefallen. Es ist einfach immer wieder gut zu sehen, wo man eigentlich steht. Gerade habe ich erfahren, dass ich zu den Credit-spitzenreitern gehöre, es ist schon ein komisches Spiel hier.

Jetzt bleibt nur noch ein kleines Bigband-Arrangement zu schreiben, und dann schreib ich Dir etwas von den ersten Eindrücken des Studienbeginns hier. Es wird spaetestens am Wochen-ende passieren.

Was macht die Musi? Spielst Du? Ich lauf nur noch zwischen College und zuhause hin-und her und seh sonst nix mehr. Trotzdem komm ich nicht zum Saxofonüben. Zum üben zu kommen scheint hier im Hause zu den Luxusgütern zu gehoeren. Es stellt sich mittlerweile die Frage, ob man nächstes Semester etwas kürzer tritt, damit man sein Instrument noch wiedererkennt. Andererseits beissen mich so einige Kurse. Zu Anfang hatte ich nur so eine Ahnung, aber jetzt ist es ziehmlich klar, dass ich bei den besten Lehrern gelandet bin. Ich könnte bei ihnen weiter-machen, Bigband-Arrangement oder Komposition studieren, ja, das wär auch sehr fein, nur dann ist die Zeit wieder voll. Die guten Leute wollen nämlich was von einem, da geht nix mit ein bischen mal ‘reinschnuppern. In zwei Wochen geht schon wieder die Preregistration für das nächste Semester los, bis dahin muss ich mir überlegt haben, was ich will.

Nach wie vor macht es trotz Stress sehr viel Spass. Die Lehrer sind so schön lebendig. Natür-lich haben gerade die guten Lehrer auch ihre Unterforderungskrankheiten, aber sie sind alle mitten im aktuellen Musikgeschehen und keine abgestellten Musikpädagogen. Es ist einfach unfassbar was sie alles auf die Beine stellen. Greg Hopkins z.B. steht pausenlos auf den ver-schiedensten Bühnen mit verschiedensten Besetzungen, als traumhafter Spieler oder Bigband-leiter, schreibt ununterbrochen irgendwelche neuen zauberhaften Arrangements und interessiert sich auch noch für meinen kaputten Fahrradschlauch. Es ist einfach unglaublich. So etwas läßt sich nur bewältigen, wenn man da ganz ganz oben, weit über den Dingen schwebt. Und das Schöne bei allem ist das kollegiale Miteinander, egal ob viel Tier oder etwas weniger Tier (kommt von tierisch).

Jetzt sitz ich hier schon wieder so lange. Ich meld mich am Wochenende wieder und grüße Dich ganz herzlich Gabi

 

5.11.1997, 10.49

Liebe Gabi,

tut mir leid, daß Du mein letztes Antwortschreiben gleich viermal erhalten hast. Deine Verdächtigung der Geräte tut mir zwar irgendwie gut, aber ich weiß es besser: irgendwie brachte ich mein e-mail nicht aus dem Haus. Es schien erst nach dem vierten mal geklappt zu haben, jetzt weiß ich es besser. Zu Deiner Frage nach den November-Schreiben. Sie sind alle eingetroffen.

Ich freue mich, daß Du nach wie vor guter Laune bist und mit der Streßsituation anscheinend ganz gut fertig wirst. Wir hier haben das allerdings nicht anders erwartet. Gespannt sind wir jetzt, was Du am Wochenende für uns zusammenbaust. Ich freue mich auf Deine nächsten Nachrichten.

Keep it swingin’ Richard

 

10.11.1997, 14.02

Lieber Richard,

nun will ich endlich etwas über meine ersten Eindruecke hier erzaehlen.

Nun zu den Anfängen hier im Burger-Land. Nachdem ich Monate vor meiner Abreise nach Boston nichts anderes mehr getan habe als 1ooo organisatorische Notwendigkeiten zu erledigen (allein die "application-form" ist ein ganzes Buch voller Aufgaben, um das F1- Visum zu bekommen muß man nach Frankfurt reisen und sich in langen Warteschlangen vergnügen, mit etwas Glück bekommt man dann das Visum noch vor seinem Abflug , ein Abonnement beim Arzt ist unabdingbar, da die Impfbestimmungen der U.S.A sehr umfassend sind......u.s.w., u.s.w.), hatte ich mich auf eine ruhige Einführungszeit in Boston gefreut. Das "Berklee College of Music" hatte an alles gedacht. Der Guide für internationale Studenten läßt keine Fragen mehr offen. Von wichtigen Einreisebestimmungen bis zur Beschaffung einer Briefmarke wird alles bis ins kleinste Detail beschrieben. Diese Form von klarer, unkomplizierter Informations-vermittlung ist mir seither sehr häufig auch an anderen Stellen angenehm begegnet.

Auf der anderen Seite hatte ich ein geschlagenes Jahr fast jede Woche Berklee- Material zugeschickt bekommen, zum Teil doppelt und dreifach in verschiedenen Ausführungen. Gerne hätte ich auf diesen Info-Regen verzichtet und dafür weniger Studiengebühren gezahlt. Für einen Frischling, der gerade seine Schulzeit beendet hat, stelle ich es mir schwierig vor, das Wesentliche aus dem Papierdschungel herauszuziehen. Aber was weiß ich schon von privat-wirtschaftlichen Unternehmen.

An eine ruhige Einführungswoche war gar nicht zu denken, Pustekuchen. der schon vertraute Info-Regen wandelte sich in einen heftigen Hagelschauer, und der Duft des privatwirtschaft-lichen Unternehmens wurde zuweilen so streng, daß ich froh war zwischendurch die frische Ozeanluft schnuppern zu können. Wenn man in deutschen Verhältnissen aufwächst hat man

Schwierigkeiten dieses System zu akzeptieren, das System der " Education für die Reichen". Wer sonst hat schon als Musiker das Glück, daß alle Sterne gleichzeitig vom Himmel fallen und man das große Geld macht, das man braucht,um anschließend seine Studienkosten abzubezahlen ( ein kleines Einfamilienhaus kommt da schnell zusammen).

Auch der Wohnungsmarkt paßt sich von heut auf morgen den gegebenen Umständen an. Noch bevor sämtliche Zeitungen vom Horrorjahr für wohnungssuchende Studenten berichteten, bekam ich selbiges zu spüren. 1ooo DM für ein kleines dunkles Zimmer (ohne Kochnische oder Bad) zählt zum Standard.

Die Woche der Registration ist ausgefüllt von der ersten bis zur letzten Minute. Bei fast 3ooo Studenten grenzt es an ein Wunder, dass am Ende dieser Woche fast jeder Student seinen Weg durch die Vielfalt der Kursangebote gebahnt hat. Neben dem Papierhagel stehen überall Fach-leute und Studenten für Anliegen aller Art ( von Studienfragen bis hin zur psychologischen Betreuung ) zur Verfügung. Keiner wird allein gelassen, jeder wird an die Hand genommen, sofern er es will. Die Auswirkung dieser Art von Betreuung auf das Wohlbefinden jedes Einzelnen und sein Tun ist, auch wenn es nur selten bewußt wahrgenommen wird , gar nicht zuüberschätzen.

Die Informationsveranstaltungen sind meist eine bunte Mischung aus Berichten von Studenten und Fachdozenten. Sie haben fast einen Happening-Charakter und lösen einen frischen Taten-drang bei den Massen aus. Die so bekannte Ermüdung, die sich bei spröden öden Reden kaum

verbergen läßt, ließ auf sich warten. Sind das Wichtigste, die Dollar-Abgabe und die unzähli-gen organisatorischen Kleinigkeiten, getätigt wird der Berklee-Student auf seine musikalischen Fähigkeiten hin von oben bis unten abgekloppft. Detaillierte Prüfungen in den Bereichen Theorie, Harmonie, Arrangement, Gehoerbildung und eine Audition, die die instrumentalen Fähigkeiten beurteilt, sind zwar nicht immer angenehmster Bestandteil der Registration, bieten aber im allgemeinen dem Einzelnen eine gute Einordnungsmöglichkeit in das Berklee-System. Auch hier ist es die kollegiale Art und Weise, die den Druck der viel Getesteten umwandelt und in ein neutrales Selbsteinschätzungsprogramm überleitet. Bei den unterschiedlichsten Testergebnissen scheinen die Menschen gleichwertig nebeneinander zu stehen.Jeder weiß für sich woran er zu arbeiten hat. So sollte es immer sein, wie oft empfindet man sonst den grauen Dunst der Degradierung.

Die bei uns so großgeschriebene Frage nach Motivation entfällt in erster Linie aus den beschriebenen Kostengründen. Aber auch die Qualifikation der Dozenten und die ehrliche Art der Vermittlung ihres Wissens trägt ihren Teil dazu bei. Ich hatte zu Beginn arge Befürchtungen, überhaupt noch zu dem eigentlichen Grund meines Daseins zu kommen, aber die organisationsbelastete Anfangsphase wurde dann plötzlich abgelöst von qualifiziertem Unterricht, und läßt auch weiterhin eine Bereicherung erhoffen.

Lieber Richard, ich muss ganz schnell zu meinem Kurs. vielleicht melde ich mich später noch einmal. Dabei fällt mir gerade ein, daß es bei Dir ja schon wieder 6 Stunden später ist, Mist. also bis später,

Deine Gabi

 

12.11.1997, 17.30

Hallo Richard,

da bin ich wieder. Mittlerweile dürfte es schon fast halb elf bei euch sein, aber ich wollte mich doch noch einmal kurz melden, weil ich vorhin so schnell abdüsen mußte. Beim Schreiben habe ich erst gemerkt wie viele neue Eindrücke hier so auf einen zukommen, bzw. schon auf einen zugekommen sind. Es gibt so viel zu erzählen, ob es nun für jemand anderen Sinn macht ist eine zweite Frage. Ich bin mal gespannt, was sich alles noch so tut, in der Zeit in der ich hier bin.

Gestern Abend habe ich ein Konzert mit Joe Henderson (einem meiner Lieblingstenoristen), Tommy Flanagan, Steve Swallow, Dave Holland ... gehört. Es war eine Ohrenweide , besonders die zauberhaften Töne von Flanagan. Jesus! Aber auch kein Ton war zu viel oder am falschen Fleck. Ich bin noch so angetan, dass ich morgen gleich in einen Club eintrete, wo man 11 CDs für den Preis von einer kriegt. Ich werde eine ganze Latte Tommy Flanagan bestellen, Jim Hall, Claire Fischer, Joe Henderson... . Manchmal hat die Musik wirklich nichts mehr mit dem irdischen Dasein zutun.

Mittlerweile hab ich es auch schon etwas gelernt sich schlau in diesem Lande zu bewegen. Zwangsläufig, weil die Dollars einfach fehlen. Wenn man überall wachsam ist, findet man für alle Belange Coupons mit denen man viele Dollars sparen kann, hier 5$ off für CDs, da 4$ off für die Whale-Watchtour oder den Besuch des Hancock-Towers. Selbst in Kaufhäusern darf man nichts zum regulären Preis kaufen, sonst ist man einfach dumm. Im Supermarkt und an vielen anderen Stellen gibt es Spezialmagnetkarten, mit denen man fast nur die Hälfte zahlt, die Telefongesellschaften sind ein einziges Labyrinth, aber wenn man das Knowhow der Eingeborenen in Anspruch nimmt, kommt man auch da auf mindestens ein Viertel des Preises....... . Es ist furchtbar, man muß sich mit so viel Krimskrams beschäftigen, aber sonst wird man einfach von vorn bis hinten veräppelt. Alles kostet Zeit und Energien. Und das Allerschlimmste ist, das wir uns in unserem guten, einst so beständigen deutschen Lande mit Riesenschritten auf den gleichen Krimskrams zubewegen.

Nachrichten im Fernsehen kann man hier schon total vergessen. Ohne Zeitung ist man aufgeschmissen. Ich bin ganz glücklich seit einer Woche drei sehr gute Radiosender gefunden zu haben (ich habe mir eine Spezialantenne gebastelt). Sie sind schwerer zu bekommen, als die sendestarken Smooth-Jazz-Plastik-Privatsender, dafür aber in der Qualität viel besser als bei uns. Jetzt hab ich schon wieder so viel geschrieben, dabei wollte ich mich doch nur kurz melden.

Ich würde mich freuen mal ein paar Neuigkeiten aus dem gemütlichen Regensburg zu erfahren. Bitte grüße alle ganz herzlich von mir.

Alles Gute wünscht Euch die Gabi

 

 

 

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