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Jazzzeitung

2007/02  ::: seite 10-11

Brasilien

 

Inhalt 2007/02

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break // kurz, aber wichtig
jazzle gmacht: Die Kopfgeburten des Jazz
no chaser: Der Piano Man (2)
jazzfrauen: Sarah Vaughan
Farewell: Abschied von Alice Coltrane und Leroy Jenkins / Oscar adé!


TITEL

Jazz-Handelszone
Beobachtungen auf der Bremer Jazzmesse


DOSSIER
- Fußwärmer und Knochenschüttler
Die Münchner Dixieland-Bewegung


BERICHTE
/ PREVIEW
Joachim Kühn und Ornette Coleman in der Philharmonie Essen || „Women in Jazz“ im verflixten zweiten Jahr || Zu Besuch bei der 39. Arbeitsphase des BuJazzO


 PORTRAIT / INTERVIEW
Baritonsaxophonist Gerry Mulligan || Holly Cole || Susi Hyldgaard spricht über ihre Band in die neue CD || Pianist Leonid Chizhik || [re:jazz] || DEPART

 JAZZ HEUTE
Feature-Ring
Dresden


 PLAY BACK / MEDIEN

CD.
Das arabische Konzept der Verzückung
CD.
CD-Rezensionen
CD.
Analog - Digital
CD.
Critics Choice
CD. Scheffners Liste
DVD. DVD-Rezensionen
Bücher:
Neue Jazzbücher auf Englisch || Julio Cortazar: Der Verfolger
Noten. Volkmar Kramarz: Die PopFormeln und anderes


 EDUCATION
Ausbildung. Ausbildungsstätten in Deutschland - Fortbildungen, Kurse (pdf) (62 kb)
Abgehört 48. Teil 2: Keith Jarrett und Brad Mehldau improvisieren über „Prism“
Jazz macht artig
Semesterabschlusskonzerte der Hochschule für Musik Köln
Jugend jazzt:
„Jugend jazzt“ kommt nach Halle

Fußwärmer und Knochenschüttler

Die Münchner Dixieland-Bewegung · Von Jörg Lichtinger

Die Geschichte des Jazz in der Münchner Nachkriegszeit wird bestimmt von den Münchner Dixieland-Bands und dem Dixieland-Revival in den 50er-Jahren.

Mehr noch als der Swing nach 1945, war der Boom des „alten“ Jazz, mit New Orleans und Dixieland, eine Bewegung aus der deutschen Jugend heraus. Angestoßen durch das Programm des AFN, machten ihn Gymnasiasten und Studenten zu „ihrer“ Musik, denn der Dixieland-Jazz war bei den Soldaten weit weniger beliebt, als bei den Deutschen.

Die New Orleans Hot Dogs im „Jazzkeller“

Bild vergrößernDie Occam Street Footwarmers 1968 im Allotria: Hans Holzinger (b), Hermann Otto (tb), Dr. Zdenek Camrda (p), „Hepps“ Herbertz (tp), Hermann Kügler (dr), Peter Strohkorb (cl). Foto: Munich Jazz Family Album/Archiv Hans Küfner

München war mehr als reif für eine Musikszene, mit der sich endlich auch die deutsche Jugend identifizieren konnte. In den Jahren nach dem Ende des Krieges fand Live-Jazz nahezu ausschließlich in den Clubs der US-Army statt. Der Zugang war nur GIs und ihrer weiblichen Begleitung gestattet, weshalb dieses Angebot für die deutsche Bevölkerung als Ganzes nicht existent war. Nur die dort spielenden Musiker hatten die Möglichkeit, sich dort frei zu bewegen und in dieser Umgebung weiter zu entwickeln. Die Voraussetzungen für einen freien Austausch zwischen den Musikern dieser abgeschotteten „Hotspots“ waren aber nicht gerade optimal. Eine Szene konnte kaum entstehen, solange jede Band in einem anderen Soldatenclub spielte, denn die waren mitunter über die gesamte Münchner Peripherie bis weit ins Oberland hinein verstreut. Zu weit, für ein ausreichendes Kulturleben in einer Großstadt.

Auch die Presse bemerkte das Fehlen einer in sich geschlossenen Münchner Jazzszene und wunderte sich über die im musikalischen „Dornröschenschlaf“ versunkene Stadt, die es nicht schaffte, seine vielen guten Jazzorchester angemessen in Szene zu setzen.
„ In München ist auf dem Gebiet der Jazzmusik überhaupt nichts los,“ schimpfte Das Internationale Podium 1951 und beklagte das Fehlen hochklassiger Konzerte in der Stadt. Kurt Edelhagens Orchester spielte mittlerweile beim Rundfunk in Nürnberg und Max Greger machte sich durch seine Engagements in den Army-Clubs allzu rar fürs deutsche Publikum. Auch Freddie Brocksieper hatte sein Lokal noch nicht eröffnet und tourte mit seiner Band durch Norddeutschland. Die Jugendlichen kümmerte das wenig, denn sie durften ohnehin nicht in Clubs und Nachtlokale. Sie mussten ihre Zusammenkünfte zu Hause veranstalten und konnten nur in privater Atmosphäre Platten tauschen und über Musik sprechen.

Eine Ausnahme stellten bereits relativ früh die German Youth Activities statt. Jugendclubs, in denen Schüler von den Amerikanern zum Musik machen animiert wurden. Auch der junge Nachwuchsmusiker Gottfried Luber nahm dieses Angebot dankbar an: „Gleich in den ersten Nachkriegsmonaten – ich war gerade erst 15 Jahre alt und konnte einigermaßen Klavier spielen – entstand die GYA, German Youth Activities. Ohne Frage war das eine Einrichtung des amerikanischen Umerziehungsprogramms. Die Amis machten es recht geschickt. Sie versuchten nicht uns zu belehren oder gar zu indoktrinieren. Wir haben aus eigenen Stücken und mit Begeisterung mitgemacht. Wir bekamen nämlich Musikinstrumente, Noten, Schallplatten, und vor allem auch etwas zu essen! Die amerikanischen GYA-Manager behandelten uns freundschaftlich und waren großzügig. Im Vergleich zu unseren bisherigen Erfahrungen mit den Jugendorganisationen der jüngsten Vergangenheit, fanden wir die GYA der Amerikaner einfach phantastisch.“ In den GYA-Clubs machten die Jugendlichen erste Erfahrungen mit ihren Instrumenten und dem Zusammenspiel in einer Band. Was sie abends in den Clubs der Amerikaner nicht hören durften, machten sie nachmittags in ihren GYA-Clubs selbst. Vor allem die Musik von Louis Armstrong hatte es ihnen angetan. Auch Josef Werkmeister war Feuer und Flamme für „Satchmo“. „Ich habe versucht eine Trompete zu kriegen,“ erzählt er, „denn ich wollte spielen wie Louis Armstrong. So wie später in der Rockära die jungen Leute Gitarre lernten, weil die da so wichtig war, waren zu meiner Zeit die großen Vorbilder Louis Armstrong und Roy Eldridge. Alle hat es gepackt damals. Für die jungen Leute war das die Sache. Die ganzen Kriegsjahre gab es ja nur Marika Rökk. Operette und Marschmusik von vorne bis hinten. Die ganzen deutschen „Siege“ waren mit Märschen unterlegt. Und die Amis haben uns endlich ganz neue Musik gebracht.“ Es gärte unter der Oberfläche und es war an der Zeit, dass die Münchner Kneipenlandschaft abseits der Army-Clubs dem Wunsch der Jugend nach Live-Musik Rechnung trug. Das sollte sich auch bald ergeben.

Die New Orleans Hot Dogs im Jazzkeller (v.l.n.r.): Malte Sund (tb), P.G. Dotzert (bj), Rolf Maurer (dr), Chico Smazoni (b), Fritz Dünckelmayer (co), Gerhard Sterr (p), Wiggerl Niedermeier (cl). Foto: Munich Jazz Family Album/Archiv Hans Küfner

Bild vergrößernDie New Orleans Hot Dogs im „Jazzkeller“ (v.l.n.r.): Malte Sund (tb), P.G. Dotzert (bj), Rolf Maurer (dr), Chico Smazoni (b), Fritz Dünckelmayer (co), Gerhard Sterr (p), „Wiggerl“ Niedermeier (cl). Foto: Munich Jazz Family Album/Archiv Hans Küfner

In den 40er-Jahren hatte der Dixieland Jazz in Amerika eine unerwartete Renaissance erlebt. Als der Dixie-Boom in den USA bereits wieder abgeflaut war, kam er Mitte der 50er-Jahre endlich auch in Deutschland an. Am Anfang stand auch diesmal wieder der AFN, mit seiner Sendung „Strictly from Dixie“, die sich ganz dem New Orleans- und Dixieland-Jazz widmete. Begeistert von diesem Sound kam 1952 der 20-Jährige Schlagzeuger Hermann Kügler aus Schliersee nach München in der Erwartung, dort ein bayerisches New Orleans vorzufinden, in dem es von Jazzbands nur so wimmelte. Diese Hoffnung wurde zunächst enttäuscht. Einzig Freddie Brocksieper mit seinem Studio 15 empfand Kügler als Lichtblick im volkstümelnden München der frühen 50er-Jahre. Bei ihm nahm er auch gleich Unterricht im Schlagzeugspielen und suchte nach Gleichgesinnten, mit denen er Musik machen konnte. Die fand er in den Klarinettisten Frank Weiss und Heinz Schellerer. Als Verstärkung holten sich die drei noch die Hausband der Schwabinger Gisela in der Occamstraße. Zusammen bildeten sie die Occam Street Footwarmers. Münchens erste Dixieland Band.

Schellerer war musikalisch schon etwas weiter als die anderen und deshalb für die Arrangements zuständig. Den ersten Auftritt bestritt die frisch gebackene Formation dann auch gleich in der Gisela. „Unsere fünf Stücke mussten wir den ganzen Abend immer wieder spielen, weil die Leute nicht genug kriegen konnten,“ erinnert sich Frank Weiss später. „Unser Pianist Manfred Roth hatte an diesem Abend arges Lampenfieber und brüllte während des Spielens dauernd: „Lauter! Lauter!“ Am Ende des Abends beklagte er sich bitter darüber, dass wir so laut gespielt hätten. Auf unsere Antwort, dass er selbst „lauter, lauter“ gerufen habe, meinte er: „Ach nein, ich hab ja gemeint langsamer!“ Der Erfolg des ersten Abends setzte sich fort. Vor allem Studenten und die Schüler der Münchner Gymnasien begeisterten sich für den „alten“ Jazz. Damit war dem Oldtime-Jazz eine Basis geschaffen, deren Wirkung nicht lange auf sich warten ließ. Aus den Fans wurden Nachahmer und aus den Schülern, die sich noch kurz zuvor die Nasen an den Fenstern zum Probenkeller der Footwarmers plattgedrückt hatten, wurden die TH Hot Dogs. Aber auch andere Bands folgten dem Beispiel der Footwarmers und so traten in München bald die Riverboat Seven, die Red Hot Brass Band, die Candid Street Serenaders und die Munich Boneshakers auf. Nun zeigten auch die Wirte vermehrt Bereitschaft, in die Veranstalterrolle zu schlüpfen. Mit Café Freilinger, Alte Laterne, Gisela, Fendilator und den beiden Hot Clubs im Haus der Kunst und im Augustinerkeller gab es um 1955 bereits eine Reihe von Lokalen, in denen der Dixieland-Jazz regelmäßig zu hören war. In Freddie Brocksiepers Studio 15 war der Keller für den traditionellen Jazz reserviert und später kam noch der Jazzkeller in der Türkenstraße dazu.

Zehn Jahre nach Ende des Krieges konnte man an der Isar endlich von einer regen Jazz-Szene sprechen, die allen zugänglich war und sich nicht hinter verschlossenen Türen abspielte. Im Bewusstsein, immer noch einer Minderheit anzugehören, sprach man sogar von einer „Jazz-Familie“. Ein Heim hatte diese Familie auch. Schwabing. Waren die Soldatenclubs noch auf Stadtteile und Landkreise verteilt gewesen, befanden sich die Lokale in denen die Dixieland-Szene sich traf nahezu ausschließlich im Künstlerviertel nördlich der Altstadt. Nahe genug beieinander, um nach erfolgreich absolviertem Auftritt bei Kollegen, die in einer Nachbarkneipe noch etwas länger spielten, vorbei zu schauen und gegebenenfalls einzusteigen. Die versprengten Jugendlichen, die nach dem Krieg den Jazz aus dem Rundfunk aufgesogen hatten, waren eine Gemeinschaft geworden. Denn auch wenn die Jazzlokale noch nicht sehr zahlreich waren, wussten die Interessierten doch sehr genau über ihre Anlaufstellen Bescheid. Der Schlagzeuger Dieter Henneberg, der lange Zeit in verschiedenen Münchner Formationen gespielt hat, beschreibt in seiner Münchner Jazzchronik die ?“azz-Family“ in ihrem natürlichen Lebensraum: „Der Jazzkeller bestand aus einem ebenerdigen Ruinenrest im Hinterhof der ehemaligen Türkenkaserne vor dem sich ein Parkplatz von gewaltigem Ausmaß erstreckte, heute das Gelände der Pinakothek der Moderne. In einem Parterreraum gelangte man an den Toiletten, Tischfußball- und Flipperautomat vorbei zur Kasse, an der häufig Ado Schlier seines Amtes waltete. Eine Kellertreppe führte in die Bar hinunter, durch die hindurch man den Gastraum erreichte. Eine weiträumige Tanzfläche wies darauf hin, dass zu jener Zeit grundsätzlich zu jeder Art von Jazz getanzt wurde. War der letzte Set verklungen, meist um ein Uhr, versammelte sich die Band mit ihrer engsten Fangemeinde in der Bar, die Charlotte Listmann und ihr Sohn Wolfgang als Kommunikations- und Sauftreff oft bis zum Morgengrauen, auch für spät eintrudelnde Musiker anderer Kneipen, geöffnet hielten. Nicht zur Szene gehörende Nachtschwärmer wurden mit dem Zuruf „geschlossene Gesellschaft!“hinauskomplimentiert.“

Auftrittsmöglichkeiten stellten kein Problem mehr für die Bands dar. Finanziell hingegen konnte man kaum vom lohnenden Geschäft sprechen. Gagen zahlten die Wirte in den seltensten Fällen. Man spielte für den Eintritt, der pro Person ungefähr 1.50 DM ausmachte. Das lohnte sich nur für die populäreren Bands wie Footwarmers und TH Hot Dogs. Auch wenn die Musiker in der Regel als Amateurmusiker ihren Lebensunterhalt in anderen Berufen verdienten oder noch Schüler waren, sollte das Musikerdasein kein Verlustgeschäft darstellen. Besonders düster stellte sich die Kassenlage nach Abzug der damals gesetzlich vorgeschriebenen Vergnügungssteuer dar. Um diese ungeliebte Abgabe zu umgehen, verlegten sich die Bands kurzerhand auf die Gründung von Clubs, zu denen nur Mitglieder Zugang hatten. Diese Clubs fielen nicht unter das Vergnügungssteuergesetz und boten so eine willkommene Gelegenheit den Fiskus los zu werden. Allerdings waren die Clubs nicht so exklusiv, wie man glauben mochte. Der Eintritt wurde letztendlich keinem zahlenden Gast verwehrt und manche Konzertbesucher wurden an der Abendkasse Clubmitglieder für einen Tag. Auf diese Weise aber konnten die Bands überleben und so hatte bald fast jede Band einen eigenen Club. Die TH Hot Dogs den „New Orleans Hot Club“ im Café Freilinger, die Red Hot Brass Band den „Royal Garden Club“ im Café Reitschule, die Candid Street Serenaders den „High Society Club“ in der Realen Bierwirtschaft zum kleinen Bauern. Auch in anderen Städten hatten sich Oldtime-Szenen etabliert und man schaute über den lokalen Tellerrand. Als 1955 in Düsseldorf unter dem Namen Jazz-Jamboree erstmals ein deutschlandweites Amateurband-Festival stattfand, waren die Münchner Jazzer mit den Footwarmers und der Red Hot Brass Band bereits mit zwei Gruppen vertreten. Und auch in den darauffolgenden Jahren waren immer Münchner in Düsseldorf mit dabei.

Die Dixieland-Szene war anfangs nicht nur eine Amateur-Szene sondern vor allem eine Schülerband-Szene. Die Musiker waren oft noch minderjährig und in den Clubs ging es in keiner Weise professionell zu. Es wurde aufgetreten, sobald man ein paar Nummern halbwegs eingeprobt hatte. Improvisation war alles, auch abseits der Bühne, wie sich Klaus Wagner, Trompeter der Riverboat Seven, erinnert. „Da wir niemanden hatten, der den Eintritt kassierte, stellten wir am Eingang einen Maßkrug auf und hängten einen Zettel dazu, dass die Knaben 2 DM für sich und 1 DM für ihre Begleiterinnen in den Krug legen sollten. Die Atmosphäre war toll. Einmal machte ich mir den Spaß, bin herumgegangen und habe gezählt, wie viele Mädchen und wie viele Burschen anwesend waren. Verblüfft stellte ich fest, dass der Inhalt des Maßkrugs genau mit meiner Zählung übereinstimmte. Wenn man bedenkt, wie wenig Taschengeld wir damals hatten, war es schön, dass keiner so unfair war uns zu prellen.“

Musiker und Publikum entstammten in der Regel Schüler- und Studentenkreisen. Da war es nur natürlich, dass die Münchner Schul- und Faschingsbälle bald zur unangefochtenen Domäne der Oldtime-Bands wurden. Aber auch private Feste kamen nur schwer ohne mindestens eine der nun wie Pilze aus dem Boden sprießenden Stompers, Serenaders, Jazzmen oder Dixielanders aus. Die Bekanntesten unter ihnen, wie die Occam Street Footwarmers und die Red Hot Brass Band wurden schnell zu Lokalhelden, mit denen die modernen Jazzbands, was ihre Beliebtheit anging, nicht konkurrieren konnten. Die Oldtime-Bands konnten mit recht behaupten, im Zentrum einer regelrechten Jugendbewegung zu stehen, ähnlich den Rock´n´Roll-Bands, die ihre Fangemeinde allerdings weniger aus Studentenkreisen bezogen. Der Tanz war der Schlüssel zum Erfolg. Während Dixieland und Swing wie der Rock´n´Roll in erster Linie ein tanzwütiges Publikum erreichten, sprachen Cool-Jazz und Bebop durch ihre Komplexität ein intellektuelles Publikum an, das sich voll auf die Musik einlassen wollte. Getanzt wurde auch zum Bebop, aber der Tanz begann in den Hintergrund zu treten. Schließlich hat dann noch der Free-Jazz seinen Teil dazu beigetragen, dass der Jazz als Tanzmusik Ende der 60er-Jahre aufgehört hat zu existieren. Mit der Tanzbarkeit nahm mit der Zeit auch das Publikum ab, das sich anderen Musikformen wie der Beat-, Pop- und Rockmusik zuwandte.

Neben den legendären Faschingsbällen in den Münchner Gymnasien und im Haus der Kunst, tat sich in dieser Zeit noch eine weitere
lukrative Spiemöglichkeit für die Jazzer auf, die schließlich sogar zu einer Institution im Münchner Kulturleben werden sollte: Die Isarfloßfahrten. Als Vergnügungsfahrten von Wolfratshausen nach München bereits vor dem Krieg bekannt, waren sie bis dahin eine Angelegenheit für traditionelle Blaskapellen gewesen.

Nun organisierte der Hot Club die Fahrten auch mit Dixieland-Bands. Diese Ausflugsfahrten wurden mit der Zeit so beliebt, dass immer mehr Flöße die Isar hinunter schwammen und das nicht selten mit einer Jazzband an Bord. Dadurch gewannen die Musiker eine regelmäßige und vor allem einträgliche Arbeitsquelle, bei der man leicht das Dreifache eines normalen Kneipenjobs verdienen konnte. Das galt auch für die in dieser Zeit aufkommenden Riverboat-Shuffles, den Dampferfahrten auf Starnberger- und Ammersee. Bei diesen Vergnügungsfahrten waren die Dixie-Bands praktisch unverzichtbar, denn ein „Mississippi-Feeling“ kann bei einer Dampferfahrt schließlich nur mit einer Oldtime-Jazzband aufkommen. Bis Mitte der 60er-Jahre erlebte der traditionelle Jazz in München eine Blütezeit in der weitere Bands und neue Clubs entstanden. Nicht alle in Schwabing, wie der Hotclub Solln, die Waldwirtschaft Großhesselohe oder Jazz in the Woods in Lochham. Besetzungen wechselten. Neue Musiker kamen, andere gründeten neue Bands wie Heinz Schellerer, der zunächst nach Düsseldorf zu den dortigen Feetwarmers auswanderte, dann zurückkehrte, um ein Quartett und ein Sextett unter seinem Namen ins Leben zu rufen. Auch Frank Weiss von den Footwarmers ging mit Pinky’s Court House Gang neue Wege.

Aber die große Zeit der Beat-Generation war gekommen und die Auswirkungen spürten alle Jazzer. Die modernen wie die traditionellen. Die Disco trat ihren Siegeszug durch Deutschland an und Live-Bands waren immer weniger gefragt. Das Ausbleiben des Publikums führte 1964 zum Ende aller Live-Musik in Tarantel und Nachteule. Damit waren in München die zwei wichtigsten Stützen für den Modern Jazz weg gebrochen. Auch Freddie Brocksieper machte die Tore der Reitschule dicht und verabschiedete sich aus seinem Kneipierdasein. Nun war auch er wieder nur Gast in den verschiedenen Lokalen Münchens.

Die Hot Dogs, inzwischen ins Profilager gewechselt, schafften den Absprung indem sie bekannte bayerische Volkslieder als Dixieland spielten. Ihre Versionen von „Ja so sans, die oiden Rittersleid“, dem „Tölzer Schützenmarsch“, oder „Ja, mir san mim Radl do“ brachten der Band überregionale Erfolge und einen Plattenvertrag bei EMI Electrola.

Für die anderen Oldtime-Ensembles begann der harte Kampf um die schwindenden Jobs. Auf den Münchner Faschingsbällen hörte man immer weniger Dixieland- und New Orleans-Jazz. Nach und nach änderten viele Kneipenwirte das Musikangebot zu ungunsten der Jazzer oder stellten gleich auf Konservenmusik um. Die Rettung für die Szene waren die Bandclubs, in denen die Musiker noch lange ein treues Stammpublikum halten konnten. Aber das Massenpublikum erreichte der Dixieland-Jazz nicht mehr und so verlor die Jazzgemeinde schnell an Boden. 1966 machten der Hot Club Solln und der Hot Club im Augustinerkeller dicht. Der Tunnel, wie die lange, feuchte Gewölberöhre unter dem Augustinerbiergarten genannt wurde, war als eine der ersten Anlaufstellen für den Live-Jazz in München seit 1948 eine Institution gewesen. Ihm folgten der Jazzstadel in Lochham Jazz in the Woods und schließlich 1970 auch der Jazzkeller in der Türkenstraße, der zuletzt noch das Programm auf aktuelle Musik umgestellt hatte, aber damit den geplanten Abriss des Gebäudes nicht verhindern konnte.

Trotz dieser Rückschläge war der Jazz in München noch nicht am Ende. Es regte sich wieder etwas in Schwabing. Der Aachener Jurastudent Ernst Knauff versuchte 1965 mit seinem Domicile den Rückzug des Jazz aus Schwabing zu stoppen. Der neue Club wurde durch sein exzellentes Angebot, das sich stark auf internationale Künstler stützte, nicht nur zur neuen Heimat des modernen Jazz in München, er sollte auch bald internationales Renommee unter den europäischen Jazzfans genießen und München zu einem Zentrum des zeitgenössischen Jazz machen. Auch für die gebeutelte Dixieland-Gemeinde zeigte sich ein Lichtstreif am Horizont. Und ein weiteres Mal war es Hermann Kügler, der Schlagzeuger und Bandleader der Occam Street Footwarmers, der den Stein ins Rollen brachte. Diesmal allerdings unabsichtlich. Kügler wollte eigentlich nur ein Restaurant eröffnen, da die Dinge auch für seine Band nicht mehr allzu gut liefen. Er pachtete das Allotria in der Türkenstraße. Zunächst nahm ihn der Job des Restaurantpächters so in Anspruch, dass er seine Band aufgab, die in der Folge dann als New Footwarmers mit neuem Schlagzeuger weitermachte. Das Geschäft mit der Live-Musik schien passé zu sein. Trotzdem brachte ein Freund Kügler schließlich dazu, es probeweise mit Jazz im Allotria zu versuchen. Die Trompeter Gerhard Vohwinkel und Claus Walter Herbertz wurden von Kügler beauftragt Musiker für eine Hausband zusammen zu trommeln. Es entstand die Allotria Jazzband. Überraschenderweise funktionierte das Konzept und das Allotria war immer voll, wenn die Band dort auftrat. Offenbar hatte Kügler genau den richtigen Moment für eine Wiederbelebung der Oldtime-Szene erwischt, denn auch an anderen Orten lebte der alte „Jazzspirit“ plötzlich wieder auf. Neue Bands wurden gegründet und die Kneipen füllten sich wieder. Hermann Kügler suchte sich wieder Musiker für eine Neuauflage der Occam Street Footwarmers, denn die Allotria Jazzband war bereits ins Wirtshaus Vohwinkel weiter gezogen.

In den folgenden Jahren entwickelte sich das Allotria zu einem Oldtime-Pendant des Domicile. Zwar bekam es nicht dieselbe internationale Aufmerksamkeit wie Ernst Knauffs Modern Jazz-Club, aber bald wurde das Allotria zum Herzstück der traditionellen Jazz-Szene in München. 15 Jahre leitete Kügler den Jazz-Club, bis er ihn 1983 an den Vibraphonisten Gerry Hayes übergab. Hayes veränderte die stilistische Ausrichtung mehr und mehr zugunsten moderner Jazzgruppen. Die „Goldene Zeit“ des internationalen Jazz in München war vorbei, Ernst Knauffs Domicile hatte inzwischen geschlossen. Das bot Hayes die Chance, das Allotria mit einem qualitativ hochwertigen Programm zum „ersten Haus am Platz“ zu machen. Das Konzept ging auf. Weitere acht Jahre konnten die Münchner erstklassigen Jazz im Allotria genießen, aber Dixieland- und New Orleans-Jazz spielten dabei keine tragende Rolle mehr. Das Publikum des Oldtime-Jazz war mit seinen Musikern alt geworden und die Jugend hatte sich immer weiter vom Jazz entfernt. Die Zuschauer reichten nicht mehr aus, um eine lebendige Szene zu erhalten.

Die Zeiten als der Jazz noch Massenbewegung war, sind unwiderruflich vorbei. Dabei steht der „alte“ Jazz heute vielleicht noch mehr im Abseits als der moderne Jazz. Aus Schwabing ist der Jazz jedenfalls verschwunden. Wo er früher gewesen ist, halten italienische Pizzerien das Terrain oder verkaufen Fastfood-Ketten ihre Burger. Die Nischen allerdings, die sich der traditionelle Jazz in den 50er- und 60er-Jahren erkämpft hat, sind ihm erhalten geblieben. Der Dixieland-Sound hat sich tapfer in den Biergärten und bei diversen Frühschoppen gehalten und auch die Dixie-Dampfer der Riverboat Shuffles fahren noch über Starnberger- und Ammersee. Vor allem die Isar-Floßfahrten sind heute beliebter denn je. Dicht an dicht fahren die Flöße in den Sommermonaten durch den Isarkanal und nach wie vor dringen Dixie-, New Orleans- und Swingklänge an die Ufer. Über die musikalischen Fähigkeiten der Dixie-Amateure haben die Münchner Profi-Jazzer oft gespottet, aber deren „spirit“ müssen sie wohl oder übel anerkennen, denn die in die Jahre gekommenen „Oldtimer“ spielen weiterhin eisern ihre „blues“ und „stomps“ wie in alten Tagen, auch wenn die Rockband auf dem nächsten Floß sie zu übertönen versucht.

Die Angaben zu den im Text genannten Lokalitäten und Bandbesetzungen entstammen im wesentlichen dem von Hans Küfner zusammengestellten Material zur Geschichte der Münchner Oldtime-Bands, die er für das bisher unveröffentlichte Buch „Munich Jazz Family Album“ zusammengetragen hat.

Jörg Lichtinger

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