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Jazzzeitung

2008/01  ::: seite 11

Brasilien

 

Inhalt 2008/01

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig


TITEL - Musikerschicksal
Die Geschichte des Jazztrompeters Werner Steinmälzl – Teil 1


DOSSIER
- Musikbücher
Die wilden Zwanziger
Robert Nippoldt und Hans-Jürgen Schaal und ihr opulentes Buch über New York

Jazz-Visionen aus 40 Jahren
Ein Bildband von Siggi Loch

Drei Wünsche frei
Pannonica de Koenigswinter und ihre Labour of Love

Ein kleines Meisterwerk
Der Fotograf Jimmy Katz und seine Musikerporträts


Portraits

Stéphane Grappelli, Sabine Kühlich, Gilad Atzmon, Hyperactive Kid, Soulsängerin Ledisi, Daniel Glatzel

… und mehr im Inhaltsverzeichnis

Drei Wünsche frei

Pannonica de Koenigswinter und ihre Labour of Love

Sie war die Muse und Mentorin der New Yorker Jazzer in den Fifties und Sixties: Baronesse Pannonica de Koe-nigswarter, zärtlich „Nica“ genannt. Charlie „Bird“ Parker starb 1955 in ihrer Wohnung. Und anlässlich der Premiere von Clint Eastwoods filmischer „Bird“-Hommage tauchte sie 1988 zum letzten Mal in der Öffentlichkeit auf. Wenige Wochen danach starb sie, kurz vor ihrem 75. Geburtstag. Dieses intime Fotobuch, das jetzt bei Reclam erschien, ist ihr Vermächtnis. Alles dreht sich darin um die „Jazzmusiker und ihre drei Wünsche“.

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Schon Nicas Vorname klingt reichlich seltsam. Als ihr Vater, ein Bankier aus dem Rothschild-Clan, einst im Geburtsland ihrer Mutter, Ungarn – oder auf Latein: Pannonia! – eine neue Schmetterlingsart entdeckte, gab er der Spezies den Namen Pannonicas. Und diesen merkwürdigen Namen erhielt dann auch seine Tochter. In Jazzkreisen freilich sollte man sie nur noch Nica nennen. Viele Jazzer widmeten ihr eine Komposition. Berühmt wurden Nummern wie Horace Silvers „Nica’s Dream“, Sonny Clarks „Nica“, Duke Jordans „Pannonica“ oder Kenny Drews „Blues for Nica“. Andere Jazzer spielten auch gern mit ihrem Namen: „Inca“, „Nicaragua“, „Thelonica“, „Tonica“. Und traumhaft ist ein Titel wie „Nica Drums of Love“.

Den „Drums of Love“ durfte Nica seit ihrer Jugend lauschen, denn ihr Vater besaß eine imposante Schallplattensammlung mit Jazz-Schellacks. Es war ihr Bruder Victor, der ihr schließlich endgültig das Tor zum Jazzuniversum öffnete, mit Duke Ellingtons eleganter Jazz Suite „Black, Brown and Beige“. Viel, viel später wird sie auch den Duke nach seinen drei Wünschen befragen. Und er wird antworten: „Meine Wünsche sind sehr bescheiden. Ich will nichts als das Beste.“

Anfang der dreißiger Jahre verbrachte Nica als Kunststudentin zusammen mit ihrer Schwester Liberty - welch ein gewöhnlichlicher Name! - einige Jahre in München. Der Kinohit der Saison hieß damals „Der Blaue Engel“ mit Marlene Dietrich. Ein Vierteljahrhundert danach wird sie in das Haus einziehen, das sich der Regisseur dieses Filmklassikers, Josef von Sternberg, in Weehawken in New Jersey errichten ließ. Ihr Freund Thelonious Monk wird es „Catsville“ nennen. Später wird es nicht mehr nur den Jazz-Cats gehören, sondern auch den herumstreunenden Katzen. Und so wird Sternbergs einstiges Domizil zum reinen „Cathouse“ werden. Dort, im Katzenhaus, sind auch die meisten, oft sehr intimen Polaroidfotos entstanden, die in diesem Buch versammelt sind. Ein Text- und Bilderbuch, das eigentlich schon in den frühen Siebzigerjahren erscheinen hätte sollen, aber das irgendwie nicht in die Zeit passte. Irgendwann gab Nica das Projekt auf, Fotos und Notizen verschwanden zwischen all den Katzen. Erst nach ihrem Tod tauchten die alten Manuskripte wieder auf. In Frankreich schließlich fand 2006 eine Enkelin, Nadine de Koenigswarter, einen Verlag, der Nicas „labor of love“ postum veröffentlichte.

Nica’s Dream. Naiv wollte Nica die berühmten drei Wünsche festhalten, die ihre Jazzerfreunde hätten. „Wie eine gute Fee hörte sich Nica ihre Wünsche an und sammelte sie“, erzählt Nadine: „Hoffte sie am Ende, den Musikern, indem sie sie befragte, helfen zu können?“ Monk jedenfalls war der Erste auf ihrer Liste: „Er war im Zimmer auf und ab gegangen und hielt jetzt einen Moment inne, um über den Fluss hinweg einen Blick auf die Skyline von New York zu werfen“, notiert Nica, „dann antwortete er mir, und ich sagte: ,Aber Thelonious, das HAST du doch alles schon!’ Er lächelte nur... und fing wieder an auf und ab zu gehen.“

Wenn ich mir was wünschen dürfte... Sonny Clark wünscht sich Geld!, alle Weiber der Welt und alle Steinways. Nach Frieden auf Erden sehnt sich Barry Harris und nach einem Zimmer mit einem Steinway und einem guten Plattenspieler, wo er sich alle Aufnahmen von Charlie Parker und Bud Powell anhören kann. Charlie Rouse wünscht sich, dass Jazz in Amerika als echte Kunstform anerkannt wird. Jimmy Rushing, der einstige Sänger bei Count Basie, sehnt sich nach den Cotton-Club-Zeiten zurück: „Mir würde es gefallen, wenn es wieder schwarze Shows wie in den zwanziger Jahren geben würde..., mit Entertainern, die von Tisch zu Tisch gehen.“ Das exzentrische Genie Sun Ra träumt dagegen von einem flexiblen Instrument, das jede Stimmung eines jeden Lebewesens wiedergeben könne, sogar die einer Katze oder eines Vogels. Und Arthur Taylor wünscht sich, dass Charlie Parker noch am Leben wäre.

Bescheiden oder auch abstrus sind all diese Wünsche, die Nica als gute Fee notiert hat. Und dazu sehen wir den Harmonica Player Larry Adler („Rififi“) bei einem kleinen Nickerchen. Entdecken wir auf einer roten Couch das Saxofon von Coleman Hawkins. Lesen wir auf einem Schild „Silence. Genius at Work“. Sehen wir den Pianisten Tommy Flanagan beim Spielen mit einer von Nicas 1.000 Katzen. Und auch Sonny Clark posiert mit einer Katze. Im Übrigen wirken fast alle von Nicas „Cats“ etwas angeschickert, wenn sie nicht gerade wild darauf losmusizieren. Ikonen des Jazz, wie Monk, Mingus oder Miles sind hier in ihrer „natürlichen“ Umgebung zu sehen, ganz ohne Glamour. Meistens sitzen ihre und unsere Helden einfach nur herum. Manche meditieren, andere dösen nur so vor sich hin oder sind einfach nur ausgelaugt. So muss man sich das Paradies vorstellen, als Refugium für die Ewigkeit.

Viktor Rotthaler

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