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Jazzzeitung

2009/02  ::: seite 17

rezensionen

 

Inhalt 2009/02

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig / Schlagzeuger Louie Bellson / Mel Lewis / Multiinstrumentalist und Labelchef Bob Rückerl


TITEL -
Treibstoff Ungewissheit
Jazzförderung und die neue Liebe zum Jazz


DOSSIER
- Jazz, Architektur und mobiles Leben
BMW Welt Jazz Award

Berichte
43. Arbeitsphase des BuJazzO // 4. Festival Women in Jazz in Halle // Frederik Köster Quartett erspielte sich den Neuen Deutschen Jazzpreis 2009 in Mannheim // Aki Takase und Louis Sclavis im Neuburger Birdland // Vorschau: Internationale Konferenz auf der jazzahead! 2009


Portraits

Michael Cuscuna // Branford Marsalis // Madeleine Peyroux // Pianist Kristjan Randalu // Ida Sand // Die „9 Symphonies“ von Marcus Schinkel // Derek Trucks


Jazz heute und Education
Interview mit Hans-Georg Küppers, Kulturreferent der Stadt München // Café Lido hat München // 5 Fragen an Klaus Widmann vom Südtirol Jazzfestival // Abgehört: John McLaughlins Solo über „Joy“

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

 

Alle CD-Rezensionen

Susi Hyldgaard
It`s love we need

Enja Records 2008

Auf die in New York aufgewachsene Dänin ist Verlass. Sie kleidet hochkultivierte Jazzideomatik in moderne Gewänder und ihre Stimme kann mit allen großen Jazz-Vokaleusen locker mithalten. Sie macht ihr eigenes Ding – ja, sie überholt so manch gefeierte Vokal-Diva aus den Staaten locker, wenn es um das Individuelle, um den feinen, besonderen Moment geht. Sie liebt epische Arrangements, deren Kern ein lyrisches, zuweilen nachdenkliches Songwriter-Potenzial ausmacht. Jetzt hat sie all dies einem orchestralen Großformat einverleibt, denn für ihr aktuelles Album stand ihr die NDR-Bigband unter Dieter Glawischnig zur Seite. Die Stücke passieren komplexe Arrangements, vereinen in kaleidoskopischer Vielfalt so viel konträres – und bleiben dabei durch und durch Songs. Da gibt es mal die volle Breitseite mit fetten Blueseinlagen von Mingus’scher Größe und mit opulenter Pianistik seitens Suzi Hyldgaard selbst im Epizentrum. Dann kommt viel Zartheit, ja Intimität auf. Hyldgaards Songs verströmen Alltagspoesie – intelligent, voller Reife, mit spitzer Feder. Balladen artikulieren großes Gefühl, integrieren dabei allumfassend das ganze Arsenal der Hörner. Verspielte Rhythmen treiben selbstironische Reflexionen über ihre ganz private Befindlichkeit und Lebenswirklichkeit voran, dabei lässt die Wucht der Bigband nie die Macht des Wortes in ihren Songs schrumpfen. Wer an Susi Hyldgaards künstlerische Autorität glaubt, konnte auch am Gelingen dieser Herausforderung nicht zweifeln.
Stefan Pieper

Conny Bauer
Der gelbe Klang

Jazzwerkstatt 038

Ziemlich lange warten musste man auf eine neue Solo-Aufnahme von Conny Bauer, die alles, was man an Solo-Kunst speziell auf der Posaune kennt, in den Schatten stellt. Bevorzugter Klangraum für seine Soloauftritte waren bisher übergroße Klang- und Schallräume, wie in den 80er-Jahren der Kölner Wasserspeicher oder das Völkerschlachtdenkmal, mit deren Hilfe er viele Klanglagen übereinander legte und so einen vielstimmigen Posaunenchor produzierte, Improvisierte Musik in Reinform oder -klang, die voller Melodien, voller Gefühle und einfacher wie komplizierter Gedankengänge ist, aufgeführt von einem Musiker, der alle Möglichkeiten seines Instruments perfekt ausschöpft, von der Mehrstimmigkeit zum Überblasen oder unglaublicher Zirkularatmung. Die Gedanken- und Lebenswelt eines Musikers der aktuellen Musik wird auf beispiellose Weise erlebbar. Seit vielen Jahren macht Bauer diese Improvisationskunst aber auch in normal großen Räumen unter Zuhilfenahme von Electronics möglich. In vielen Stunden im Studio entstand so eine Aufnahme von neun Titel in einem Fluss, die von der Vergangenheit wie von der Gegenwart erzählen, von dem ersten Solokonzert in den 70er-Jahren, „Osterfeuer“, bis zur Erinnerung an vergangene Dinge, „Damals“, fröhliche wie traurige Ereignisse, „Das Fest“ und „Traurige Stimme“. Als eine klare und alles andere als deprimierend klingende Aussage zu seiner persönlichen Situation mag das Schlussstück „Zu Hause“ gelten, das mit den Worten endet: „Ich lebe hoch, ich lebe hoch im Plattenbau“!
Hans-Jürgen von Osterhausen

Samo Salamon & Aljosa Jeric Quartet feat. Mark Turner
Mamasaal

Wer Samo Salamon in den letzten beiden Jahren live erlebt hat, dürfte sich ein bisschen wundern über diese Scheibe, nur beim ersten flüchtigen Reinhören freilich: Der Starkstromjazzer präsentiert sich auf „Mamasaal“ gemeinsam mit Matt Brewer, b, Co-Leader Aljosa Jeric, dr, und dem auf den Punkt motivierten, passgenauen Gast Mark Turner, ts, relativ verbindlich, jazzig, Mainstream-bezogen und ohne das Ungestüm, das er auf der Bühne zeigt. Das liegt daran, dass die Aufnahmen, die jetzt erst veröffentlicht wurden, bereits aus dem Jahr 2006 stammen und damit eine kleine Rückblende ermöglichen auf die Entwicklung des Gitarristen aus Maribor in Slowenien, der sich inzwischen in New York den Ruf erspielt hat, einer zu sein, an dem sich die Zukunft misst. Umtriebig, produktiv, virtuos gehört Samo Salamon zu jener Garde junger Gitarristen, die Neuland betreten, die urplötzlich die gewohnten Laufwege ändern, die für jede einzelne Note den Kick abseits ausgetretener Pfade suchen. Das ist auf der vorliegenden Scheibe alles schon da, zwischen den Zeilen noch, aber deutlich: Irgendwo zwischen Slowenien und New York liegt der Mittelpunkt eines eigenwilligen Paralleluniversums, in dem die Atome und Elemente eine Spur neben der Spur ticken. Salamon spielt mit allen Haken und Ösen, die die Moderne zu bieten hat, mit verrrückten Grooves, vertrackten harmonischen Kapriolen, überraschungsgeladener Melodiosität und hohem instrumentalen Können, mit heart and soul, avantgardistischer Neugier und leidenschaftlichem Spürsinn.
Tobias Böcker

Jim Black AlasNoAxis
Houseplant

Winter & Winter 910 154-2

Der 1967 geborene Schlagzeuger Jim Black legt mit “Houseplant” seine nun sechste Veröffentlichung als Leader bei Winter&Winter vor. Mit der Formation AlasNoAxis lotet Black erneut die Grenzen zwischen Rock, Jazz und dezenten Ambientklängen aus. Dabei besticht auf „Houseplant“ vor allem seine harmonische Herangehensweise, die oftmals Sounds der Neunziger wie z.B. John McEntires „Tortoise“ oder „The Sea and Cake“ zitiert. Genau in dieser Zeit sammelte Jim Black im Übrigen essenzielle musikalische Erfahrungen. Songstrukturen wie bei dem Titel „Malomice“ klingen bereits nach dem ersten Ton vertraut und erzeugen eine warme Atmosphäre. Irgendwoher scheint man Melodien zu (er)kennen, dabei sind es ausnahmslos Eigenkompositionen aus Jim Blacks Feder. Hervorstechend sind lange, leicht düstere Klänge, mit unverhohlenen Rockanleihen, die sich relaxt zwischen kreativem Pop und Jazz bewegen. Seit 2000 besteht Jim Blacks Formation AlasNoAxis mit dem Saxophonisten Chris Speed, den Isländern Skuli Sverisson am Bass und Hilmar Jensson an der Gitarre. „Houseplant“ ist die fünfte Veröffentlichung mit dieser Gruppe. Keine einfache, eingängige Aufnahme die von vornherein ein Topseller sein wird, sondern vielmehr ein Titel an der sich die Geister wieder scheiden werden. Die einen werden sie lieben, andere werden sich ob der vordergründig rockigen Klänge abwenden. AlasNoAxis „Houseplant“ eignet sich für ruhige, entspannte Stunden, ist zum absoluten Zuhören und sich darauf einlassen gedacht.
Thomas J. Krebs

Anke Helfrich
Stormproof

Enja Records/Soulfood ENJ 9528 2

„Stormproof“ – bei dem Titelsong ihrer dritten Leader-CD habe sie an die Stürme des Lebens gedacht, erklärt die Weinheimer Pianistin Anke Helfrich. Tröpfelnd aber verheißungsvoll beginnt das Stück, wiegt sich dann zwischen zögernden Phrasen, fantasievollen Umschwüngen und anspruchsvollen Tempiwechseln ein und explodiert schließlich in einer Fanfare an die Widerstandskraft des Individuums.
Hier und da mischen sich afrikanischer Percussion-Sound, sanftes Glockenspiel, Urwald-Geräusche und humorvolle Melodica ins Tongetümmel. Die Pianistin selbst erzählt zusätzlich mit offenen Klaviersaiten und Fender-Rhodes-Teppichen – vielleicht von ihrer Kindheit in Namibia, ihrem Jazzstudium in den Niederlanden und in New York oder auch noch von ganz anderen Lebensstürmen.
Helfrich bestreitet ihre gesamte CD außerordentlich bravourös, auch dank Henning Sieverts mit Bass und Cello sowie Schlagzeuger Dejan Terzic. Mit ihm spielt Anke Helfrich bereits seit mehreren Jahren zusammen; die letzte CD „Better Times Ahead“ (2006) etwa hat Terzic mit bespielt. Als neuer Bassist gesellte sich nun Henning Sieverts hinzu, der ebenso wild wie einfühlsam begleitet. Nils Wogram, glänzender Gastposaunist in fünf Stücken, fügt sich in voller Harmonie dem Klanggefüge hinzu – so dass ein ganz individueller, impulsiver und lebenslustiger Sound entsteht.
Uta Leidenberger

Kagerer & Nieberle
live

Bobtale Records, www.bobtale.de

Man kann es kaum glauben: Seit über 20 Jahren ist das völlig zurecht mit dem Bayerischen Kulturförderpreis und dem Archtop-Germany-Award ausgezeichnete Jazzgitarrenduo „Kagerer & Nieberle“ nun auf den Bühnen in Europa und den USA unterwegs und erst Ende 2008 erschien die erste Live-Scheibe des Duos. Und ebenso wie alle Studioproduktionen ist auch dieser Tonträger ein Juwel im Genre des Gitarrenjazz. Vielleicht beflügelte es Helmut Kagerer und Helmut Nieberle ja zusätzlich, dass diese bei Bobtale Records erschienene CD in ihrer Heimatstadt Regensburg, genauer im Domizil des Jazzclub Regensburg im „Leeren Beutel“, aufgenommen wurde. Denn was hier in zehn Nummern zu hören ist, zeugt von höchster Inspiration und musikalischer Qualität. Die stilistische Palette reicht vom zigeunerjazz-geprägten „Crazy Rhythm“ von Joseph Meyer und Roger Wolfe Kahn über wunderschön innig interpretierte Balladen wie „Secret Love“ von Sammy Fain bis hin zur bluesbeseelten Nummer „Sweet Emma“ von Julian Clifford Mance. Vor allem in letzterer Nummer und in den Balladen kommt das große Gespür des Duos für packende Spannungsbögen, aber auch das filigrane Empfinden sämtlicher dynamischer Verästelungen so richtig schön zum Tragen. Wer wirklich bis in jedes Detail beseelte Jazzgitarren-Klänge schätzt, sollte an dieser Scheibe nicht vorbeigehen.
Stefan Rimek

Frederik Köster Quartett
Zeichen der Zeit

Traumton 4522/indigo cd 921462

Es zeugt von einem gewissen Selbstbewusstsein und vielleicht auch einer vorhandenen Gewitztheit des Musikers, seine neue CD „Zeichen der Zeit“ zu nennen. Frederik Köster, Trompeter und Flügelhornist und seit 2007 Professor für Jazztrompete (HfM der FH Osnabrück), steht mit seiner Band ganz im Kontext seiner Generation, sie sind mit einem Faible für elektronische Sounds sozusagen groß geworden. Die anderen drei, die hier mit von der Partie sind, heißen Tobias Hoffmann an Gitarre und Effektgerät, Robert Landfermann (db, effects) und Ralf Gessler an Drums und Percussion. Sie alle spielen hier ausschließlich Kompositionen aus Kösters Feder. Kompositionen übrigens, die, anders als bei vielen Blasinstrumentalisten, oft nicht das eigene Instrument in den Vordergrund stellen: Da erklingt, dass es eine echte Freude ist, eine kräftige, mit elektronischen Effekten aufgeladene Gitarrenlinie hier, ein brummelndes Basssolo dort. Selbstverständlich kann Köster gekonnt solieren und zeigt dies auch; mehr Interesse als daran, selbst im Rampenlicht zu glänzen, scheint er jedoch an einem geschlossenem Bandsound zu haben. „Zeichen der Zeit“ ist wahrhaft innovativ, erfrischend – meist klanggewaltig inszeniert, gelegentlich auch wohltuend defensiv. Beim Hören dieser Aufnahme wundert es kaum, dass die Band wohl eine ähnlich gute Liveperformance bietet: siehe unser Bericht Jazzpreis Mannheim, S. 4
Carina Prange

Norbert Stein Pata Generators
direct speech

Pata 19/Vertrieb: www.patamusic.de

Seit jeher pflegt der überragende Kölner Saxophonist Norbert Stein ein Faible für bildmächtige Titel, mit denen er seine komplexen Kompositionen um eine weitere Ebene anreichert. Damit schränkt er Freiheit, Mannigfaltigkeit und klanglichen Reichtum seiner durch Stile, Formen und Mittel mäandernden Musik, was durch den unscharfen und damit weitenden Begriff der „Pata-Musik“ definiert ist, keineswegs ein. Ob er damit, wie beim neuesten Werk mit seinen „Pata Generators“ mit „Die Tochter des Papstes“, „Alice in der parallelen Welt“ oder den „(…) Zen Geboten“, einen zusätzlichen Zugang ermöglicht, aufs Glatteis führt oder geneigte Hörerinnen und Hörer ermuntert, ein Stück beim Zuhören zusätzlich auf musikalische Konnotationen zur Wortaussage abzuklopfen, bleibt dahingestellt. Eines erreicht er sicher, dass man beim Lesen stolpert und anfängt zu hinterfragen. Ganz so klar und direkt wie der Titel des neuen Albums suggeriert, sehen demnach die „Les Yeux de l’Oiseau de la Guerre“ (Die Augen des Kriegsvogels) keineswegs. Vielmehr fühlt man sich bei Steins verschlungenen und verflochtenen Kompositionen, kraftvoll und spannend gestaltet von einem großartigen Ensemble, an „Chameleon(s) Nature“ erinnert, das mit jeder Stimmung die Farbe wechselt, im Hintergrund aufgeht und sich ganz einfach ständig im Fluss (der Umgestaltungen und Vielheiten) befindet.
Michael Scheiner

Vom Strahlen meiner Augen. Die schönsten Songs aus der Werkstatt von Kurt Lowinger & Helmut Nieberle
Bobtale Records www.bobtale.de

Was für wundersame musikalische Kleinodien in rauchgeschwängerter Atmosphäre „zwischen Nachtbar und Küchentisch“ entstehen können, beweist diese Zusammenarbeit zwischen dem Gitarristen und Komponisten Helmut Nieberle und dem 2004 verstorbenen Lebemann und Erzähler Kurt „Kurti“ Lowinger. Vier Jahre lang wurde ausprobiert und gefeilt, live vorgespielt und schließlich aufgenommen. Diese Sorgfalt und „labour of love“ merkt man jedem der elf Stücke an. Wenn Jörg Seidel cool von seinen Plänen, sich eine reiche Witwe zu schnappen, um seine Geldprobleme in den Griff zu bekommen und sie zur Hochzeitsnachtsnacht „über die Klippen hinunter (zu)kippen“ singt, Charlie Meimer mit samtweicher Stimme ein Liebeslied für eine „schwarze Wilde, seidenweiche und verspielte, süße, böse, milde namens Hilde“ zum Besten gibt oder die wunderbare Steffi Denk von „Verfloss‘nen Affairen“ und dem „Chaos der Gefühle“ erzählt, fängt man an, sich zu erinnern, mitzuswingen und zu schwelgen und laut oder ganz leise in sich hinein zu lachen. Deutsche Texte ohne Pathos, mit viel Witz und lakonischem Humor, gepaart mit kongenialen Kompositionen von Swing bis Tango und ebensolchen Musikern wie Dana Darau, Isabel Krapitz, voc, Bob Rückerl, git/voc, Norbert Gabla, Bandoneon, Stephan Holstein, cl, Wolfgang Kriener, b, Michael „Scotty“ Gottwald, dr – das gibt es nicht oft. Zugreifen!
Ursula Gaisa

Andromeda Mega Express Orchestra
Take off

Alien Transistor/Indigo

Wer wie ich bei einem Namen wie Andromeda Mega Express Orchestra sofort an eine Sun Ra-Hommage denkt, liegt hier nicht mal annähernd richtig. Viel mehr handelt es sich bei diesem musikalischen UFO um eine Formation, die so einfach nicht in eine Schublade zu stecken ist, irgendwo zwischen Ensemble Modern, Duke-Ellington-Big-Band, London Symphony Orchestra und Frank Zappa. Es besteht aus 20 jungen Musikern aus 9 Ländern Europas und Asiens, wo es bereits durch die verschiedensten Landstriche tourte. Die Besetzung des „AMEO“ entspricht in etwa dem eines modernen „Mini-Symphonieorchesters“ mit Streichergruppe, Holz-und Blechbläsern aber auch Schlagzeug, Bass, Gitarre, Harfe und Vibraphon. Alle Stücke des Albums entstammen der Feder des vielversprechenden Berliner Komponisten und Saxophonisten Daniel Glatzel (von dem die Jazzzeitung bereits berichtete, siehe Ausgabe 1/08). Inwiefern die Musik tatsächlich als Jazz bezeichnet werden kann, ist fraglich. Fetzen von Big-Band-Sounds tauchen auf, vermischt mit Anspielungen auf Balkan-Folklore oder frühen Prog-Rock. Man denkt stark an Filmscores der 60er und frühen 70er, streckenweise auch an (bessere) „Lounge“-Alben, wie man sie zum Beispiel von Roy Ayers kennt. Bemerkenswert, wie es Glatzel und dem AMEO gelingt, aus diesen und vielen anderen verschiedenartigen Elementen ein sinnvolles, durchgehend schönes und persönliches Mosaik zusammenzusetzen. Das Album lädt einen zum Fantasieren ein, die Musik scheint wirren Träumen zu entstammen, aber man sollte sich couragiert darauf einlassen, mit dem AMEO auf eine sinnliche Reise zu gehen, querbeet durch die verschiedensten Spiralgalaxien und Sternbilder des zeitgenössischen Musikkosmos.
Cédric Dolanc

Oscar Pettiford
Oscar Rides Again (versch. Gruppen)

Proluxe 5002 (4 CDs)

Nach „The Engine Room“ (PROPERBOX 2) und „BeBop Spoken here“ (Properbox 10) ein weiteres Highlight des englischen Labels Proper Records: 80 Aufnahmen des großen Bassisten zwischen 1943 (seine ersten) und 1957 (drei Jahre später starb er in Kopenhagen mit nur 37 Jahren). Oscar Pettiford war der erste Bassist, der Elemente des Bebop in sein Spiel aufnahm, und nach Jimmy Blanton der zweite, der als Solist ebenso glänzte wie als Begleiter, noch vor Charles Mingus und Ray Brown. Seine Solos sind Musterbeispiele für eine an Bläserfiguren orientierte Phrasierung – noch heute jedem Bassisten zum Studium empfohlen, vor allem denen, die meinen, je mehr Töne desto besser (ich glaube, es war Sigi Busch, der für sie den wunderbaren Ausdruck „Flinketäusch“ geprägt hat). Zudem hat Pettiford das Cello als Jazzinstrument etabliert, wofür es hier ebenfalls sehr schöne Beispiele gibt. Harry Babasin spielte zwar 1947 als erster Aufnahmen mit Cello ein, aber Pettiford übertraf ihn an drive, Ton und Fantasie. Beide machten übrigens 1953 zusammen Aufnahmen, die ebenfalls in dieser Box enthalten sind.
Ein besonderes Lob dem 43-seitigen Booklet, das detaillierte Fakten in Fülle bietet.
Joe Viera

Hiram Bullock
plays the Music of Jimi Hendrix
plus Billy Cobham & WDR Big Band Köln

BHM 1034-2

Gitarristen haben wie die meisten Musiker eine Ahnengalerie ihrer Idole, von denen Jimi Hendrix (1942 bis 1970) wohl am meisten verehrt wird. Auch für Hiram Bullock, einen Grenzgänger in den Bereichen Jazz und Rock, war Jimi Hendrix „ein musikalisches Schlüsselerlebnis” mit Langzeitwirkung. Denn seine Hommage lässt einen Reifungsprozess in der Beschäftigung mit Jimi Hendrix’ Stil erkennen, insbesondere in der Kooperation mit der WDR Big Band Köln, für die Bernd Lechtenfeld kongeniale Arrangements geschrieben hat. Im Unterschied etwa zur Jazz-Aerodynamik von Gil Evans hat Hiram Bullock den rauen Sound der Originale raffiniert verstärken lassen und so den grellen Rockstil von Jimi Hendrix bewahrt. Dessen Gitarrenkünste hat Hiram Bullock zwar nicht versucht zu imitieren, doch er erinnert an sie durch individuelle Virtuosität und ekstatische Soli etwa in „Red House”, wozu auch sein erdiger Gesang passt. Kultivierter Groove kommt von Schlagzeugstar Billy Cobham, der bei seinem Solo zu „Maniac Depression” ziemliche Staccato-Energie erzeugt, und Gastsolist Christoph Dell fügt am Vibraphon ganz unerwartet filigrane Figuren hinzu. Wenn dann noch die Melodie von „Little Wing” von Flöten sphärisch ausgestaltet wird und Frank Chastenier an der Orgel „Crosstown Traffic” in Fahrt bringt, ist die Begeisterung des Publikums bei diesem phantastischen Live- Konzert schon überschäumend. Ein Klasse-Album des im Jahr 2008 verstorbenen Hiram Bullock.
Hans-Dieter Grünefeld

Jürgen Friedrich
Pollock

Pirouet PIT 3039

Eine durch besondere Kohärenz der Akteure faszinierende Pianotrio-CD, stimmiges Meisterwerk einer über Jahre gewachsenen Zusammenarbeit! Auf dem fünften gemeinsamen Album zelebrieren Jürgen Friedrich, p, John Hébert, b, und Tony Moreno, dr, das aufmerksame Interplay auf gleicher Höhe in derart inniger Weise, wie es eben nur ein Trio kann, das der interaktiven Partnerschaft über Jahre hinweg höchste Aufmerksamkeit widmet. Seit 1997 spielen die drei zusammen, nutzen ihr exzellentes kammermusikalisches Gespür zu einer subtilen Vielfalt, wie sie selten zu erleben ist. Alle drei tragen zum kompositorischen Schaffen bei, wenn auch Friedrich am meisten, was nicht verwundern darf, erhielt er doch bereits 1997 als erster Europäer überhaupt den Gil Evans Award for Jazz Composition, die erste einer ganzen Reihe von Auszeichnungen, die er im Lauf der Jahre erhalten hat. Einziger Standard auf der Scheibe ist Monks „Round Midnight“, Lackmus-Test der Triokunst, improvisatorisch und klanglich in allerfeinsten Nuancen ausbalanciert. Das gilt für alle Stücke: Das Trio beherrscht die hohe Kunst der Klangmalerei in den wunderbarsten Farben, die schimmern können und leuchten, mal zart, mal kräftig aufgetragen. Was nicht zuletzt die CD auszeichnet, ist ihr makelloser Klang, der Zusammenhang und Transparenz vereint in einer Aufnahmesituation, die das Trio in einem Raum spielen ließ. Zumindest ein bisschen inspiriert von Jackson Pollocks Idee, die Farbe im freien Fall aufs Papier zu bringen, entstand seelentiefe Musik von faszinierender Farbigkeit.
Tobias Böcker

Christian Scott
Live at Newport CD/DVD

Concord/Universal 0888072308534

Was für ein Sound! Christian Scott liefert auf „Live at Newport“ eine grandiose Vorstellung ab. Eigentlich ist die CD als Referenz auf das Miles Davis Konzert in Newport vor 50 Jahren konzipiert, und Miles wird von Scott auch als einer seiner wesentlichen Einflüsse benannt. Aber die Musik ist alles andere als eine nostalgische Reminiszenz, sondern besticht zuerst einmal durch die ungewöhnliche Besetzung/Instrumentierung und lebt vom einzigartigen Line-up mit Trompete, Gitarre, Saxophon und Rhythmus-Section. Der Gitarrist Matthew Stevens, dessen Spiel ansatzweise an den Ton eines Pat Metheny erinnert, dann aber doch wesentlich komplexer ist, prägt als musikalischer Direktor maßgeblich den Sound der Band. Auffallend zurückhaltend aber immer katalytisch, spielt Scott auf dem Punkt, schweift nie ab und gibt mit seinen Soli Anstöße, die die Band grandios weiterführt. Die Rhythmusgruppe der Band ist mit Aaron Parks am Piano, dem Bassisten Joe Sanders, Jamire Williams an den Drums und dem Saxophonisten Walter Smith III. ebenfalls jung und innovativ besetzt. Hier werden keine Plattitüden gespielt, keine Standards, sondern starke Eigenkompositionen, die durchdacht sind, immer grooven und nie ins Belanglose abdriften. Als Bonus wird die CD mit einer DVD ausgeliefert, auf der Interviews mit Scott sowie Proben vor dem Konzert zu sehen sind, und (außer dem Titel „The Crawler“) das Konzert noch einmal als Film präsentiert wird. Alles in allem eine außerordentlich gelungene Aufnahme!
Thomas J. Krebs

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