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            Jazzzeitung
               2009/02  ::: seite 17
              rezensionen
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       Susi Hyldgaard 
        It`s love we need 
      Enja Records 2008 
       Auf die in New York aufgewachsene Dänin ist Verlass. Sie kleidet
        hochkultivierte Jazzideomatik in moderne Gewänder und ihre Stimme
        kann mit allen großen Jazz-Vokaleusen locker mithalten. Sie macht
        ihr eigenes Ding – ja, sie überholt so manch gefeierte Vokal-Diva
        aus den Staaten locker, wenn es um das Individuelle, um den feinen, besonderen
        Moment geht. Sie liebt epische Arrangements, deren Kern ein lyrisches,
        zuweilen nachdenkliches Songwriter-Potenzial ausmacht. Jetzt hat sie
        all dies einem orchestralen Großformat einverleibt, denn für
        ihr aktuelles Album stand ihr die NDR-Bigband unter Dieter Glawischnig
        zur Seite. Die Stücke passieren komplexe Arrangements, vereinen
        in kaleidoskopischer Vielfalt so viel konträres – und bleiben
        dabei durch und durch Songs. Da gibt es mal die volle Breitseite mit
        fetten Blueseinlagen von Mingus’scher Größe und mit
        opulenter Pianistik seitens Suzi Hyldgaard selbst im Epizentrum. Dann
        kommt viel Zartheit, ja Intimität auf. Hyldgaards Songs verströmen
        Alltagspoesie – intelligent, voller Reife, mit spitzer Feder. Balladen
        artikulieren großes Gefühl, integrieren dabei allumfassend
        das ganze Arsenal der Hörner. Verspielte Rhythmen treiben selbstironische
        Reflexionen über ihre ganz private Befindlichkeit und Lebenswirklichkeit
        voran, dabei lässt die Wucht der Bigband nie die Macht des Wortes
        in ihren Songs schrumpfen. Wer an Susi Hyldgaards künstlerische
        Autorität glaubt, konnte auch am Gelingen dieser Herausforderung
        nicht zweifeln. 
        Stefan Pieper 
      Conny Bauer 
        Der gelbe Klang 
      Jazzwerkstatt 038 
       Ziemlich lange warten musste man auf eine neue Solo-Aufnahme von Conny
        Bauer, die alles, was man an Solo-Kunst speziell auf der Posaune kennt,
        in den Schatten stellt. Bevorzugter Klangraum für seine Soloauftritte
        waren bisher übergroße Klang- und Schallräume, wie in
        den 80er-Jahren der Kölner Wasserspeicher oder das Völkerschlachtdenkmal,
        mit deren Hilfe er viele Klanglagen übereinander legte und so einen
        vielstimmigen Posaunenchor produzierte, Improvisierte Musik in Reinform
        oder -klang, die voller Melodien, voller Gefühle und einfacher wie
        komplizierter Gedankengänge ist, aufgeführt von einem Musiker,
        der alle Möglichkeiten seines Instruments perfekt ausschöpft,
        von der Mehrstimmigkeit zum Überblasen oder unglaublicher Zirkularatmung.
        Die Gedanken- und Lebenswelt eines Musikers der aktuellen Musik wird
        auf beispiellose Weise erlebbar. Seit vielen Jahren macht Bauer diese
        Improvisationskunst aber auch in normal großen Räumen unter
        Zuhilfenahme von Electronics möglich. In vielen Stunden im Studio
        entstand so eine Aufnahme von neun Titel in einem Fluss, die von der
        Vergangenheit wie von der Gegenwart erzählen, von dem ersten Solokonzert
        in den 70er-Jahren, „Osterfeuer“, bis zur Erinnerung an vergangene
        Dinge, „Damals“, fröhliche wie traurige Ereignisse, „Das
        Fest“ und „Traurige Stimme“. Als eine klare und alles
        andere als deprimierend klingende Aussage zu seiner persönlichen
        Situation mag das Schlussstück „Zu Hause“ gelten, das
        mit den Worten endet: „Ich lebe hoch, ich lebe hoch im Plattenbau“! 
        Hans-Jürgen von Osterhausen  
      Samo Salamon & Aljosa Jeric Quartet feat.
          Mark Turner 
      Mamasaal 
       Wer Samo Salamon in den letzten beiden Jahren live erlebt hat, dürfte
        sich ein bisschen wundern über diese Scheibe, nur beim ersten flüchtigen
        Reinhören freilich: Der Starkstromjazzer präsentiert sich auf „Mamasaal“ gemeinsam
        mit Matt Brewer, b, Co-Leader Aljosa Jeric, dr, und dem auf den Punkt
        motivierten, passgenauen Gast Mark Turner, ts, relativ verbindlich, jazzig,
        Mainstream-bezogen und ohne das Ungestüm, das er auf der Bühne
        zeigt. Das liegt daran, dass die Aufnahmen, die jetzt erst veröffentlicht
        wurden, bereits aus dem Jahr 2006 stammen und damit eine kleine Rückblende
        ermöglichen auf die Entwicklung des Gitarristen aus Maribor in Slowenien,
        der sich inzwischen in New York den Ruf erspielt hat, einer zu sein,
        an dem sich die Zukunft misst. Umtriebig, produktiv, virtuos gehört
        Samo Salamon zu jener Garde junger Gitarristen, die Neuland betreten,
        die urplötzlich die gewohnten Laufwege ändern, die für
        jede einzelne Note den Kick abseits ausgetretener Pfade suchen. Das ist
        auf der vorliegenden Scheibe alles schon da, zwischen den Zeilen noch,
        aber deutlich: Irgendwo zwischen Slowenien und New York liegt der Mittelpunkt
        eines eigenwilligen Paralleluniversums, in dem die Atome und Elemente
        eine Spur neben der Spur ticken. Salamon spielt mit allen Haken und Ösen,
        die die Moderne zu bieten hat, mit verrrückten Grooves, vertrackten
        harmonischen Kapriolen, überraschungsgeladener Melodiosität
        und hohem instrumentalen Können, mit heart and soul, avantgardistischer
        Neugier und leidenschaftlichem Spürsinn. 
        Tobias Böcker 
      Jim Black AlasNoAxis 
        Houseplant 
      Winter & Winter 910 154-2  
       Der 1967 geborene Schlagzeuger Jim Black legt mit “Houseplant” seine
        nun sechste Veröffentlichung als Leader bei Winter&Winter vor.
        Mit der Formation AlasNoAxis lotet Black erneut die Grenzen zwischen
        Rock, Jazz und dezenten Ambientklängen aus. Dabei besticht auf „Houseplant“ vor
        allem seine harmonische Herangehensweise, die oftmals Sounds der Neunziger
        wie z.B. John McEntires „Tortoise“ oder „The Sea and
        Cake“ zitiert. Genau in dieser Zeit sammelte Jim Black im Übrigen
        essenzielle musikalische Erfahrungen. Songstrukturen wie bei dem Titel „Malomice“ klingen
        bereits nach dem ersten Ton vertraut und erzeugen eine warme Atmosphäre.
        Irgendwoher scheint man Melodien zu (er)kennen, dabei sind es ausnahmslos
        Eigenkompositionen aus Jim Blacks Feder. Hervorstechend sind lange, leicht
        düstere Klänge, mit unverhohlenen Rockanleihen, die sich relaxt
        zwischen kreativem Pop und Jazz bewegen. Seit 2000 besteht Jim Blacks
        Formation AlasNoAxis mit dem Saxophonisten Chris Speed, den Isländern
        Skuli Sverisson am Bass und Hilmar Jensson an der Gitarre. „Houseplant“ ist
        die fünfte Veröffentlichung mit dieser Gruppe. Keine einfache,
        eingängige Aufnahme die von vornherein ein Topseller sein wird,
        sondern vielmehr ein Titel an der sich die Geister wieder scheiden werden.
        Die einen werden sie lieben, andere werden sich ob der vordergründig
        rockigen Klänge abwenden. AlasNoAxis „Houseplant“ eignet
        sich für ruhige, entspannte Stunden, ist zum absoluten Zuhören
        und sich darauf einlassen gedacht. 
        Thomas J. Krebs 
      Anke Helfrich 
        Stormproof 
      Enja Records/Soulfood ENJ 9528 2 
        „Stormproof“ – bei dem Titelsong ihrer dritten Leader-CD habe
        sie an die Stürme des Lebens gedacht, erklärt die Weinheimer
        Pianistin Anke Helfrich. Tröpfelnd aber verheißungsvoll beginnt
        das Stück, wiegt sich dann zwischen zögernden Phrasen, fantasievollen
        Umschwüngen und anspruchsvollen Tempiwechseln ein und explodiert
        schließlich in einer Fanfare an die Widerstandskraft des Individuums.  
        Hier und da mischen sich afrikanischer Percussion-Sound, sanftes Glockenspiel,
        Urwald-Geräusche und humorvolle Melodica ins Tongetümmel. Die
        Pianistin selbst erzählt zusätzlich mit offenen Klaviersaiten
        und Fender-Rhodes-Teppichen – vielleicht von ihrer Kindheit in
        Namibia, ihrem Jazzstudium in den Niederlanden und in New York oder auch
        noch von ganz anderen Lebensstürmen.  
        Helfrich bestreitet ihre gesamte CD außerordentlich bravourös,
        auch dank Henning Sieverts mit Bass und Cello sowie Schlagzeuger Dejan
        Terzic. Mit ihm spielt Anke Helfrich bereits seit mehreren Jahren zusammen;
        die letzte CD „Better Times Ahead“ (2006) etwa hat Terzic
        mit bespielt. Als neuer Bassist gesellte sich nun Henning Sieverts hinzu,
        der ebenso wild wie einfühlsam begleitet. Nils Wogram, glänzender
        Gastposaunist in fünf Stücken, fügt sich in voller Harmonie
        dem Klanggefüge hinzu – so dass ein ganz individueller, impulsiver
        und lebenslustiger Sound entsteht.  
        Uta Leidenberger        
      Kagerer & Nieberle 
        live 
      Bobtale Records, www.bobtale.de 
        Man kann es kaum glauben: Seit über 20 Jahren ist das völlig
        zurecht mit dem Bayerischen Kulturförderpreis und dem Archtop-Germany-Award
        ausgezeichnete Jazzgitarrenduo „Kagerer & Nieberle“ nun
        auf den Bühnen in Europa und den USA unterwegs und erst Ende 2008
        erschien die erste Live-Scheibe des Duos. Und ebenso wie alle Studioproduktionen
        ist auch dieser Tonträger ein Juwel im Genre des Gitarrenjazz. Vielleicht
        beflügelte es Helmut Kagerer und Helmut Nieberle ja zusätzlich,
        dass diese bei Bobtale Records erschienene CD in ihrer Heimatstadt Regensburg,
        genauer im Domizil des Jazzclub Regensburg im „Leeren Beutel“,
        aufgenommen wurde. Denn was hier in zehn Nummern zu hören ist, zeugt
        von höchster Inspiration und musikalischer Qualität. Die stilistische
        Palette reicht vom zigeunerjazz-geprägten „Crazy Rhythm“ von
        Joseph Meyer und Roger Wolfe Kahn über wunderschön innig interpretierte
        Balladen wie „Secret Love“ von Sammy Fain bis hin zur bluesbeseelten
        Nummer „Sweet Emma“ von Julian Clifford Mance. Vor allem
        in letzterer Nummer und in den Balladen kommt das große Gespür
        des Duos für packende Spannungsbögen, aber auch das filigrane
        Empfinden sämtlicher dynamischer Verästelungen so richtig schön
        zum Tragen. Wer wirklich bis in jedes Detail beseelte Jazzgitarren-Klänge
        schätzt, sollte an dieser Scheibe nicht vorbeigehen. 
        Stefan Rimek       
      Frederik Köster Quartett  
        Zeichen der Zeit 
      Traumton 4522/indigo cd 921462 
        Es zeugt von einem gewissen Selbstbewusstsein und vielleicht auch einer
        vorhandenen Gewitztheit des Musikers, seine neue CD „Zeichen der
        Zeit“ zu nennen. Frederik Köster, Trompeter und Flügelhornist
        und seit 2007 Professor für Jazztrompete (HfM der FH Osnabrück),
        steht mit seiner Band ganz im Kontext seiner Generation, sie sind mit
        einem Faible für elektronische Sounds sozusagen groß geworden.
        Die anderen drei, die hier mit von der Partie sind, heißen Tobias
        Hoffmann an Gitarre und Effektgerät, Robert Landfermann (db, effects)
        und Ralf Gessler an Drums und Percussion. Sie alle spielen hier ausschließlich
        Kompositionen aus Kösters Feder. Kompositionen übrigens, die,
        anders als bei vielen Blasinstrumentalisten, oft nicht das eigene Instrument
        in den Vordergrund stellen: Da erklingt, dass es eine echte Freude ist,
        eine kräftige, mit elektronischen Effekten aufgeladene Gitarrenlinie
        hier, ein brummelndes Basssolo dort. Selbstverständlich kann Köster
        gekonnt solieren und zeigt dies auch; mehr Interesse als daran, selbst
        im Rampenlicht zu glänzen, scheint er jedoch an einem geschlossenem
        Bandsound zu haben. „Zeichen der Zeit“ ist wahrhaft innovativ,
        erfrischend – meist klanggewaltig inszeniert, gelegentlich auch
        wohltuend defensiv. Beim Hören dieser Aufnahme wundert es kaum,
        dass die Band wohl eine ähnlich gute Liveperformance bietet: siehe
        unser Bericht Jazzpreis Mannheim, S. 4 
        Carina Prange       
      Norbert Stein Pata Generators 
        direct speech 
      Pata 19/Vertrieb: www.patamusic.de 
        Seit jeher pflegt der überragende Kölner Saxophonist Norbert
        Stein ein Faible für bildmächtige Titel, mit denen er seine
        komplexen Kompositionen um eine weitere Ebene anreichert. Damit schränkt
        er Freiheit, Mannigfaltigkeit und klanglichen Reichtum seiner durch Stile,
        Formen und Mittel mäandernden Musik, was durch den unscharfen und
        damit weitenden Begriff der „Pata-Musik“ definiert ist, keineswegs
        ein. Ob er damit, wie beim neuesten Werk mit seinen „Pata Generators“ mit „Die
        Tochter des Papstes“, „Alice in der parallelen Welt“ oder
        den „(…) Zen Geboten“, einen zusätzlichen Zugang
        ermöglicht, aufs Glatteis führt oder geneigte Hörerinnen
        und Hörer ermuntert, ein Stück beim Zuhören zusätzlich
        auf musikalische Konnotationen zur Wortaussage abzuklopfen, bleibt dahingestellt.
        Eines erreicht er sicher, dass man beim Lesen stolpert und anfängt
        zu hinterfragen. Ganz so klar und direkt wie der Titel des neuen Albums
        suggeriert, sehen demnach die „Les Yeux de l’Oiseau de la
        Guerre“ (Die Augen des Kriegsvogels) keineswegs. Vielmehr fühlt
        man sich bei Steins verschlungenen und verflochtenen Kompositionen, kraftvoll
        und spannend gestaltet von einem großartigen Ensemble, an „Chameleon(s)
        Nature“ erinnert, das mit jeder Stimmung die Farbe wechselt, im
        Hintergrund aufgeht und sich ganz einfach ständig im Fluss (der
        Umgestaltungen und Vielheiten) befindet.  
        Michael Scheiner       
      Vom Strahlen meiner Augen. Die schönsten Songs aus der Werkstatt
        von Kurt Lowinger & Helmut Nieberle 
      Bobtale Records www.bobtale.de 
        Was für wundersame musikalische Kleinodien in rauchgeschwängerter
        Atmosphäre „zwischen Nachtbar und Küchentisch“ entstehen
        können, beweist diese Zusammenarbeit zwischen dem Gitarristen und
        Komponisten Helmut Nieberle und dem 2004 verstorbenen Lebemann und Erzähler
        Kurt „Kurti“ Lowinger. Vier Jahre lang wurde ausprobiert
        und gefeilt, live vorgespielt und schließlich aufgenommen. Diese
        Sorgfalt und „labour of love“ merkt man jedem der elf Stücke
        an. Wenn Jörg Seidel cool von seinen Plänen, sich eine reiche
        Witwe zu schnappen, um seine Geldprobleme in den Griff zu bekommen und
        sie zur Hochzeitsnachtsnacht „über die Klippen hinunter (zu)kippen“ singt,
        Charlie Meimer mit samtweicher Stimme ein Liebeslied für eine „schwarze
        Wilde, seidenweiche und verspielte, süße, böse, milde
        namens Hilde“ zum Besten gibt oder die wunderbare Steffi Denk von „Verfloss‘nen
        Affairen“ und dem „Chaos der Gefühle“ erzählt,
        fängt man an, sich zu erinnern, mitzuswingen und zu schwelgen und
        laut oder ganz leise in sich hinein zu lachen. Deutsche Texte ohne Pathos,
        mit viel Witz und lakonischem Humor, gepaart mit kongenialen Kompositionen
        von Swing bis Tango und ebensolchen Musikern wie Dana Darau, Isabel Krapitz,
        voc, Bob Rückerl, git/voc, Norbert Gabla, Bandoneon, Stephan Holstein,
        cl, Wolfgang Kriener, b, Michael „Scotty“ Gottwald, dr – das
        gibt es nicht oft. Zugreifen! 
        Ursula Gaisa       
      Andromeda Mega Express Orchestra 
        Take off 
      Alien Transistor/Indigo 
        Wer wie ich bei einem Namen wie Andromeda Mega Express Orchestra sofort
        an eine Sun Ra-Hommage denkt, liegt hier nicht mal annähernd richtig.
        Viel mehr handelt es sich bei diesem musikalischen UFO um eine Formation,
        die so einfach nicht in eine Schublade zu stecken ist, irgendwo zwischen
        Ensemble Modern, Duke-Ellington-Big-Band, London Symphony Orchestra und
        Frank Zappa. Es besteht aus 20 jungen Musikern aus 9 Ländern Europas
        und Asiens, wo es bereits durch die verschiedensten Landstriche tourte.
        Die Besetzung des „AMEO“ entspricht in etwa dem eines modernen „Mini-Symphonieorchesters“ mit
        Streichergruppe, Holz-und Blechbläsern aber auch Schlagzeug, Bass,
        Gitarre, Harfe und Vibraphon. Alle Stücke des Albums entstammen
        der Feder des vielversprechenden Berliner Komponisten und Saxophonisten
        Daniel Glatzel (von dem die Jazzzeitung bereits berichtete, siehe Ausgabe
        1/08). Inwiefern die Musik tatsächlich als Jazz bezeichnet werden
        kann, ist fraglich. Fetzen von Big-Band-Sounds tauchen auf, vermischt
        mit Anspielungen auf Balkan-Folklore oder frühen Prog-Rock. Man
        denkt stark an Filmscores der 60er und frühen 70er, streckenweise
        auch an (bessere) „Lounge“-Alben, wie man sie zum Beispiel
        von Roy Ayers kennt. Bemerkenswert, wie es Glatzel und dem AMEO gelingt,
        aus diesen und vielen anderen verschiedenartigen Elementen ein sinnvolles,
        durchgehend schönes und persönliches Mosaik zusammenzusetzen.
        Das Album lädt einen zum Fantasieren ein, die Musik scheint wirren
        Träumen zu entstammen, aber man sollte sich couragiert darauf einlassen,
        mit dem AMEO auf eine sinnliche Reise zu gehen, querbeet durch die verschiedensten
        Spiralgalaxien und Sternbilder des zeitgenössischen Musikkosmos.  
        Cédric Dolanc       
      Oscar Pettiford 
        Oscar Rides Again (versch. Gruppen) 
      Proluxe 5002 (4 CDs) 
        Nach „The Engine Room“ (PROPERBOX 2) und „BeBop Spoken
        here“ (Properbox 10) ein weiteres Highlight des englischen Labels
        Proper Records: 80 Aufnahmen des großen Bassisten zwischen 1943
        (seine ersten) und 1957 (drei Jahre später starb er in Kopenhagen
        mit nur 37 Jahren). Oscar Pettiford war der erste Bassist, der Elemente
        des Bebop in sein Spiel aufnahm, und nach Jimmy Blanton der zweite, der
        als Solist ebenso glänzte wie als Begleiter, noch vor Charles Mingus
        und Ray Brown. Seine Solos sind Musterbeispiele für eine an Bläserfiguren
        orientierte Phrasierung – noch heute jedem Bassisten zum Studium
        empfohlen, vor allem denen, die meinen, je mehr Töne desto besser
        (ich glaube, es war Sigi Busch, der für sie den wunderbaren Ausdruck „Flinketäusch“ geprägt
        hat). Zudem hat Pettiford das Cello als Jazzinstrument etabliert, wofür
        es hier ebenfalls sehr schöne Beispiele gibt. Harry Babasin spielte
        zwar 1947 als erster Aufnahmen mit Cello ein, aber Pettiford übertraf
        ihn an drive, Ton und Fantasie. Beide machten übrigens 1953 zusammen
        Aufnahmen, die ebenfalls in dieser Box enthalten sind. 
        Ein besonderes Lob dem 43-seitigen Booklet, das detaillierte Fakten in
        Fülle bietet. 
        Joe Viera 
      Hiram Bullock 
        plays the Music of Jimi Hendrix 
        plus Billy Cobham & WDR Big Band Köln 
      BHM 1034-2 
        Gitarristen haben wie die meisten Musiker eine Ahnengalerie ihrer Idole,
        von denen Jimi Hendrix (1942 bis 1970) wohl am meisten verehrt wird.
        Auch für Hiram Bullock, einen Grenzgänger in den Bereichen
        Jazz und Rock, war Jimi Hendrix „ein musikalisches Schlüsselerlebnis” mit
        Langzeitwirkung. Denn seine Hommage lässt einen Reifungsprozess
        in der Beschäftigung mit Jimi Hendrix’ Stil erkennen, insbesondere
        in der Kooperation mit der WDR Big Band Köln, für die Bernd
        Lechtenfeld kongeniale Arrangements geschrieben hat. Im Unterschied etwa
        zur Jazz-Aerodynamik von Gil Evans hat Hiram Bullock den rauen Sound
        der Originale raffiniert verstärken lassen und so den grellen Rockstil
        von Jimi Hendrix bewahrt. Dessen Gitarrenkünste hat Hiram Bullock
        zwar nicht versucht zu imitieren, doch er erinnert an sie durch individuelle
        Virtuosität und ekstatische Soli etwa in „Red House”,
        wozu auch sein erdiger Gesang passt. Kultivierter Groove kommt von Schlagzeugstar
        Billy Cobham, der bei seinem Solo zu „Maniac Depression” ziemliche
        Staccato-Energie erzeugt, und Gastsolist Christoph Dell fügt am
        Vibraphon ganz unerwartet filigrane Figuren hinzu. Wenn dann noch die
        Melodie von „Little Wing” von Flöten sphärisch
        ausgestaltet wird und Frank Chastenier an der Orgel „Crosstown
        Traffic” in Fahrt bringt, ist die Begeisterung des Publikums bei
        diesem phantastischen Live- Konzert schon überschäumend. Ein
        Klasse-Album des im Jahr 2008 verstorbenen Hiram Bullock. 
        Hans-Dieter Grünefeld        
      Jürgen Friedrich 
        Pollock 
      Pirouet PIT 3039 
        Eine durch besondere Kohärenz der Akteure faszinierende Pianotrio-CD,
        stimmiges Meisterwerk einer über Jahre gewachsenen Zusammenarbeit!
        Auf dem fünften gemeinsamen Album zelebrieren Jürgen Friedrich,
        p, John Hébert, b, und Tony Moreno, dr, das aufmerksame Interplay
        auf gleicher Höhe in derart inniger Weise, wie es eben nur ein Trio
        kann, das der interaktiven Partnerschaft über Jahre hinweg höchste
        Aufmerksamkeit widmet. Seit 1997 spielen die drei zusammen, nutzen ihr
        exzellentes kammermusikalisches Gespür zu einer subtilen Vielfalt,
        wie sie selten zu erleben ist. Alle drei tragen zum kompositorischen
        Schaffen bei, wenn auch Friedrich am meisten, was nicht verwundern darf,
        erhielt er doch bereits 1997 als erster Europäer überhaupt
        den Gil Evans Award for Jazz Composition, die erste einer ganzen Reihe
        von Auszeichnungen, die er im Lauf der Jahre erhalten hat. Einziger Standard
        auf der Scheibe ist Monks „Round Midnight“, Lackmus-Test
        der Triokunst, improvisatorisch und klanglich in allerfeinsten Nuancen
        ausbalanciert. Das gilt für alle Stücke: Das Trio beherrscht
        die hohe Kunst der Klangmalerei in den wunderbarsten Farben, die schimmern
        können und leuchten, mal zart, mal kräftig aufgetragen. Was
        nicht zuletzt die CD auszeichnet, ist ihr makelloser Klang, der Zusammenhang
        und Transparenz vereint in einer Aufnahmesituation, die das Trio in einem
        Raum spielen ließ. Zumindest ein bisschen inspiriert von Jackson
        Pollocks Idee, die Farbe im freien Fall aufs Papier zu bringen, entstand
        seelentiefe Musik von faszinierender Farbigkeit. 
        Tobias Böcker       
      Christian Scott 
        Live at Newport CD/DVD 
      Concord/Universal 0888072308534 
        Was für ein Sound! Christian Scott liefert auf „Live at Newport“ eine
        grandiose Vorstellung ab. Eigentlich ist die CD als Referenz auf das
        Miles Davis Konzert in Newport vor 50 Jahren konzipiert, und Miles wird
        von Scott auch als einer seiner wesentlichen Einflüsse benannt.
        Aber die Musik ist alles andere als eine nostalgische Reminiszenz, sondern
        besticht zuerst einmal durch die ungewöhnliche Besetzung/Instrumentierung
        und lebt vom einzigartigen Line-up mit Trompete, Gitarre, Saxophon und
        Rhythmus-Section. Der Gitarrist Matthew Stevens, dessen Spiel ansatzweise
        an den Ton eines Pat Metheny erinnert, dann aber doch wesentlich komplexer
        ist, prägt als musikalischer Direktor maßgeblich den Sound
        der Band. Auffallend zurückhaltend aber immer katalytisch, spielt
        Scott auf dem Punkt, schweift nie ab und gibt mit seinen Soli Anstöße,
        die die Band grandios weiterführt. Die Rhythmusgruppe der Band ist
        mit Aaron Parks am Piano, dem Bassisten Joe Sanders, Jamire Williams
        an den Drums und dem Saxophonisten Walter Smith III. ebenfalls jung und
        innovativ besetzt. Hier werden keine Plattitüden gespielt, keine
        Standards, sondern starke Eigenkompositionen, die durchdacht sind, immer
        grooven und nie ins Belanglose abdriften. Als Bonus wird die CD mit einer
        DVD ausgeliefert, auf der Interviews mit Scott sowie Proben vor dem Konzert
        zu sehen sind, und (außer dem Titel „The Crawler“)
        das Konzert noch einmal als Film präsentiert wird. Alles in allem
        eine außerordentlich gelungene Aufnahme! 
        Thomas J. Krebs 
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