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            Jazzzeitung
               2010/03  ::: seite 13
              rezensionen
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       Bill Carrothers 
        Joy Spring 
      Pirouet Records PIT3046 
        Clifford Brown hinterließ trotz seines erschreckend kurzen Lebens
        ein Erbe, das über Generationen reicht. Wenn sich nun der Pianist
        Bill Carrothers mit der Hinterlassenschaft des legendären Trompeters
        beschäftigt, darf mit einer besonderen Hommage gerechnet werden.
        Zu simpel wäre das Zitat, zu kleingeistig das Recycling, zu banal
        die Antithese. Bill Carrothers ist ein Mann für unberechenbare,
        zugleich feingeistig filigrane Kreativität.  
        Seine Stärke liegt in einer ganz eigenen, sublimen Musikalität,
        die den Zwischentönen hohen Wert beimisst, nachdenklich und nachdrücklich
        den eigenen Kopf ins Spiel bringt, ohne dabei überhöht dogmatisch
        daherzukommen. Weder der Versuchung zum Pathos noch der zur allzu naiven
        Adaption erliegt das denkbar anregend interagierende Trio mit Carrothers,
        Drew Gress, Bass, und Bill Stewart an den Drums. Keine Lautstärke,
        keine plakative Virtuosität, kein verdrehtes Anderssein um jeden
        Preis. Nach einem quirlig tänzelnden „Junior‘s Arrival“ nähert
        sich das Titelstück fast wie in Zeitlupe dem Kern der Komposition,
        legen „Jacqui“, „Gertrude’s Bounce“ „Time“ und „Powell’s
        Prances“ die kreative Spur zu Bud Powell‘s Bruder Richie,
        der ebenfalls bei dem Autounfall ums Leben kam. Der Bogen spannt sich über
        die Brown-Originals „Gerkin For Perkin“, „Daahoud“ und „Tiny
        Capers“ und gern von ihm gespielte Stücke – „Delilah“ und „Jordu“ – bis
        hin zu Benny Golsons „I Remember Clifford“. Eindringlicher
        und zugleich eigenständiger ist solches kaum vorstellbar. 
        Tobias Böcker 
      Bobby McFerrin  
        VOCAbuLarieS 
      Emarcy 0602527255569 / Universal 
        Es hat kosmische oder zumindest unsere ganze Welt umspannende Züge,
        das Unterfangen, dem sich Bobby McFerrin gemeinsam mit dem klassisch
        ausgebildeten Komponisten, Arrangeur und Sänger Roger Treece stellte.
        Der eigentliche Anlass war eher profan – Treece hörte sich
        auf Veranlassung von McFerrins Managerin durch ein paar hundert Stunden
        Liveaufnahmen McFerrins. Sei’s drum: Sieben Songs in ebenso vielen
        Jahren schrieb Roger Treece am Ende für das Projekt – faszinierend,
        wie hier Zahlenmagie und Spiritualität einfließen. McFerrin,
        der schon des öfteren mit „Voicestra“, seinem zwölfstimmigen
        Gesangsimprovisationsensemble, unterwegs war, bringt auf dem neuen Album
        seine Motivationsfähigkeit für andere und seine stimmliche
        Einzigartigkeit voll zum Tragen. Letztlich erschafft der mehrstimmige
        Gesang auf „VOCAbuLarieS“ durch den Einsatz von fünfzehn
        Sprachen und McFerrins „eigener“ Sprache eine bislang ungehörte
        Vokalkunst, ein neues, grenzüberschreitendes, dabei für alle
        Menschen verständliches Genre. Denn Worte, egal ob sie inhaltlich
        verstanden oder lediglich als menschliche Äußerung wahrgenommen
        werden, sind es, worin wir uns alle wiederfinden – als „Spezies
        Mensch“. Und auf dieser CD, mit sparsamer Begleitmusik, entspringt
        aus der Sprache eine wohlige Wärme, entsteht aus Worten eine friedvolle
        Ansprache an die Menschheit. Reiner Gesang ergibt letztlich eine Musik
        voll harmonischer Schönheit. Erstaunlich, wie schnell da Schubladendenken
        oder auch Ländergrenzen zur Bedeutungslosigkeit verblassen… 
        Carina Prange 
      Fred Frith Cosa Brava  
        Ragged Atlas 
      Intakt Records 2010  
        Fred Frith, ein Impressionist, der Emotion aus elektrifizierter Klangfarbe
        zu schöpfen weiß - oder der einfühlsame Komponist, der
        in melodiösen Songstrukturen denkt und diese mit kongenialen Mitmusikern
        zur Entfaltung bringt? Auf seinem neuesten Album demonstriert der Brite
        vor allem letzteres. Vereint findet sich hier sein Spiel mit langjährigen
        Weggefährtinnen und -gefährten wie Zeena Parkins und der Violinistin
        Carla Kihlstedt. Was sind das für Song-Epen, die sich hier in 13
        langen Stücken aufbauen, und in denen sich viele Bezüge aus
        der reichen Schaffenshistorie von Fred Frith aufs kunstvollste verwoben
        finden! Die sich oft zu rockiger Emphase, dann wieder zu fragilen Momenten
        subtil-betörender Schönheit aufschwingen! Collagenhaft und
        in tänzerischer Leichtigkeit geht es durch epische Labyrinthe. Sperrig-verspielte  
        Progrock-Versatzstücke erinnern an Frith` alte Bands wie Henry Cow.
        Hier fungieren sie als dynamisches Bindeglied, um sich poetische Gesangsparts,
        Klangkunst, Improvisation und immer wieder auch Folk einzuverleiben.
        Musikantisch leicht wirkt das Spiel zwischen Fred Frith und dem Spiel
        auf Akkordeon und E-Harfe von Zeena Parkins. Und Fred Frith greift zum
        E-Bass, um dem sphärisch-folkigen, dann wieder latent orientalisch
        gefärbten Violinspiel von Carla Kihlstedt einen verlässlichen
        Boden zu schenken. Dies alles wirkt bei aller Vielschichtigkeit echt
        und klar in der Aussage, weil fragile, tief persönlich anmutende
        musikalische Ideen sämtlichen komplexen Bögen mit ihren raffinierten
        Schnitten, Wendungen und doppelbödigen Soundeffekten zugrunde liegen.  
        Stefan Pieper  
      Michael Schiefel 
        My Home Is My Tent 
      Traumton 4539 
        Momentan weiß man gar nicht, welche Vokal-Solo-Veröffentlichung
        man zuerst hören soll. Da gibt es Neues von Bobby McFerrin, Theo
        Bleckmann und Michael Schiefel. Mit seinem fünften Solo-Album „My
        Home Is My Tent“ hat sich Michael Schiefel gegenüber seinen
        Kollegen vor allem eines bewahrt: eine absolute Natürlichkeit, die
        trotz der gewählten „Alben-Thematik“ nie gekünstelt
        oder aufgesetzt daherkommt. Schiefel gewährt hier einen lyrisch
        kosmopolitischen Einblick der von ihm bereisten Großstädte
        in den letzten Jahren und reflektiert mit 100prozentigen vokalen Solo-Äußerungen
        seine Eindrücke. Dabei verliert er sich nicht in selbstverliebte
        Stimmakrobatik, sondern bewahrt trotz aller Komplexität seiner Kompositionen
        eine ungeheure Leichtigkeit und einen inspirierenden Groove. Ob Scatgesang
        oder Beatbox, abgefahrener Text- und/oder Sprachwitz, sein vokales Klangspektrum
        begeistert von Anfang bis Ende. Zusätzlich nutzt er ein speziell
        entwickeltes Loopgerät, das ihm auch live ermöglicht, verschiedene
        Stimmen übereinander zu lagern, und mit ein paar weiteren elektronischen „Spielereien“ gewinnt
        er praktisch unbegrenzte Möglichkeiten, seine Solo-Stimme in Szene
        zu setzen. Dazu gesellt sich dann der typisch schiefelsche Schelm mit
        Spaßfaktor. Bei allem Tiefgang und Virtuosität schwingt bei
        ihm immer eine große Portion Humor mit, was ihn in die Lage versetzt,
        auch Ungewöhnliches ernsthaft, ohne groß aufgesetzte Dogmatik,
        auszuprobieren. Erster Impuls nach dem Hören seiner CD: Lust auf
        die Repeat-Taste! 
        Thomas J .Krebs         
      Keith Jarrett/Charlie Haden 
        Jasmine 
      ECM 2165 (2733485) 
        Jarrett und Haden tauchen mit ihrer Musik ab. Ab in
        den Keller einer intensiv-intimen Insichgekehrtheit – wozu die sehr „trockene“ Aufnahmeakustik
        ihren Teil beisteuert. Die zwei Musiker musizieren hier auf extrem hohem
        Entspannungsniveau. Der Duktus ist im Wesentlichen karg, das Improvisationsgeschehen
        ist alles andere als blendend. Was so leicht dahinzuplätschern scheint,
        ist aber sehr wohl alles andere als nebensächliches Gedudel. So
        leer zu spielen wird nicht deshalb zwangsläufig hohl. Selbst kleinste
        Phrasen zu beseelen, ist hier das Ereignis. Insgesamt gelingt das alles
        bei Jarrett besser als in den noch schwerlich gefüllten Soli von
        Haden. Das ästhetische Verfahren schließt nicht aus, das in
        dieser losen Musik auch hochverdichtete polyphone Passagen sich ereignen
        wie auf Track 3 (No Moon At All). Umso mehr fällt auf, wenn es auch
        mal nicht funktioniert, wie in einer erstaunlich unkonzentrierten Passage
        bei Haden auf Track 1 (For All We Know), wo ein Basston förmlich
        herausknallt. Unwahrscheinlich, dass dies gewollt gewesen sein mochte.  
        Bei solcher expressiven Rücknahme werden die Schlusskadenzen komischerweise
        offenbar zu einem Problem: In vielen Stücken halten sie eigenartige Überraschungen
        bereit, positionieren einmal quasi kontradiktorisch das Ausschleichen
        durch harmonische und/oder rhythmische Ausweichungen oder wollen lapidar
        scheinbar auf der Dominante enden, wenn man da nicht noch im Grundton
        hintanklappern ließe.  
        Martin Hufner  
      Dick Hyman‘s Century of Jazz Piano (5 CDs
        + 1 DVD) 
      Arbors ARCD 19348 
        Dick Hyman gehört sicherlich zu den vielseitigsten Pianisten der
        Jazzgeschichte. Vom Ragtime bis zum Bebop (er ist der Pianist in Charlie
        Parkers Videoaufnahme von „Hot House“) beherrscht er eine
        Vielzahl von Spielweisen, die sich nicht nur im musikalischen Material,
        sondern auch im Anschlag sehr unterscheiden. Jetzt aber hat er sich selbst
        noch übertroffen und in 100 (!) Soloaufnahmen, drei Titeln mit einem
        Bassisten und einem mit einem zweiten Bassisten in hervorragender Tonqualität
        die Entwicklung des Jazzklaviers von den Anfängen bis zum Ende des
        20. Jahrhunderts nachgezeichnet (1996/97 gab es schon einmal eine Vorstufe
        dieses Projekts). Nur selten sind es notengetreue Interpretationen; zumeist
        handelt es sich um Stücke mit minimalen, gelegentlichen oder substanziellen
        Veränderungen (jeweils im Booklet angegeben). Das Ganze ist in 23
        Abschnitte eingeteilt, die stilistisch von „Ragtime: First Signs,
        Birth, Flowering“ bis zu „Unstructed Free Improvs“ reichen.
        Letztere gehören zu den Höhepunkten der Kassette, geprägt
        von starkem Formwillen und Sinn für Spannung und Dynamik, ohne je
        in Redseligkeit zu verfallen. Da steht Hyman Paul Bley näher als
        Keith Jarrett. 
        Die Ergebnisse dieser Reise durch die Jazzgeschichte sind unterschiedlich,
        müssen es auch sein, dafür ist die Aufgabe, die sich Dick Hyman
        gestellt hat, auch einfach zu groß. Hier ist nicht der Platz, um
        auf jeden Titel einzugehen, daher nur ein paar Anmerkungen: „Little
        Rock Getaway“ (Joe Sullivan) ist brillant gespielt, ebenso „Fingerbuster“ (Willie „The
        Lion“ Smith); „Complainin“ (Luckey Roberts/Jess Stacy)
        besticht durch subtiles timing; „Tonk“ (Duke Ellington/Billy
        Strayhorn) ist wie aus einem einzigen Atem heraus gestaltet - fabelhaft; „A
        delicate balance“ (Marian McPartland) wird dem Titel voll gerecht; „Django“ (John
        Lewis) gewinnt neue Aspekte durch die ebenso behutsame wie bestimmte
        Führung der linken Hand. Was Dick Hyman nicht liegt, ist ein perkussiver
        Anschlag wie ihn etwa Thelonious Monk verwendete. So spielt er an ihm
        glatt vorbei. Monk ohne seine Klaviertechnik und ohne Monk-Akkorde -
        das funktioniert nicht. Ähnlich geht es ihm mit McCoy Tyner, nicht
        aber interessanterweise mit Cecil Taylor. Doch auch so bleibt dieses
        enzyklopädische Unterfangen bewundernswert, als einzelner Musiker
        den gewaltigen Bereich des Jazzklaviers in den Griff zu kriegen. Und
        ein besonderes Lob gebührt ihm dafür, dass kein einziges Stück
        zu lang geraten ist! 
        Die letzten 14 Titel sind ein Kapitel für sich, nämlich eine
        Neuaufnahme der „Etudes for Jazz Piano“ von 1982 (Kendor
        Music) - allerdings fehlt ein Titel. Jedes der auskomponierten kurzen
        Stücke ist einem anderen großen Jazzpianisten gewidmet, von
        Jelly Roll Morton bis Bill Evans. Dem Heft lag damals eine Schallfolie
        bei, aufgenommen von Dick Hyman. Jetzt haben wir zwar eine Neuaufnahme
        dieser überaus gelungenen Miniaturen, aber es fehlen leider die
        Noten. Beides zusammen ist unentbehrliches Studienmaterial für Pianisten
        wie für Arrangeure und Komponisten. 
        Und dann gibt es in dieser Box noch eine DVD mit 13 Lektionen, in denen
        uns Dick Hyman mit wesentlichen Klavierspielweisen des Jazz vertraut
        macht. So nebenbei „entzaubert“ er auch einige der ornamentalen
        Läufe Art Tatums, die leichter zu greifen sind als viele glauben.
        Vier Bonustracks ergänzen diesen sehr sympathischen Klavierunterricht
        - was will man mehr? 
        Noch ein Tipp: Dick Hymans Buch „Piano Pro“ von 1992 (Ekay
        Music/ISBN 0-943748-61-5) ist eine wunderbare Ergänzung: eine höchst
        lesenswerte Sammlung von Geschichten aus seinem Leben, mit viel Witz
        erzählt, ergänzt um zahlreiche Notenbeispiele. 
        Joe Viera 
      The Don Rendell/Ian Carr Quintet 
  Shades of Blue (1./2.10.64) – Dusk of Fire (16./17.3.66) 
      2 CDs, BGO Records BGOCD 615 
        Zwei der besten CDs einer führenden englischen Jazzgruppe der 60er-Jahre,
        mit wunderbar gelöstem und zugleich konzentriertem Zusammenspiel,
        wie es nur eine langjährige in gleicher Besetzung bestehende Band
        zustande bringt, dazu Themen und Arrangements mit Substanz. Neben den
        beiden Bläsern gehörten Dave Green, b, (sehr souverän)
        und Trevor Tompkins, dm, dazu. Anstelle von Pianist Colin Purbrook spielte
        auf der zweiten CD Michael Garrick. Höhepunkt auf CD 1, die ganz
        dem Blues gewidmet war („in form or feeling“, wie es im Booklet
        heißt), ist für mich. „Just Blue“, auf CD 2, das
        nur aus first takes besteht (!), „Spooks“, in Thema und Entwicklung
        an George Russell erinnernd. Bemerkenswert im übrigen die unterschiedlichen
        Stimmungen, über die diese Besetzung verfügte. Und Don Rendell
        zählt allein schon mit diesen beiden CDs zu den großen europäischen
        Jazzmusikern. 
        Joe Viera 
      Stacey Kent 
  Raconte-moi… 
      Blue Note/ EMI 
        Stacey Kent galt bislang als Interpretin des Great American Songbook.
        Nun hat die amerikanische Sängerin ihre Liebe zu Frankreich in Töne
        gegossen. Die neue Platte „Raconte-moi…“ ist bestückt
        mit zwölf federleichten, bittersüß-melancholischen Stücken,
        die wie Luftballons im Grenzbereich zwischen Jazz und Chanson schweben.
        Stacey Kent singt natürlich und unprätentiös; sie vertraut
        auf den warmen, sinnlichen Klang der französischen Sprache. Dass
        die Songs so wunderbar transparent, verträumt und entspannt daher
        kommen, liegt aber auch an den kammermusikalisch schlichten, dennoch
        stets originellen Arrangements. Mal kreuzt eine Oboe die Singstimme,
        dann wieder tupft das Klavier leuchtende, impressionistische Harmonien.
        Den Auftakt macht eine Bossa-Nova von Carlos Jobim, die dank der leichtfüßig
        beschwingten Gitarrenbegleitung einen milden Frühlingstag herauf
        beschwört. Die Stimmung der schönsten Jahreszeit von allen
        wird im Jazz-Standard „C’est le Printemps“ vertieft.
        Einen Kontrast bilden die kühl tropfenden Klavier- und Xylophon-Akkorde
        in „Jardin d’hiver“, dem „winterlichen Garten“ – mit
        diesem Stück verbeugt sich die Sängerin vor dem legendären
        Chansonnier Henri Salvador. Ein einsam und melancholisch hinkender Walzer
        entstammt einer Filmmusik aus den 50ern. Mehrere Songs ließ sich
        Kent von jungen Musikern aus Frankreich auf den Leib schreiben. Sie zeigen,
        wie einfallsreich und vielseitig man dort heute mit dem Chanson-Erbe
        umgeht. 
        Antje Rößler 
      Paragon 
        Quarterlife Crisis 
      Shakewell Records 
        Morgens um 5.00 Uhr. Man schlendert mit Peter Ehwald aus dem Jazz-Club
        durch das graue, menschenleere Köln. Man spürt eine leichte
        Schläfrigkeit, angenehm, entspannt, kickt eine Zigarettenschachtel
        zur Seite, und dann kommt dieser Swing wie der Geruch nach frischen Brötchen
        um die Ecke... Einen ganz anderen Drive hat London. In der Komposition „Tiny
        Thompson“ hetzt man mit Arthur Lea durch die Metropole in der Rushhour.
        Und schon ist man mitten drin in „Quarterlife Crisis“, dem
        dritten Stück der gleichnamigen CD von Paragon. Hinter dem geheimnisvollen
        Namen stehen vier eigenständige Musikerpersönlichkeiten, die
        sich durch Perfektion sowie ein fantasievolles wie intelligentes Improvisationstalent
        auszeichnen. Den komponierenden Kern bilden der Saxophonist Peter Ehwald
        und der Pianist Arthur Lea, die seit ihrem ersten gemeinsamen Auftritt
        2003 im Londoner Jazzclub 606 eine musikalische Symbiose eingehen. Ehwald
        ist bekannt für seine Kunst, zu arrangieren und auf dem Saxophon
        zu experimentieren. Er versteht es, besonders die leisen Töne poetisch
        zu nuancieren. Leas fantasievolle Spielfreude lobte niemand treffender
        als John Fordham im „Guardian“: „Er ist wie ein Thelonious
        Monk des 21. Jahrhunderts.“ Akzentuiert bläst er das in England
        populäre Tenor Horn. Nicht zu unterschätzen sind der Bassist
        Matthias Akeo Nowak und der Drumer Jon Scott. Die beiden versierten Instrumentalisten
        sorgen für einen packenden Rhythmus, sie tragen die Melodie, fordern
        sie heraus und treiben sie an.  
        Anne Kotzan 
      Various Artists 
        While my guitar gently weeps  
      Acoustic Music Records/Rough Trade 
        Hier ,weept’ beileibe mehr als eine Gitarre. Im Ganzen sind es
        acht Instrumente, auf denen ebenso viele Interpreten von Labelchef Peter
        Finger, über US-Gitarrenmeister Eric Lugosch bis zum französischen
        Fingerstyler Francois Sciortino die zeitlose Musik der Fab Four in neuer
        Form erstrahlen lassen. 16 Beatles-Titel, darunter die wenig bekannten
        Kompositionen „I Will“ und „In My Life“ – mit
        genießerischer Lust an jazzigen Akzenten, wunderbaren Ideen und
        warmherziger Lässigkeit von Lugosch gespielt – hat der Produzent
        für die Compilation ausgewählt. Neben zigtausend Nachfolgern
        vom Beatles-Chor über diverse Coverbands bis zu „Beatles auf
        Saxophon“, Eierbechern oder Mundorgeln, ist es ein angenehmer Genuss,
        die bekannten Melodien und Themen einmal in der begrenzten Version von
        Solisten unplugged zu hören. Opener und Schluss gestaltet Finger
        mit einer nahe am Original liegenden Interpretation des Gassenhauers „Ob-La-di,
        Ob-La-Da“ und einer bezaubernden Fassung des titelgebenden George-Harrison-Klassikers „While
        My Guitar Gently Weeps“. Die übrigen Songs stammen alle vom
        genialen Duo McCartney/Lennon. Ein wundervolles, süffiges „Norwegian
        Wood“ steuert Lex van Amsterdam bei, Sciortino lenkt mit Schwung
        und Swing „Drive My Car“ und vor allem „Eight Days
        A Week“ über die in der Mittagssonne leuchtende Gitarrenpiste.
        Durch und durch hörenswert. 
        Michael Scheiner       
      Martin Ehlers Trio feat.  
        Ingolf Burkhardt: Feel the light 
      NRW Records 
        Bislang hat Martin Ehlers zwei Alben ausschließlich mit Eigenkompositionen
        vorgelegt, das dritte folgt jetzt konsequent. Den Durchbruch hat der
        norddeutsche Pianist, der bislang als Arzt an der Waterkant arbeitete,
        bislang nicht geschafft. Wie auch, bei dieser Doppelbelastung. Bei JazzBaltica
        im vergangenen Jahr aber ließ er aufhorchen. Nach allzu satten
        Klangmalereien stellt Ehlers jetzt eher seine lyrischen Qualitäten
        heraus, reich an Farben, Harmonien und Melodien. Inspiriert von Bugge
        Wesseltoft und Esbjörn Svensson, dem er das Schluss-Stück „Don´t
        forget“ widmet, reflektiert der Pianist mit seinem Trio eine Reihe
        privater Einschnitte von Leben, Liebe, Tod. Entstanden sind lyrische,
        melodisch stimmige Studien, getragen von elegantem Anschlag. Die innere
        Ruhe, die alle acht Stücke ausstrahlen, kontrastiert gelegentlich
        Ingolf Burkhardt. Insgesamt aber hält sich der Gast, der in der
        NDR-Bigband Trompete bläst, zurück. Seine Klangfarben durchbrechen
        die verhangene, melancholische Grundstimmung mit neuen Klangfarben, ohne
        den Fluss der Interpretation zu beinträchtigen. So bleibt das klassische
        Klaviertrio im Rahmen. Martin Ehlers, der durch Konzerte mit Joachim
        Kühn zum Jazz gefunden hat, füllt ihn nicht profillos aus.
        Mit romantischem Impetus und traumwandlerischem Zusammenspiel kommt man
        auch weiter; heilsam ist diese Musik allemal.  
        Reiner Kobe 
      Marcus Bartelt & Martin Sasse 
        Into the Blue 
      yvp music 3155 
        Jeder hat ihn im Ohr, den brodelnden Groove, wenn
        sich Saxophonisten mit Meistern auf der Hammond zusammen fanden, etwa
        Eddie „Lockjaw“ Davis
        mit Shirley Scott, Johnny Hodges mit Wild Bill Davis, Roland Kirk mit
        Jack McDuff. Stets waren es Alt- und Tenorsaxophonisten. Aber da gab
        es – unter George Benson – auch mal ein tolles Orgel-Bariton-Gespann:
        Dr. Lonnie Smith und Ronnie Cuber. Dieses Paar hatten sich Pianist Martin
        Sasse und Baritonsaxophonist Marcus Bartelt zum Vorbild genommen, als
        sie vor zwei Jahren das „Into the Blue“-Quintett zusammenstellten,
        um ihrer Bewunderung der berühmten Orgel-Sax-Bands der 50er- und
        60er-Jahre zu frönen. Zahlreichen Live-Auftritten folgt nun diese
        in Tempi und mood fein abgestimmte CD. Die Orgel ist zwar Sasses „zweites“ Instrument,
        aber er spielt es nicht weniger swingend und virtuos wie das Piano. Und
        Marcus Bartelt, einer der gefragtesten Baritonspieler in Deutschland
        und Benelux, nebenbei auch noch Gründer des Cologne Contemporary
        Jazz Orchestra in Köln, improvisiert leichthändig und flüssig,
        als spiele er Tenor oder Alt. Johannes Behr, g, Ingo Senst, b, und Jens
        Düppe, dr, drei feste Größen der rheinischen Jazzszene,
        liefern nicht nur das stimmig groovende Rhythmuskorsett, sondern bieten
        auch solistische Klasse. Vier Titel stammen von Bartelt, drei von Sasse.
        Dazwischen ganz wunderbar interpretiert: Billy Strayhorns „Chelsea
        Bridge“. Ein Juwel des Soul Jazz. 
      Dietrich Schlegel 
      Science Fiction Theater 
        Pimp Town 
      Traumton/Indigo 
        Inspiriert von den Weisungen der Zukunft vergangener Jahrzehnte, hat
        Christoph Grab eine Mannschaft um sich versammelt, die noch jedes gottverdammte
        Nest für sich einnehmen wird. Mit acht Stücken beschert uns
        dieses Theater einen Gang über einen Jahrmarkt, dessen Attraktionen
        bessere Tage kennen, sich selbst aber einnehmend gut gefallen. An Anfang
        und Schluss dreht sich dieses Karussell in eine „Sweet Paranoia“,
        dazwischen warten Schießbudenfiguren wie „Esmeralda“ und „Dirdy
        Birdy“ auf ihren Abschuss durch die „Killertomaten“.
        Die prophetischen Gesten echter Filmkomponisten wie Ennio Morricone oder
        Nino Rota veranlassen den Schweizer Saxophonisten anscheinend auch zu
        einer Hommage an ihre Typenentwürfe und Stimmungen... Demnach darf
        die Gitarre vorweg surfen oder an ihre Rolle in Duellen abgehalfterter
        Pistoleros erinnern, die Bassklarinette eine Vorstadt-Stripperin mit
        schmonzettigen Melodien umwerben. Dazu zirpen die Rhodes vor sich hin,
        eine Melodica säuselt und die Perkussion unterbietet sich einmal
        selbst im schleppenden Rhythmus eines abgebrühten Routiniers. Dabei
        erfasst Tobias Schramm den B-Movie-Sound der 1960er Jahre vom Draufhauen
        bis hin zum liebevollen Begleiten. Erstaunlich, wie spielerisch Grabs
        Stücke Assoziationen mit liebgewonnenen Schrägheiten der Filmgeschichte
        schüren, bedeutungsschwangere Stimmen aus dem Kinojenseits tun ihr übriges. 
        Franziska Buhre       
      Larry Porter Group
            with Guests 
        Silk Road Blues 
      Flowfish Records/Broken Silence 
        Legt man die neue CD von Larry Porter in den Spieler, erwarten den
        Hörer
        ungewohnte Klänge. Aber von diesem Musiker wird man immer wieder überrascht.
        Zu vielseitig sind seine musikalischen Interessen, egal ob als Interpret
        oder Komponist. Das wurde besonders deutlich, als sein Streich-Quartett
        vor vielen Jahren (in Taufkirchen bei München?) zu hören war.
        Der Amerikaner Larry Porter lebt seit über 30 Jahren mit Unterbrechungen
        in Europa, hat sich aber auch in Ländern wie Japan und Indien umgesehen
        und Musik dieser Regionen verinnerlicht. In der vorliegenden CD sind
        es überwiegend Klänge aus Indien und Afghanistan, die seine
        Kompositionen beeinflussen. Es sind nicht nur Rhythmen und Skalen der
        Musik dieser Länder, auch Instrumente wie Rebab und Tabla sorgen,
        mit den Jazz-Wurzeln von Larry Porter, für ein spannendes Zusammenspiel
        der Kulturen. Nur selten gibt es einen Bruch zwischen den ‚traditionellen‘ Einleitungen
        und den dann doch ‚swingenden‘ Themen und Improvisationen.
        Das ist aber nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Aufbau und Länge
        der Themen in diesen Kulturkreisen die Kapazität jeder CD (aber
        auch die der meisten westlichen Hörer) überfordern würden.
        So ist Larry Porter mit seiner Band und diversen Gast-Musikern mit dem ‚Seidenstraßen
        Blues‘ eine Mischung gelungen, in der manche doch fremdartige Klänge
        und Rhythmen mit den swingenden Elementen des Jazz eine Einheit bilden.  
        Manfred Scheffner 
       
      
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