Lodernder Fusionsound – Trio Hovercraft mit „Midwife Crisis“

Bekommt jetzt auch die Jazzszene ihr -ismus–Skandälchen? Beim Titel „Midwife Crisis“ des Trios Hovercraft um den israelischen Saxophonisten Omri Abramov könnte die pc-Gemeinde immerhin auf die Idee kommen, eine verdächtige Portion Sexismus dahinter zu erkennen. Wer es bei der Musik belassen will, wird auf dem ersten Album der Band mit einem dichten, vorwärts drängenden Sound konfrontiert. Miami Vice lässt grüßen Der erinnert an die ausladenden Fusioneskapaden vorwiegend amerikanischer Prägung der 80er- und 90er-Jahre des zurückliegenden Jahrhunderts. Erweitert um Effekte (mit dem Sax) und das selten gespielte elektronische EWI (Electric Woodwind Instrument), auf deutsch auch als Blaswandler bezeichnet, ziehen vor dem inneren Auge/Ohr älterer Jazzfans us-amerikanische Serien wie Miami Vice und deren akustische Erkennungsmelodien auf. Nun darf man den drei noch jungen Musikern keineswegs ein kraftvolles Segeln unter fremden Flaggen unterschieben. Immerhin sind sie teils sogar jünger als die alten Quotenbringer, dennoch gibt es eine gewisse Affinität zu konstatieren. Ein ausgiebiges malerisches Schlagzeugsolo – auch ein wenig ein Relikt – mit Stolperfallen und verwinkelten Rhythmen prägen das mehr als siebenminütige „Depredation“, das harmloser rüberkommt, als der Titel suggeriert. Beinahe sanft kommt das aus einem einfachen Motiv …

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Wilder Energiestoß und Zärtlichkeit   – Trio Benares mit neuer CD

Es klingt vielleicht etwas despektierlich oder proletenhaft – aber bei gemeinsamen Unisonoläufen von Roger Hanschel und Prashant Mishra taucht manchmal das Bild als, als würden zwei gleichstarke Jungs um die Wette flitzen. Dabei geht es bei den Jungs, um bei dem Bild zu bleiben, gar nicht um ein Kräfte messen, wobei die beiden vom Dritten in der Runde, dem Tablaspieler Prashant Mishra, beherzt angefeuert werden würden. Vielmehr ist ihr mittlerweile mehr als sechsjähriges Zusammenspiel im Trio Benares ein Aufeinander einlassen, ein tiefes Eintauchen und sich  Öffnen gegenüber der Kultur und Musik des jeweils anderen. Das Liebäugeln zwischen Jazz und indischer Musik hat bereits eine längere Tradition, die von John Coltranes Spiritualität über Gabor Szabos „Jazz Raga“ und Irene Schweizer bis zum Trio Shakti mit John McLaughlin und natürlich Charlie Mariano reicht, der Galionsfigur für Weltmusik mit östlicher Prägung. Während in der Popmusik oft eine Aneignung ferner/fremder Einflüsse stattfindet, die heute als postkolonialer Kulturklau zu teils heftigen Auseinandersetzungen führt, standen sich indische Musik und Jazz meist neugierig und offen gegenüber. Verbindendes Element ist dabei die Improvisation, die in beiden Genres tief verwurzelt und unerlässlicher Baustein ist. …

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Neue CD von Kilian Sladek: Von „Inner Peace“ bis Tschernobyl   

Man muss schon ein wenig stöbern – heutzutage natürlich ziemlich einfach – um dahinter zu kommen, was der Münchner Sänger und Komponist Kilian Sladek mit dem Albumtitel ausdrücken will. „Syllabulism“ liegt phonetisch nahe beim Wortbestandteil Silbe und beschreibt mit dem anglisierten Nomen den silbenweisen – syllabisch(en) – Gesang über den Notenwerten eines Chorals oder Liedes. Silben in Form von textlosem Gesang prägen das  Debütalbum, das Sladek mit seinem jungen Quartett mit Hilfe einer Fundraising-Aktion auf Startnext (Unit Records) auf die Beine gestellt hat. Zuvor ist lediglich eine EP des Quartetts als quasi Appetizer erschienen. Die sieben Eigenkompositionen Sladeks sind sowohl von ihrem Gehalt, wie auch formal sehr unterschiedlich. Wirkt beispielsweise das entspannt-heitere „Inner Peace“ mit viel Fingerschnippen, rhythmischem Backgroundgesang und Händeklatschen wie eine raue, improvisierte Bobby McFerrinsche Reinkarnation, hebt hinter der Himmelspforte – „Heavens Gate“ – der 2017 verstorbene Al Jarreau vergnügt lachend beide Daumen. Nun ist es keineswegs so, dass hier ein Epigonenalbum entstanden ist, aber die beiden Vokalkünstler sind nun mal die Referenzpunkte, wenn es um Jazzgesang und Vokaltechniken geht. Und davon beherrscht der 26-jährige Münchner, der wie seine Mitmusiker an der dortigen …

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Klänge zum Zeitgeschehen – eine Veröffentlichung von Matthieu Bordenave

Gerade mal zwei Auftrittstermine hat Matthieu Bordenave für dieses Jahr 2021 auf seiner Homepage stehen. Davon nur einen mit seinem neuen Trio mit Patrice Moret (bass) und dem Pianisten Florian Weber. Mit diesen beiden hat der Franzose, der in Bayern lebt, sein neues Album „La Traversée“, also die Durch- oder Überfahrt, bei ECM eingespielt. Veröffentlicht worden ist es im Spätherbst, es ist das erste für die Edelschmiede und erinnert ein wenig an die Anfangszeit von Eichers Label mit seiner damals aufregend neuen Klangästhetik. Mit ruhigen, traumverloren schwebenden Stücken, die nach Zeilen und Bildern des französischen Schriftstellers und Poeten René Char betitelt und von diesen inspiriert sind, fügt das Trio dieser Tradition eine eigene Note hinzu. Diese ist neben Chars Poesie, die hierzulande wenig bekannt ist, auch von den Innovationen des Jimmy Giuffre Trio beeinflußt, das ebenfalls neue Akzente im Klangraum zwischen Jazz und zeitgenössischer  Kammermusik setzte. Auch für den lyrischen Franzosen mit dem weichen Klang auf seinem Tenor spielt der (Klang-)Raum eine gewichtige Rolle. Das ist bereits auch am starken Hall ablesbar ist, der sein Spiel von zartesten, fast verschwindenden Momenten bis zu kurzen vogelrufartigen …

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Der mit den Vögeln spielt     

Die Nachtigall als Jazzstar? Frei improvisierender Klangkünstler? Melodiöser Interpret? Ganz so surreal abgehoben ist es nicht, wenn der amerikanische Jazzklarinettist und Philosoph David Rothenberg in seinem Buch von Berlin als „Stadt der Nachtigallen“ erzählt. Selbiges diente nun als Grundlage für eine Hör-CD gleichen Titels. Auf dieser sind – natürlich – Nachtigallen mit ihrem wunderbaren, vielgestaltigen Gesang zu hören, die Stimme von Schauspielerin Eva Mattes, die erzählt wie es zu der Aufnahme gekommen ist und Ausschnitte aus dem Buch liest, Rundfunksprecher Julian Mehne und Rothenberg mit seiner Klarinette. Vogelgesang hat in der Musik schon häufig eine mehr oder weniger bedeutende Rolle gespielt. Im Barock ist oft darauf Bezug genommen worden, weil Komponisten damit die strengen Kompositionsprinzipien durchbrechen konnten. In der Neuzeit war es vor allem der französische Komponist Olivier Messiaen, der Vogelrufe in einigen Werken eingearbeitet hat. Aber auch der große Posaunist Albert Mangelsdorff aus Frankfurt/Main war fasziniert von Vogelgesang und hat in seiner Musik immer wieder darauf Bezug genommen. Zwei Saxofonisten, der bereits verstorbene Paul Horn und Paul Winter, die beide als Wegbereiter der New-Age-Musik gelten, beschäftigten sich musikalisch mit Vogel- und anderen Tierstimmen und …

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Wackelnde Wände – in der Küche

Zeugnisse nächtlicher Lebenslust verewigte der schweizerische Künstler Daniel Spoerri ab den frühen sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts in seinen berühmten Fallenbildern. Kippen, geleerte Flaschen und abgegessene Teller nebst verschmutztem Besteck und Aschenbechern wurden flu(gs)x auf der Tischplatte fixiert, um 90 Grad gedreht und an die Wand genagelt. Ob Almut Schlichtung, Anke Lucks und  Christian Marien alias Insomnia Brass Band mit der Abbildung auf dem Cover ihrer Debut-CD darauf Bezug nehmen, liess sich nicht eruieren. Der Teller mit dem Bandsalat einer Musikkassette, Gabel und Messer, über den ein Quietschefisch aus Plaste zu fliegen scheint, wirkt wie ein ironisches Zitat auf die Kunst des heute 90-Jährigen. Immerhin steckt hinter dem Foto von Alexander Beierbach, welches als Rätselaufgabe noch die Bassdrum eines Weckers und ein Stück Rohr vermutlich eines Baritonsaxofons enthält, auch Kunst – Musik von Schlichtung und Lucks. Die beiden Instrumentalistinnen haben die Band mit Marien während eines Arbeitsstipendium des Berliner Senats gegründet und ihren Sound rund um das gemeinsam komponierte Spielmaterial entwickelt. Dieser ist – wie bereits in der eigenwilligen Besetzung angelegt – recht eigen und lässt in dem voluminösen Klang der tiefen Instrumente durchaus die …

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Klangirisierender Kopffüssler: Peter Fuldas „Peristaltics“

In Peter Fuldas Peristaltik – „Peristaltics“ – geht es ganz schön heftig zu. Bis sich Piano (Fulda) und Schlagzeug (Bill Elgart) mit einschalten und den rumorenden Prozess mit Schluckauf und Rülpsern einige rhythmische Komponenten hinzufügen, kämpft sich vorrangig das Cello (Elisabeth Coudoux) mit lückenloser Glaubwürdigkeit durch Unwohlsein, Krämpfe und weitere Beschwerden. Das dritte Album einer Edition des Nürnberger Komponisten, Arrangeurs und umtriebigen Jazzaktivisten spielt mit der Ausdruckskraft und Wandlungsfähigkeit einer ungewöhnlichen Besetzung. Nach dem keineswegs schrumpelnden „Shrink“ (mit Elgart, Nils Wogram und Henning Sievert) und „I am with you“ (u.a. mit Pegelia Gold und Robert Landfermann) bringt „Luminescent“ die drei Spieler*in in atmosphärisch ganz verschiedene Situationen und erzeugt so ein vielgestaltiges „Klangleuchten“, wie es im anschaulichen Booklet heißt. Ein starkes solches Leuchten geht – für mich – vor allem vom eröffnenden „Mammele“ aus, das Fulda dem bei uns wenig bekannten polnischen Schriftsteller Tadeusz Borowski gewidmet hat. Der hat in seinen Gedichten und Prosatexten die Frage nach Schuld und Verantwortung des Einzelnen auf dem Hintergrund von Erfahrungen in Konzentrationslagern gestellt und ist an inneren Widersprüchen zerbrochen.  Erschütterung und Zerbrechlichkeit durchziehen das brüchige Thema und verfangen sich …

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Sound wie ein tollkühner Vogelschwarm: Cécile Verny auf Bayerntour

Von Monden und Träumen Während im ersten Dämmer gerade noch ein abnehmender Halbmond zu sehen war, ging innen im Leeren Beutel bereits der Vollmond auf. Und das gleich zweimal hintereinander. „Of Moons and Dreams“, von Monden und Träumen, heißt das jüngste Album der deutsch-französischen Sängerin Cécile Verny, mit dem sie gerade eine kleine Bayerntour durch verschiedene Clubs, darunter den Jazzclub Regensburg, absolviert. Coronatauglich vor deutlich weniger Publikum, als bei früheren Auftritten. „Das ist heute überall so“ Um dennoch mehr Menschen die Möglichkeit zu geben die großartige Sängerin live zu erleben und den Musikern eine anständige Gage zahlen zu können, spielte sie mit ihrem Quartett zwei kürzere Konzerte hintereinander. „Das ist heute überall so“, verglich Verny den ausgedünnten Leeren Beutel mit Clubs in Paris und New York, „dort kratzen auch schon die nächsten an der Tür, um unsere Musik endlich wieder live zu hören“. Die klingt bei der in Abidjan aufgewachsenen Verny nach Jazz und Rhythm ’n‘ Blues, Funk und Fusion, mit ein wenig Pop hier, Groove dort, mal swingend mal straight. Vielseitig tiefgründige Songs In den Songs, die manchmal durchaus poptauglich klingen und in denen …

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Sandro Roy begeistert in Regensburg mit virtuosem Spiel

Von Michael Scheiner. „Ich kann’s nicht glauben, wir sind wieder zurück!“ Es war ein Stoßseufzer der Erleichterung, verknüpft mit einem Gefühl wie es Wolfgang Ambros mit „Zwickt’s Mi (i glab i tram)“ besungen hat, das sich bei Sandro Roy Bahn brach. Der junge Geiger aus Augsburg stand im Leeren Beutel auf der Bühne, um sich herum die Musiker des Jermaine Landsberger Trios, und war sichtlich gerührt. Pianist und Bandleader Landsberger hatte ihn gerade als „einen der begnadetsten Geiger“ im heutigen Jazz vorgestellt, der seit Veröffentlichung seines ersten Albums vor fünf Jahren international gefragt sei. Klassische Doppelbegabung Tatsächlich tritt der 26-jährige Musiker – wenn nicht gerade Coronabeschränkungen allen Vorhaben einen Strich durch die Rechnung machen – auf Festivals quer durch Europa, USA und beim BBC-Radio auf. In einer Woche spielt er mit dem  Rundfunkorchester des BR klassisches Repertoire und improvisiert am nächsten Tag mit einer Jazzcombo eigene und fremde Swingnummern. Roy gilt als Doppelbegabung, er hat eine akademisch-klassisches Ausbildung absolviert und imitierte bereits in Jugendjahren sein Idol Stephane Grappelli. Von ihm, dem einstigen Partner Django Reinhardts der die Violine im Jazz hoffähig gemacht hat,  interpretierte die …

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„Rote Rosen“ regnen im coolen Gypsy-Sound

Von Michael Scheiner. Traubeli Weiss, der vor einigen Jahren verstorbene, populäre Gipsyswing-Gitarrist, war der Onkel von David und Danino Weiss. Von ihm und anderen der weit verzweigten Familie haben die beiden Straubinger Musiker, Cousins, die sich seit ihrer Kindheit als Brüder verstehen, viel gelernt. Meist durch  Abschauen. Er hat sie auch ermuntert mit der Musik weiterzumachen. Aktuell präsentieren die beiden voller Stolz ein neues, ihr zweites Album, welches soeben erschienen ist. Stand die erste CD  (Violets For Your Furs) noch ganz im Zeichen der amerikanischen Jazztradition, wie der von Frank Sinatra populär gemachte Titelsong erkennen lässt, folgt jetzt eine Rückbesinnung aufs europäische Erbe. Aufs französische vor allem, denn etliche der Songperlen sind von großen französischen Entertainern und Komponisten geschrieben worden. So wird Joseph Cosmas „Clair De Lune“ mit wunderbar einfühlsamen, melancholischen Akkordeon- und Klavierlinien eigenwillig umspielt. Aufs Tempo drücken die Weiss-Brüder bei Charles Aznavours „J’aime Paris au mois de Mai“, welches sie mit Hilfe des grandiosen Münchner Groovemeisters Guido May und Trio-Elf-Bassist Peter Cudek im harten Hot-Swing beschleunigen. Ihm und dem ebenfalls im vorigen Jahr verstorbenen Filmmusikkomponisten Michel Legrand widmen sie das Album „The New Gipsy Sound“. …

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