Johanna Borchert zu ihrem Solo-Debüt „FM Biography“

Motiv 0 kleine AuflösungVon Oliver Hochkeppel, in Auszügen gedruckt in SILBERHORN 1-15: Der Name Johanna Borchert war bislang nur Experten bekannt, die sich für Bandbesetzungen interessieren: Als eine Hälfte des Duos Little Red Suitcase mit der Geigerin Elena Setién und Teil des – 2012 mit dem Neuen Deutschen Jazzpreis ausgezeichneten – Quartetts Schneeweiß & Rosenrot.

Das hat sich für die unter anderem bei Hubert Nuss und David Friedman in Berlin und Django Bates in Kopenhagen ausgebildete Pianistin, Komponistin und Sängerin mit ihrem fulminanten, bei Enja Yellowbird erschienenen Leader-Debüt „FM Biography“ nun schlagartig geändert. Der mit dem Gitarrenguru Fred Frith, dem Schweizer Schlagwerker Julian Sartorius und dem New Yorker Multiinstrumentalisten und Produzenten Shahzad Ismaily eingespielte, völlig eigenständige Stilmix mit Gesamtkunstwerk-Charakter – wovon nicht zuletzt zwei Videos zeugen, siehe www.johannaborchert.de – sorgte für Aufsehen und brachte ihr als nahezu einzige heimische junge Jazzerin eine Einladung zum Jubiläums-Jazzfest Berlin.

Ihr Album klingt alles andere als nach Radiokost. Wieso heißt es „FM Biography“?

Wie das bei Künstlern so ist. Am Schluss kommt etwas ganz Intuitives heraus, aus Einfällen, Gefühlen, Begebenheiten, die plötzlich einen Sinne ergeben. Der Titel stammt von Agnieszka Wolny-Hamkalo, einer polnischen Dichterin. Einer von nur zwei Texten, der nicht von mir ist. Ich fand ihn passend.

Warum?

Weil es eine Sammlung aus den vergangenen fünf Jahren ist, die biographisch-künstlerischen Charakter hat. Das alles ist jetzt nicht in fünf Wochen entstanden, es war ein Reifeprozess, deshalb war der Titel spannend.

Ein Schlüssel des Projekts ist aber doch auch Fred Frith?

Ja schon. Ich habe seinerzeit in Kopenhagen einen Workshop mit ihm organisiert. Da habe ich ihm meine Schneeweiß & Rosenrot-CD zugesteckt. Daraufhin hat er mich erst nach New York eingeladen und da gemeint, Oakland, wo er lehrt, sei der richtige Ort für mich. Er hatte schon alles für mich in die Wege geleitet. Und dann kam ich dahin und war wirklich total inspiriert. Ich war sehr produktiv, der Anfang dieses Projekts liegt tatsächlich dort; es kamen Sachen zustande, die nicht mehr zu den Bands gepasst haben, mit denen ich bislang unterwegs war.

Bei Schneeweiß und Rosenrot und den anderen Bands haben sie auch schon gesungen.

Ja, backing. Aber ich war immer die Pianistin.

Foto: Barbara Kaniewska
Foto: Barbara Kaniewska

Jetzt ist Gesang und Klavier gleichberechtigt.

Klavier ist sogar in den Hintergrund getreten bei diesem Projekt. Wobei ich, wenn ich solo auftrete, zwischendurch auch nur Klavier spiele.

Warum haben Sie denn für Ihr erstes Album unter eigenem Namen kein Soloprojekt gemacht?

Ich hatte das eigentlich immer geplant. Aber dann habe ich mir doch eine Band gewünscht. Ich fand es spannender, andere Energien und mehr Klangvielfalt mit reinzukriegen. Und dann bin ich auch auf Julian gestoßen, er war der erste, der für das Projekt feststand.

War das in seiner Berliner Zeit?

Nein, da habe ich ihn gar nicht getroffen. Er kam mal zu einem Schneeweiß & Rosenrot-Konzert und hat sich zum Jammen verabredet. Danach war klar, dass wir etwas zusammen machen wollen. Julian ist unglaublich kreativ und denkt sehr künstlerisch. Er ist ja auch Konzeptkünstler.

Wie eigentlich alle drei Begleiter. Auch Shazad Ismaili, der das Album sogar mitproduziert hat.

Ja, sowohl Julian wie Fred hatten schon mit ihm gearbeitet. Ich habe ihn dann in Moers kennengelernt und dachte mir, dass es sich mit ihm rundet.

Wenn man bei diesem außergewöhnlichen Album Vergleichbares sucht, kommt man höchstens auf Laurie Anderson. War sie ein Einfluss?

Alle vergleichen mich jetzt mit ihr, aber ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich Laurie Anderson gar nicht kannte. Nachdem das Album fertig war, hat der Toningenieur, mit dem ich die Vocals aufgenommen hatte, mir gleich etwas von ihr vorgespielt. Da habe ich dann auch verstanden, warum.

Shazad Ismaili hat mit Anderson gespüielt und auch zwei ihrer Albenproduziert. Deshalb liegt der Verdacht nahe, dass er für die Ähnlichkeit verantwortlich sein könnte.

Nein, bei dem Album kam so viel zusammen, so viel Einfluss hat er gar nicht gehabt.

Wie schreit man derart anspruchsvolle und schöne englische Texte, wenn man kein native speaker ist?

Oh, danke schön. . .

. . .ist Ihnen das in Oakland so zugeflogen?

(Lacht) ja genau, auf einmal. Nein, schon im Studium in Kopenhagen habe ich natürlich Englisch gesprochen. Auch wenn ich am Schluss doch noch Dänisch gelernt habe. Abgesehen davon habe ich mich schon immer viel mit Gedichten beschäftigt, wenn auch mehr mit deutschen. Meine Herangehensweise ist oft sehr pragmatisch: Ich habe meist schon ein Thema und eine Geschichte zu erzählen, aber ich suche immer nach Bildern, und dafür nach Wörtern, die ich spannend finde. Zum Beispiel im Wörterbuch. Da sammle ich dann erst einmal, und dann schaue ich, was zusammenpasst, welches Wort welche Kraft hat, und was löst es in mir an weiteren Fantasien und Vorstellungen aus.

Klingt wie ein paralleler Prozess zur Musik?

Ja, das ist es auch.

Sie gehen jetzt solo auf Tour. Es ist wohl schwierig, mit amerikanisch-schweizerischen Ausnahmekünstlern zu planen?

Was mir in dem Moment der Entstehung natürlich total egal war, da habe ich nur künstlerisch gedacht. Aber ja, jetzt zeigt sich, dass eine Tour mit dieser Band nicht praktikabel und bezahlbar ist.

Ist FM Biography, so wie das Album klingt, überhaupt live spielbar?

Ja, bis auf die Bläserarrangements. Die Chöre spielen wir ein – so etwas hatte ich bisher nie gemacht, da war ich recht dogmatisch. Aber jetzt finde ich es total gut. Im Jazz ist es zwar verpönt, aber man kann auch mit Vorproduziertem kreativ umgehen. Das kommt dann noch dazu und bereichert die Sache. Wir hatten zwei Konzerte in der Besetzung in Kopenhagen, man bekommt schon ein Gefühl von der Platte.

Dogmatisch sind Sie ohnehin nicht. Waren Sie nicht lange Autodidaktin? Und hatten dann einen Klavierlehrer, der es sich auch selbst beigebracht hat?

Naja, letztlich bringen es sich alle selber bei.

Aber man kann es doch heute studieren?

Das ist alles ein Mythos. Ich hatte klassischen Unterricht von meinem achten Lebensjahr an, das ist schon eine Schule, da lernt man viel über Technik und Klang. Daher kommt mein Klavierspiel. Aber ein Jazzstudium, zumindest die Musiker-, nicht die Pädagogik-Schiene, ist überhaupt nicht verschult. Zumindest bei mir an der UdK Berlin oder in Kopenhagen, wo wir nur zu sechst waren, darunter auch Marius Neset, hatten wir so viele Freiheiten, dass wir eigentlich fast keinen Unterricht hatten und uns alles selbst zusammengesucht haben. Wenn man dann bei einem Lehrer in der Stunde sitzt, versucht der letztendlich auch nur rauszufinden, was man will. Es gibt natürlich ein paar Regeln im Jazz, aber kein Lehrbuch, keinen Lehrplan. Letztendlich ist man Autodidakt.

Aktuelle CD

Johanna Borchert: FM Biography
Enja Yellowbird

Tour

03.02.2015: Frankfurt Brotfabrik
04.02.2015: Köln Stadtgarten
05.02.2015: München Ampere
06.02.2015: Dortmund domicil
08.02.2015: Berlin Roter Salon

Mehr unter
www.johannaborchert.de

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