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            Jazzzeitung
               2008/04  ::: seite 13-14
              rezensionen
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       Jörg Brinkmann Trio  
        Ha! 
      Act 9662-2 – Young German Jazz 
       „HA!” ist ein äußerst interessantes Debut des
        Jörg Brinkmann Trios in der konsequenten wie erfolgreichen Act-Label-Reihe „Young
        German Jazz“. Mit der ersten Live-Version von „HA!“ gewannen
        der Cellist Jörg Brinkmann und sein Trio verdientermaßen den
        jazzwerkruhr Wettbewerb 2007. Nicht allein durch sein facettenreiches
        Cellospiel hebt sich der Sound von einem klassischen Piano-Trio ab. Durch
        das äußerst kreative Mitspiel des Schlagwerkers Dirk-Peter
        Kölsch und den virtuosen Einsatz von Oliver Maas an Piano und Fender
        Rhodes finden auch ungewöhnliche Klänge Einzug, die den Stücken
        einen eigenen, selbstständigen Charakter verleihen. Musikalisch
        lässt sich „HA!“ nicht in einer bestimmten Schublade
        ablegen. Traditionelle Balladen wie „Sirius B“ oder „September“ wechseln
        sich ab mit schrägen Salon-Miniaturen, jazz-rockigen Kompositionen
        oder Hardbop-Anklängen. Dabei werden die Kompositionen immer wieder
        unterbrochen von Intermezzi, um dann im nächsten Stück zu neuen
        Stil-Ufern aufzubrechen. Eine „Introduktion“ zu „Ha!“ bekommt
        der Hörer erst zum Schluss im vorletzten Stück, bevor die CD
        mit einem wundervoll lyrischen „Song“ ausklingt. Irgendwie
        ist das Album bewusst konzeptionell aufgebaut und konterkariert konventionelle
        Hörgewohnheiten. Gleichzeitig sorgen intelligente Arrangements und
        harmonische Brüche mit Witz, ohne ausufernde Soli, für musikalische
        Abwechslung im Trio. „HA!“ ist der beste Beweis dafür,
        dass man stilistisch sicher fortschreiten und dabei Horizonte weiter
        spannen kann.  
        Thomas J. Krebs 
      Laia Genc & Liason Tonique 
        Strandgut 
      Jazzhausmusik JHM 168 
       Verstreut an einem Ort ist „Strandgut“, von einer ruhigen
        Dünung ans Ufer gespült. Den Salzgeruch in den Klavierklängen,
        wandert Laia Genc in spähender Erinnerung über den Sand, lässt
        langsam Metaphern aus der Improvisation wachsen. Rund, vielleicht ist
        erlaubt zu sagen: feminin spielt sie Töne, die sich empathisch ihrem
        Thema zuneigen, gerade auch beim melodisch sanften Porträt „Ida
        Lupino“ von Carla Bley. Lyrisch verführt Gastsaxophonist Christophe
        Panzani „Sometimes Not“ zu angenehmen Gefühlen. Doch
        Strandgut hat nicht nur impressionistische Stilistik parat, die kann „If
        Love Leaves“ durchaus in einem Dreh zu repetitiven Deklamationen
        im Crescendo vergeblich sein, zumal Nils Tegen am Schlagzeug die angestrebte
        Erlösung durch impulsive Gegenrhythmen verweigert. Plötzliche
        Wendungen sind typisch für die Triokonzeption der Liason Tonique,
        so dass ein orientalisches Motiv zu „Shivas Traum“ im seufzenden
        Bass von Matthias Novak per Accelerando zu entspanntem Cool Jazz mutiert.
        Ebenso wird das rasante Postbopriff zu „Contemporis“ von
        Hervé Sellin vertikal zu freien Assoziationen demontiert oder
        ein vulkanisches Saxsolo sprüht „Bleu Liquide“ in ein
        heftiges Bassostinato. Was zunächst willkürlich erscheint,
        haben Laia Genc & Liason Tonique aus den Spektren des zeitgenössischen
        Jazz zu einem kohärenten Konzept gefügt. Gleichberechtigt und
        zugleich mit individuellen Freiheiten ausgestattet, hat sich dieses Jazzklaviertrio
        zu einer stabilen Formation entwickelt. 
        Hans-Dieter Grünefeld 
      Zentralquartett/Synopsis: Auf der Elbe schwimmt ein rosa Krokodil 
      Intakt Records CD 142 
       Was wird aus Legenden, wenn sie plötzlich gegenwärtige Wirklichkeit
        werden? Die Wiederbegegnung mit dem Ost-Berliner Free Jazz Quartett „Synopsis“ und
        seiner ersten Aufnahme aus dem Jahr 1974 ist so ein Fall. Auch jenseits
        der Mauer pflegte man die Auslotung der Grenzen für eine freie Improvisation
        sehr nachhaltig und ernsthaft. Das kann man sich jetzt mit der neuerlichen
        Wiederveröffentlichung der ursprünglichen FMP-LP vergegenwärtigen.
        Was John Corbetts Reissues der alten Schlippenbach-, Brötzmann-
        oder Schoof-Meilensteine war, wird in zunehmendem Maße Patrick
        Landolts Intakt Records in Zürich für die Veröffentlichungen
        des alten Kollektivs aus der DDR, das nach dem Auseinandergehen 1975
        Ende der 80erJahre wiedererstand unter dem neuen und bis heute existierenden
        Namen „Zentralquartett“. Die 1974er Aufnahme erschien nur
        im Westen und dank Intakt auch die neuen und sehr überzeugenden
        Aufnahmen des Quartetts schon mehrfach in Zürich. Vieles hat die
        alte Aufnahme mit denen der West Free Jazzer gemein, die hemmungslose
        Freiheit, die Spannung und Kraft, die allerdings durch fein gesponnene
        Kanäle sich langsam aber stetig aufbaut. Große Virtuosität,
        die das Spiel von Konrad Bauer, Ernst-Ludwig Petrowski, Ulrich Gumpert
        und Günter Sommer bis heute auszeichnet, macht alles möglich
        wie auch hymnenartige Ausbrüche, ganz im scheinbaren Gegensatz zu
        dem dadaistischen Anstrich, der sich schon in den Titeln „Krisis
        eines Krokodils“ oder dem Titelstück „Auf der Elbe schwimmt
        ein rosa Krokodil“ ausdrückt.  
        Hans-Jürgen von Osterhausen  
      Mathias Eick 
        The Door 
      ECM 2059 (Universal) 
       Der Titel „The Door“ bezog sich im Grunde am Anfang lediglich
        auf die eigene Tür in seinem kleinen Heimstudio. Interpretationen
        wie „Door Opener“ kamen erst später mit dazu. Und dennoch:
        mit dieser CD öffnet der norwegische Trompeter die Tür zur
        Welt des europäischen Jazz nicht nur einen Spalt breit, er stößt
        sie ganz weit auf! Eicks Vorbilder sind Keith Jarrett, aber auch Jan
        Garbarek und Tomasz Stanko – alle genannten sind Repräsentanten
        des Münchner Labels ECM. Da ist schnell klar, wieso es Eicks größter
        Wunsch war, bei der Plattenfirma der so heißgeliebten Künstler
        ein Album herauszubringen. Jetzt ist sein Traum Wirklichkeit geworden.
        Hoffentlich hat Eick noch mehr Wünsche und Träume auf Lager,
        damit ihm und uns nicht langweilig wird!? Denn mit „The Door“ stellt
        Mathias Eick uns eine – ausschließlich seine eigene – geniale
        Musik vor: es sind Instrumentalstücke, die ganz große Gefühle
        transportieren – und Kitsch ist hier nicht gemeint! Von herzzerreißender
        Melancholie über gelassene Langsamkeit ohne die Not zuvieler Töne
        bis zu experimentellen Passagen überzeugt Eick als Komponist und
        Bandleader. Ein Lob an dieser Stelle auch an Jon Balke, Audun Erlien,
        Audun Kleive und Stian Carstensen, die gekonnt dazu beitragen, dass diese
        Musik eine runde Sache ist. Nicht zu vergessen: Mathias Eicks mal schmachtendem,
        mal kühl distanziertem Trompetenton wird sich wohl kaum jemand entziehen
        können. Bei so einem kunstvoll-gekonnten Debüt verbleiben wir
        in nahezu angstvoller Erwartung auf die Live-Konzerte und das nächste
        Album – lässt sich das noch toppen? 
        Carina Prange 
      Quadro Nuevo 
        Antakya 
      GLM/Fine Music FM 132-2 
        Der Ruf, den sich Quadro Nuevo als Experten für folkloristische
        Musik vieler Länder und Regionen erworben haben, hat dem Quartett
        nun ein Filmprojekt eingebracht. Für den deutsch-türkischen
        Regisseur Servet Ahmet Golbol vertonten die Musiker dessen Film „Zwei
        halbe Leben sind kein Ganzes“, eine dokumentarische Geschichte über
        Menschen in der türkischen Stadt Antakya. Gut ist ihnen das gelungen,
        denn die Musik klingt, wie auch jedes Mal zuvor, überraschend authentisch.
        Und damit ist nicht etwa eine hundertprozentige Übereinstimmung
        mit traditioneller türkischer oder orientalischer Musik gemeint,
        sondern die Leichtigkeit, mit der sich die Musiker in diese neue musikalische
        Umgebung einpassen, als wäre sie ihnen seit langem vertraut. Die
        Stücke sind einfach und wiederholen sich in den harmonischen Grundmustern,
        wie es oft in Konzeptalben der Fall ist, wirken aber nie plump. Vielleicht
        ist die Nähe zur Stadt Antakya der Schlüssel zu diesem Geheimnis,
        denn die Musik ist direkt während eines Aufenthalts der Band in
        Antakya, komponiert und dann an verschiedenen Orten der Stadt, wie zwei
        antiken Kirchen, aufgenommen worden. Eine Inspirationsquelle, die sicher
        wirksamer ist als ein steriles Münchner Studio. Beeindruckend ist,
        wie Gitarrist Robert Wolf neben der Gitarre in recht überzeugender
        Weise mit orientalischen Saiteninstrumenten wie Oud, Qanun, Cümbüs
        oder auch der griechischen Bouzouki umgeht. 
        Jörg Lichtinger       
      Willie Nelson & Wynton Marsalis  
        Two Men With The Blues  
      Blue Note 
        Zunächst waren es nur zwei Konzerte, gespielt Mitte Januar 2007
        im Panoramasaal „Allen Room“ des New Yorker Lincoln Centers.
        Angekündigt war der damals 73-jährige Willie Nelson, jener
        unverwüstliche alte Herr der diskreten ästhetischen Verweigerung,
        dem während seines wechselhaften Künstlerlebens gelungen war,
        den Nashville-Zwängen erfolgreich die lange Nase zu zeigen. Nicht
        mit auf dem Plakat stand jedoch, dass der Chef des Jazz@Lincoln Center-Departements
        Wynton Marsalis ebenfalls mit seinem Quintett auf der Bühne stehen
        würde. Natürlich war das eine kleine Sensation. Zwei Heroen
        ihrer Sparten wagten den Schulterschluss, das versprach Neues. Nur bestand
        das Frische in der Fundamentierung des Alten. Nelson und Marsalis einigten
        sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner der amerikanischen Popularmusik
        und spielten Blues und Standards à la „Georgia On My Mind“.
        Das machten sie auf künstlerisch exzellentem Niveau, der eine raustimmig
        die Authentizität der eigenen Person einfordernd, der andere schelmisch
        mäandernd, mit plaudernden Linien das Country-Monument umgarnend.
        Der Lonesome Rider und der urbane Networker trafen sich zum Sound der
        Baumwollfelder. Aus der Perspektive der Alten Welt ist das vor allem
        unterhaltsam, aus der der Neuen aber ein klingendes Zeichensystem, das
        mit jeder Note nun auch auf CD in Richtung historischer Eigenständigkeit
        weist. 
        Ralf Dombrowski       
      Georg Breinschmid 
        Wien bleibt Krk 
      Zappel Music ZM 0009-2/CODAEX 
        Der österreichische Bassist Georg Breinschmid hat ein Album eingespielt,
        dessen Bezug zu Wien und der Wiener Mundart nicht nur seine fixe Idee,
        sondern ein intensiv geplantes Unterfangen darstellt. Seine eigenen Kompositionen
        sind es, die, vom Dialektgedicht bis zum Bassinstrumental, Wiener Lebensart,
        Wiener Schmäh und Wiener Lied in zeitgenössische Kunstmusik
        verwandeln. Kunst im besten Sinne selbstverständlich. In unterschiedlichsten
        Besetzungen wird auf „Wien bleibt Krk“ musiziert, gesungen,
        gesprochen und geschmunzelt – Thomas Gansch, Agnes Heginger und
        Stian Carstensen seien stellvertrend für alle übrigen Musiker
        genannt. Das „Fußball-Aversions-Wienerlied“ sprach
        sicher nicht allen aus der Seele, ist aber auch ein Stück Breinschmid‘sche
        Befindlichkeit. Dass die Grenze zu Volksmusik und traditionellen Klängen
        immer wieder von Neuem überschritten wird, versteht sich von selbst.
        Insbesondere Stück fünf, „A klanes Brabitschek“ präsentiert
        Breinschmids ungewöhnliche eigene Fantasiesprache, zu der er durch
        Dialektgedichte von H.C. Artmann und Gerhard Rühm angeregt wurde.
        Und die Zeile „Weu mi kana fasteht, weu so komisch ich red“ verdeutlicht,
        dass wir Breinschmid sprachlich nicht überallhin folgen können
        müssen, um an diesem Album unsere Freude zu haben: allein diese
        fremden Worte und Klänge zu genießen, ist eine große
        Inspiration. Und die Musik hat einen hohen Qualitätsgrad... 
        Carina Prange       
       Vince Mendoza 
        Blauklang 
      ACT 9465-2 
        Mit hochkarätigen Musikern wie Nguyên Lê, Peter Erskine und
    Frank Sackenheim war Mendozas Ensemble auf dem Traumzeit-Festival 2007 besetzt,
    zu dem er eine Auftragskomposition des WDR beisteuerte und deren Live-Aufnahme
    jetzt vorliegt. Blauklang, eine Suite mit sechs Movements und Hommage an den
    Maler Ernst Wilhelm Nay, gibt Zeugnis von Mendozas kunstvoller Tonmalerei,
    seiner Fähigkeit, mit verschiedenen Klangfarben zu spielen und unterschiedliche
    Stile miteinander zu verweben. „Bluesounds Mov. I“ lässt den
    Hörer eintauchen in die Unendlichkeit der Farbe Blau. Gitarre, Streicher
    und Harfe weben einen sphärischen Klangteppich, über den die von
    Markus Stockhausen weich und melancholisch gespielte Trompete einen herrlichen
    Bogen spannt. Kontrast- und abwechslungsreich setzt Mendoza seine Suite fort,
    orchestrale Passagen wechseln sich ab mit Cool-Jazz und filmmusikalisch anmutenden
    Abschnitten, bei denen die für den Jazz zum Teil ungewöhnlichen Instrumente
    stets eine harmonische Synthese eingehen. Abschließend lässt Mendoza
    sein 15-köpfiges Ensemble noch einmal jazzig wild grooven, fetzige Bläser
    und Streicher wechseln sich hier ab mit improvisierender Gitarre. Klarinetten-,
    Saxophon-, Bass-, Trompeten- und Schlagzeug-Soli münden in ein fulminantes
    Tutti-Klangfeuerwerk. Abgerundet wird die Veröffentlichung durch die zum
    Thema passenden Miles-Davis-Klassiker „All Blues“ und „Blues
    For Pablo“. 
    Charlotte Schick       
      Sheila Cooper  
        Tales of Love and Longing 
      Panorama Records 004/Candid Rec. 
       Es ist eine äußerst seltene Kombination – die singende
        Altsaxophonistin Sheila Cooper und Österreichs „grand ole
        man“ Fritz Pauer am Piano. Der Gedanke an Chet Baker taucht – fast
        zwangsläufig – auf. Aber auch wenn das Duo mit den „Liebes-
        und Sehnsuchtsliedern“ ein klassisches Repertoirealbum mit Standards
        von Carmichael, Berlin, Hammerstein, Porter und Ellington bis hin zum
        modernen Klassiker von Ornette Coleman (Lonely Woman) vorgelegt hat – bei
        Cooper ist tatsächlich nur Cooper drin, weit entfernt vom coolen
        James-Dean-Verschnitt. Dennoch ist ein Vergleich statthaft, hier wie
        dort Balladen, ein lyrisch-warmer Ton und ein großes Gespür
        für Melodien. Wobei auch nicht jede Ballade, das sei zugunsten von
        Cooper-Pauer gesagt, in Melancholie versinkt. „How deep ist the
        ocean“ ist ein gutes Beispiel für eine heitere, spielerisch
        verliebte Interpretation, die Laune macht.  
        In „Body And Soul“ verbindet Cooper in einem unbegleiteten
        Solo Hawkins´sche Wendungen mit einem Ansatz, der an ihren Bewunderer
        Lee Konitz erinnert. Cooper präsentiert sich gleichermaßen
        als seelenvolle Sängerin mit klarer Stimme und kaum Vibrato, die
        den Songs mit Herzenswärme und Charme zu Leibe rückt und ihnen
        einen persönlichen Schimmer verleiht. In Pauer hat die Austro-Amerikanerin
        einen idealen Partner gefunden – zurückhaltend, reduziert
        und charaktervoll.  
        Michael Scheiner       
      Marc Ribot‘s Ceramic Dog 
        Party Intellectuals 
      yellobird yeb-7707 2 
        Die Musik Ribots war immer schwer einzuordnen. Im Spektrum der populären
        Musik war er überall zu finden, außer vielleicht beim Musical.
        Was da aussehen könnte wie eine Art Unentschiedenheit ist in Wahrheit
        ein entschiedenes Bekenntnis zur musikalischen Freiheit. So wird aus
        den vielen Genres am Ende das Genre Ribot. „Party
        Intellectuals“ ist eine Platte mit zwölf denkbar verschiedenen
        Tracks, die alle vom Geist der Ironie tangiert sind. Nichts klingt so
        wie es klingt. Die Musik ist wie eine Art Vexierbild: sie ist komplett
        präsent, aber man sieht nichts. Ob da das Doors-Stück „Break
        on through“ als Jazzpunk gecovert wird oder bei „Digital
        Handshake“ eine sehr komplexe Geräuschreise über 10 Minuten
        erfolgt oder in „Bateau“ ein Klangfenster nach dem nächsten
        sich öffnet mit einer Wärme im Gitarrenklang, immer fühlt
        man sich musikalisch zu Hause aber nicht daheim. Wenn dann in „For
        Malena“ ganz offen ein Popsong hingekrümelt wird, dann weiß man
        endgültig, dass man keinen einzigen Ton des Trios für sich
        nehmen darf. Und das Trio mit Ches Smith (dr, percussion, electronics,
        vocals) und Shahzad Ismaily (bass, vocals, moog) findet unglaublich viele
        Töne, die ganz unverbraucht klingen oder so verbraucht, dass sie
        in diesem Zusammenhang einen neuen musikalischen Gebrauchswert erhalten.
        Doch wie immer man sich in diesem Klangstrom bewegt, es kommt irgendwo
        dann die Stelle, wo einem die Musiker den Boden unter den Füßen
        wegziehen. Wenn es eine Platte gibt, die man mit Grund ironisch nennen
        kann, dann ist es diese. 
        Martin Hufner       
      Frøy Aagre Offbeat 
        countryside 
      aim records 
        Wunderschöne Melodien entlockt Frøy Aagre ihrem Saxophon
        und stellt sich damit in eine mit jungen talentierten Skandinaviern,
        die den europäischen Jazz auf so unverwechselbare Weise bereichern.
        Beeinflusst von Kenny Wheeler und Wayne Shorter ebenso wie von Bach,
        Messiaen und Astor Piazzolla, bewegen sich Aagres Kompositionen zwischen
        klassischen Melodien und jazzigen Improvisationen mit zum Teil unerwarteten
        und überraschenden Rhythmen. Expressiv muten ihre Stücke an
        und klingen immer nach dem, was sie ausdrücken sollen: „The
        Wheel“ gleicht einem sich drehenden Rad, das mal bergab rast, mal über
        Stock und Stein holpert oder sich verlangsamt, „Rainy Afternoon“ versetzt
        den Hörer in einen melancholischen, trüben Nachmittag und „A
        Nice Walk“ gleicht einem Spaziergang in frühlingshaftem Grün.
        Und nicht nur Aagre weiß diese Stimmungen auszudrücken, sondern
        auch Offbeat, die hervorragende Band an ihrer Seite, bestehend aus den
        drei talentierten Norwegern Andreas Ulvo (p), Audun Ellingsen (b) und
        Freddy Wike (dr). Unterstützt werden diese zeitweise von Kari Ravnan,
        der mit seinem Cello besonders bei „Fastball“ durch seine
        Virtuosität überzeugt und dem Klarinettisten Morten Michelsen,
        der dem Klangspektrum des Albums einen Hauch von Orientalik verleiht.
        Das Album überzeugt jedoch nicht nur durch die schönen Kompositionen,
        sondern auch durch seine hervorragende Klangqualität, die auch feinste
        Nuancen wahrnehmen lässt und durch das herausragende Zusammenspiel
        der sechs Akteure.  
        Charlotte Schick       
      Hal Galper 
        Now hear this 
        ENJA 2102 2 
        mit Terumasa Hino (tp), Cecil McBee (b), Tony Williams (dr) 
        rec. 15.2.77 
         
        Hal Galper 
        Ivory For/est 
        ENJA 2106 2 
        mit John Scofield (g), Wayne Dockery (b), Adam Nussbaum (dr) 
        rec. 31.10. bis 1.11.79 
       Zwei weitere CDs aus der 24bit-master-Edition von Enja. Auf der ersten
        bilden Bass und Schlagzeug ein sehr starkes, ungemein swingendes Rhythmusteam;
        allerdings dominiert das Schlagzeug in den schnellen Titeln manchmal
        so sehr, dass Trompete und Klavier in der Entwicklung ihrer Ideen gehindert
        werden (so scheint es jedenfalls). Trotzdem die Höchstbewertung – nicht
        zuletzt auch wegen des Optimismus, den diese Musik ausstrahlt (wo sind
        heute die jungen Gruppen, die so spielen?).  
        Auf der zweiten Scheibe geht
        es ruhiger zu, aber dafür passiert
        mehr „zwischen den Zeilen“. Hal Galpers Stücke (vier
        von insgesamt sechs) haben Struktur und regen die Fantasie beim Improvisieren
        (und beim Hören!) an – wie es immer sein sollte, aber leider
        ist nicht jeder gute Musiker auch ein guter Themenkomponist. Höhepunkt
        der CD ist allerdings John Scofields Solofassung von ,,Monk‘s Mood“. 
        Der Sound ist bei beiden CDs hervorragend. 
        Joe Viera 
      Bartsch&Band 
  Wer weiß schon wie 
      Dunefisch/Edel 
        Wo findet sich eine Heimat für deutsche Songs, jenseits von Superstar,
        Volkstümelei und Schlager? Das fragt sich der Hallenser Liedermacher
        Paul Bartsch, dem die Sprache der Dichter und Denker ebenso am Herzen
        liegt wie anspruchsvolle Musik. Und Spaß haben will er außerdem!
        Da werden sich die Gralshüter und Puristen mal wieder fragen, ob
        denn echter Jazz so eingängig und witzig sein darf. Aber Paul Bartsch
        ist es inzwischen egal, wie man seinen Stil nennt. Schließlich
        ist er, in wechselnden Formationen, seit 1981 mit seinen Songs unterwegs.
        Bartsch&Band existiert seit 2002. Für den Jazz-Touch dieses
        Quintetts sind insbesondere der Keyboarder Sander Lueken und Ralf Schneider
        am Schlagzeug zuständig. Das nunmehr dritte Album von Bartsch&Band
        heißt „Wer weiß schon wie“. Wieder einmal arbeitet
        sich Paul Bartsch an jenen Ecken und Kanten ab, die ihn im Gesellschaftlichen
        ebenso wie im Privaten stören. Dabei modernisiert der Sänger
        Goethes alte Ballade vom Zauberlehrling ebenso wie den Hit der FDJ-Singebewegung „Wir
        sind jung, die Welt ist offen“. Musikalisch geht es eingängig
        und gleichzeitig äußerst facettenreich zu. Solide, handgemachte
        Jazz- und Rockklänge bilden die Basis. Einsprengsel von Folk, Reggae,
        Chanson, Blues und Samba sorgen für Abwechslung und die zuweilen
        angestrebte ironische Distanz zum Text. Gelegentlich wird das Stammquintett
        durch Farbtupfer von Saxophon, Querflöte, Schalmei oder Geige erweitert.
        Musikgenuss mit Witz und Anspruch – selten wird diese Balance so
        gut gemeistert. 
        Antje Rößler 
      Gianluca Petrella/Indigo 4 
        Kaleido 
      Blue Note  
        Selten klang so weit auseinander Liegendes so organisch zusammen: Der
        aus Bari stammende Gianluca Petrella, tb, mixt alt und neu, Oldtime und
        electronics, Tradition und psychedelics, volksmusikalische Splitter,
        Jazzballade und weit geschwungene Improvisation, Energie, Spontaneität
        und freien Ausdruck in einem stets überraschenden Soundpuzzle zu
        einem musikalischen Kaleidoskop zusammen, dessen Farben nur so schillern.
        Groove und Raffinesse prägen den Unterhaltungswert eines im besten
        Sinne wahrlich abwechslungsreichen Albums.  
        Nicht von ungefähr gewann Gianluca Petrella nach der Anerkennung
        als bester italienischer Jazzmusiker 2005 in beiden Folgejahren den Down
        Beat Critics Poll als bester Nachwuchsposaunist. Solchermaßen hoch
        geehrt und in vielen Jahren weit gereist präsentiert er sich frisch
        und knackig, technisch on top mit markigen Soli und spannenden Arrangements,
        die vom straighten Unisono bis zum freien Fall ins Kreative mit so ziemlich
        allem aufwarten, was der geneigte Hörer nur erwarten kann. Mit dabei
        beim Farbenschütteln: Francesco Bearzatti, ts, cl, Paolino Dalla
        Porta, b, Fabio Accardi, dr, perc, und die special guests John De Leo,
        voc, Steven Bernstein, tp, slide tp, Michelle Papadia, Hammond B3, Wurlitzer,
        sowie Simone Padovani, perc. In 15 Schüttelgängen entsteht
        aus bunten Zutaten mitnichten ein Konglomerat, sondern immer folgerichtig
        und belebend ein wirkliches „kal’eidolon“, „schönes
        Bild“. 
        Tobias Böcker 
       
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