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Jazzzeitung

2005/05  ::: seite 11

farewell

 

Inhalt 2005/05

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break
no chaser:
Bong-Bong-Bong, unser Song
jäzzle g’macht:
Twentysomething
jazzfrauen-abc: Carola Grey
farewell: Joe Bushkin zum Gedächtnis / Die Jazzzeitung verabschiedet sich von ...


TITEL / DOSSIER


Titel: Brasilianische Mädchen
Sabina Sciubba mit neuer Band auf (Erfolgs)Tour
Dossier:Swinging Berlin: Tanzen verboten
Ein Musical erinnert an Jazz im „Dritten Reich“ und die „Swing-Jugend“


BERICHTE
/ PREVIEW

Uri Caines „Otello Syndroms“ in der Philharmonie Essen // „Impro Helvetia“: ein Mini-Festival des jazzclubs leipzig // Pablo Ziegler, Quique Sinesi und Walter Castro im Birdland Jazzclub Neuburg // Jugendjazzorchester NRW auf Tournee zum 30. Geburtstag // Zum 34. Mal verspricht das Moers-Festival musikalische Vielfalt ohne Grenzen


 JAZZ HEUTE

Konzertserien und Spielort
Überlegungen an Hand von Beispielen aus Köln


 PORTRAIT / INTERVIEW


Saxophonist Frank Sackenheim // Lucie Silvas // Keith Jarrett // Alony


 PLAY BACK / MEDIEN


Haus für den Jazz
JazzHausMusik feiert 25. Geburtstag
Madrid – Ammersee
Galileo MC vertreibt King Crimson
CD. CD-Rezensionen 2005/05
DVD. Quadro Nuevo: Live
DVD. Sonny Rollins live at Laren/Ben Webster: Big Ben in Europe
Bücher. Neuerscheinung über den legendären Les Paul
Noten. Neues zur Improvisation, Stücke für Hundeliebhaber
Instrumente. Workstation von Korg
Medien. link-tipps


 EDUCATION

Abgehört 34. Den Sound der fifties im Ohr
Curtis Fuller über „Moment’s Notice“ von John Coltrane
Nicht denken, reagieren
4. Cologne Jazz Night – The New Generation

Fortbildung // Ausbildungsstätten in Deutschland (pdf)


SERVICE


Critics Choice

Service-Pack 2005/05 als pdf-Datei (Kalender, Clubadressen, Jazz in Radio & TV (264 kb))

Auch ein Zug hält einmal an

Joe Bushkin zum Gedächtnis

Seine Karriere hatte etwas vom großen amerikanischen Traum nach dem Klischee „Vom Tellerwäscher zum Millionär“. Sein Vater stammte aus Kiew, war 1909 in die Staaten gekommen und im Grunde seines Herzens eigentlich Musiker. Er arbeitete aber als Friseur, um die Miete zu zahlen. Zwischen den Haarschnitten spielte er in seinem Laden gerne Cello.

Als man entdeckte, dass der am 7. November 1916 geborene Filius ein absolutes Gehör besaß, erhielt er ab dem 10., nach anderen Quellen ab dem 13. Lebensjahr Klavierunterricht. Es heißt zwar, er sei vom berühmten klassischen Pianisten Leopold Godowski unterrichtet worden, der auch der Lehrer Fats Wallers war. In Wirklichkeit wurde er von einem Nachbarsmädchen unterwiesen, die vom Sohn des Hauswirtes unterrichtet wurde, der bei Godowski studierte. Als er wegen eines Fahrrad-Unfalls, bei dem er sich die rechte Hand verletzte kurzzeitig damit aufhören musste, wurde er im Trompetenspiel unterwiesen. Bushkin hat auch in späteren Jahren bisweilen Trompete gespielt, vor allem aber mit einigen der legendärsten Trompeter gut zusammengearbeitet, darunter Bunny Berigan, Louis Armstrong und Muggsy Spanier.

Der junge Joe Bushkin übte nicht viel. Das Basketballspiel lenkte ihn gehörig ab. Und doch wurde Bushkin im Alter von 14 Jahren schon Profimusiker. Er arbeitete von 9 Uhr abends bis 5 Uhr früh und verdiente 40 $ die Nacht. Im Amerika der Wirtschaftskrise war das eine Stange Geld. Das machte natürlich seinen Vater stutzig, der ihm einmal heimlich in die Arbeit folgte. Als dieser feststellte, dass das Hotel, in dem sein Sprößling arbeitete, eigentlich ein Freudenhaus war, holte er ihn freilich heraus. Mit 15 verließ Joe Bushkin für immer die Schule, denn er schlief in der Penne sowieso nur ein, war er doch von seinen nächtlichen Auftritten rechtschaffen müde.

Seine Freundschaft mit Benny Goodmans Bruder Irving brachte den jugendlichen Bushkin in Jazzkreise. Bereits in Chicago fiel Bushkin Artie Shaw auf, und zwar „als sehr junger und wacher Bursche, der mit den Chicagoern herumlungerte“.

Erste Einflüsse auf Bushkin kamen von Earl Hines, Fats Waller und Teddy Wilson. Später hat ihn auch Art Tatum beeindruckt. Seine drei Lieblingspianisten waren Wilson und Tatum, die ihn auch am nachhaltigsten prägten sowie Oscar Peterson, der am wenigsten Spuren hinerließ. Moderneres lag ihm fern.

Ab dem Jahr 1935, als auch der Swing sehr populär wurde, spielte Joe Bushkin, kaum 19, schon in den Clubs der legendären 52. Straße New Yorks. Aufmerksam wurde man auf ihn als Pausenpianist im Famous Door. Dort hatte auch Bunny Berigan eine Band, in der auch Eddie Condon spielte, mit dem Bushkin in späteren Jahren immer wieder musizieren sollte. Als einmal Berigans Pianist ausfiel, vertrat ihn Bushkin und hatte fortan einen Platz unter den Vollprofis. Nun spielte er im Famous Door mit Größen wie Bunny Berigan, Joe Marsala, Red McKenzie und Buddy Rich. „Nicht viele Leute kamen in das Famous Door und wir Musiker fürchteten vom Gleißen der leeren Tischdecken schneeblind zu werden“, erzählte Bushkin. Bushkin und Berigan waren zur Stelle, als Billie Holiday die ersten Aufnahmen unter eigenem Namen einspielte.

Beim legendären Trompeter Bunny Berigan wurde Bushkin bekannt. Doch auch so profilierte Musiker wie Berigan und Bushkin verdienten nicht unbedingt gut, jedenfalls nicht in ihren Anfängen. Da gab es auch Elend. Von Joe Bushkin ist das Diktum überliefert: „In manchen Hotels waren die Ratten größer als die Posaunisten“.

Auch in New York hielt Joe Bushkin dem Kreis der sogenannten Chicagoans die Treue, die zum Teil in Swing-Orchestern untergekommen waren, aber den von Arrangements weniger geprägten Hot Jazz der kleinen Combos mit der polyphonischen Stimmführung des Oldtime Jazz bevorzugten. Zum Meilenstein des traditionellen Jazz-Revivals gerieten die 1939 entstandenen Aufnahmen von Muggsy Spanier und seiner Ragtime Band, darunter „Relaxin’ at the Touro“, die auch von Joe Bushkin geprägt wurden.

Als Bushkin sich 1940 der Band Tommy Dorseys anschloß, schrieb Bushkin auch seinen größten Hit, dessen Text von Johnny de Vries stammt: „Oh, Look at me Now“. Es wurde der erste Hit für dessen noch unbekannten jungen Sänger Frank Sinatra. In späteren Jahren scherzte Bushkin manchmal vor seinem Publikum mit der Ankündigung: „Und nun möchte ich gerne ein Potpourri aus meinem Hit spielen“. Bei Dorsey gehörte es zu Bushkins Aufgaben, mit Sinatra die Songs einzustudieren, da dieser nicht Notenlesen konnte.

Wie sein daran früh verstorbener Förderer Bunny Berigan, sprach Joe Bushkin einige Jahre alkoholischen Erfrischungen sehr zu, doch es schien nie sein Spiel negativ zu beeinflussen. Joe Bushkin führte das Orchester Tommy Dorsey laut Frank Sinatra „an Pernod heran. Plötzlich wurde die Coca Cola grün!“

Als der Krieg vorbei war, studierte er beim klassischen Komponisten Stefan Wolpe und arbeitete vom Juli bis November 1946 bei Benny Goodman – eine Beziehung, die im Streit endete. Schon vereinzelt ab 1946 und dann vor allem 1953 arbeitete Bushkin an der Seite von Louis Armstrong. In Chicago heiratete Joe Bushkin eine schöne und reiche Kaufhaus-Erbin und übersiedelte nach Manhattan.

Eine der Töchter des Paares war übrigens kurz mit dem Textdichter Alan Jay Lerner verheiratet, der mit Frederick Loewe viele erfolgreiche Musicals schrieb.

Joe Bushkin arbeitete ab 1950 auch am Broadway, nicht nur als Pianist, sondern auch als Schauspieler in Garson Kanin’s „The Rat Race“, und das angeblich acht (!) Jahre, jedenfalls später auch in der Filmversion. Nach dem Stück spielte er auch noch jede Nacht in „The Little Club“. Als Musiker zwischen Jazz, Broadway, und Cabaret verband Bushkin mit seinem leichtfüßigen, flüssigen, eleganten Stil drei Welten aufs Beste.

Die Schauspielerin Tallulah Bankhead förderte ihn und so kam es, dass Bushkin nun sehr viel im Radio und Fernsehen zu hören war, als Pianist und Sänger. 1950 oder nach anderen Quellen 1951 begann er ein langes, in die Geschichte eingegangenes Engagement im „The Embers“, wo er unter anderem mit Größen wie Charles Mingus, Jo Jones, Milt Hinton und Buck Clayton in Erscheinung trat. In diesem kleinen Club traute sich laut Jonah Jones „niemand außer Joe, zur Trompete zu greifen“. Jonah Jones entwickelte daraus selbst seinen viel imitierten „gedämpften Jazz“, der kommerziell erfolgreich wurde.

Stilistisch blieb Joe Bushkin zeitlebens dem Swing-Ideal seiner Jugend verpflichtet. Über die Avantgarde urteilte er: „Für mich ist das, also ob jemand ein Schuhgeschäft mit 6000 Verkäufern und sechs paar Schuhen eröffnet. Ich habe lieber sechs Verkäufer und 6000 Paar Schuhe.“ Judy Garland meinte einmal über Bushkin. Er ist ein „musician’s musian, aber er spielt schrecklich nett für die Leute.“ So kam es, dass Bushkin neben manchem Swing-Juwel auch eine Menge Easy-listening-Aufnahmen hinterläßt, bei denen sein Klavierspiel oft von Streichern unterlegt wurde. In Hawai und in Santa Barbara, wo er starb, unterhielt Bushkin einen Stall für Show-Pferde. Er nahm damit eine Auszeit von der Musik, als der Rock das Ruder im Musikgeschäft übernommen hatte. Doch nach der Zurückgezogenheit als Pferdezüchter kam Bushkin immer wieder auf die Bühne zurück, vor allem an der Seite von Bing Crosby. Es fiel ihm nicht schwer „Wenn man ein klassischer Pianist ist, dann muss man üben, da alles präzise sein muss. Wenn man so lange Jazz spiel, wie ich es tue, dann ist es wie Fahhradfahren.“ Und: „Wenn ich eine Zeit lang nicht gespielt habe, dann sind meine Ideen sehr frisch. Wenn ich jede Nacht spiele – nun, auch ein Zug hält mal an, weißt du.“

Am 7. November 2004 hat der Zug in Santa Barbara, Kalifornien, seine letzte Station erreicht. Joe Bushkin wurde 87. Weil er immer seinen 88. noch erleben wollte, da das Klavier 88 Tasten hat, wurde er an seinem an seinem 88. Geburtstag beerdigt.

Marcus A. Woelfle


 

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