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Inhaltsverzeichnis Jazzzeitung 7/2000

2000/07

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Story

Seite 7

Kubanischer Odysseus

Omar Sosa spielt Songs der Liebe

Er betritt die Bühne. Noch wirkt er wie ein Mönch mit seinem Schal, den weißen Schlabberklamotten, den gefalteten Händen und dem demutsvoll gesenkten Blick. Doch dann setzt er sich an den Flügel, und vorbei ist es mit der Ruhe. Auch beim Interview kann Omar Sosa nicht still sitzen. Er singt mir Themen aus seinem letzten Album „Bembon“ (Skip Records) vor, die Hände klopfen dazu wilde Conga-Figuren, unter denen der klapprige Glastisch vor ihm zusammenzustürzen droht.

Der Mann ist Bewegung pur. Wie seine Musik. Der Kubaner Omar Sosa hantiert furchtlos mit Elementen, die im Regelfall weder auf dem Papier noch sonst wie zusammen passen. Seine wilde, aberwitzige Mixtur funktioniert seltsamerweise trotzdem. Jazz, Salsa, Merengue, Soul, Funk, Klassische Musik, Hip Hop tanzen zusammen ganz ausgelassen über einem Puls, der von Rhythmen aus Kuba, Afrika und Ecuador genährt wird, afrikanische Chants, hitzige Raps, soulige Stimmen, Streichquartette, Bläsersätze, furiose Improvisationen ziehen im Zeitraffer an einem vorbei. „Viele Leute sagen mir, meine Musik sei verrückt. Ich antworte: vielleicht! Aber sie reflektiert mein Leben. Meine Musik mag komplex klingen, aber sie ist es nicht. Sie besteht nur aus vielen Farben und Schichten, die, jede für sich genommen, eigentlich ganz schlicht sind.“ Ich frage ihn ganz unbedarft, wo seine Musik eigentlich herkommt. Schwerer Fehler. Denn was folgt, ist eine Predigt, die sich über gute zwanzig Minuten zieht, eine Predigt, die im Verlauf des weiteren Gespräches immer wieder zitiert wird. Nicht er selbst sei für seine Klänge verantwortlich, beteuert Omar Sosa mit viel Singsang in der krächzenden Stimme, sondern die da oben, die aus der Zwischenwelt, der Dimension, die wir mit unseren Sinnen nicht erschließen können. „Du musst rein und ehrlich sein, um die Botschaften der Ahnen und der Geister zu empfangen“, erklärt der mit Voodoo-, Santeria- und Yoruba-Riten vertraute Omar. „Jeder Mensch hat Ahnen und Geister, die ihn umgeben und beschützen. Sie sind es, die uns die Musik schicken. Wir selbst sind nur die Boten an die Außenwelt.“

Omar Sosa: sinnliches Verhältnis zum Klavier. Foto: Ssirius W. PakzadNun, Ahnen hin oder Geister her – die Farbigkeit von Sosas Musik lässt sich vielleicht ganz banal mit seiner Vita erklären. Der 35-Jährige hat nämlich eine äußerst bewegte Lebensgeschichte hinter sich: Wuchs im ländlichen Kuba auf, studierte als Teenager in Havanna im Hauptfach Percussion und nahm dann mit 16 das Piano dazu („Das Piano ist das schönste und begehrenswerteste Mädchen, das ich kenne“), wurde zum Musiklehrer ausgebildet und wieder in die Pampa geschickt, um dort zu unterrichten. Dann folgte der Militärdienst, den er – als Musiker – in den Kriegsgebieten von Nicaragua, Äthiopien, Kongo und Angola ableistete. Hätte ihn einige Male fast das Leben gekostet. Nach der Zeit in Uniform probierte Omar Sosa alles aus, was die Musik-Szene von Havanna her gab, spielte Salsa, Son, Avantgarde, begleitete einen Opernsänger uns so weiter und so fort. Die Wege des Herzens führten ihn nach Ecuador, wo die Geliebte, die heute seine Frau ist, lebte. Dort hat sich Omar Sosa, nachdem ihn ein deutscher Saxophonist aus Kempten darauf gestoßen hat, erstmals ernsthaft mit Jazzgeschichte und vor allem mit Thelonious Monk beschäftigt, der noch heute sein Spiel prägt. Nach einem kurzen Zwischenspiel auf Mallorca zog Sosa 1995 ins kalifornische Oakland (bei San Francisco), wo er schon bald die Band gründete, mit der er seine faszinierende „Roots“-Trilogie eingespielt hat („Free Roots“, „Spirit Of The Roots“ und zuletzt „Bembon“). Heute lebt er mit seiner Frau in Barcelona.

Ssirus W. Pakzad


Am 21. Juli gastiert Omar Sosa mit seinem Quartett im Rahmen des Münchner Klaviersommers im Nightclub des Bayerischen Hofs.

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