Tobias Christl: der Aha-Effekt

Text und Foto. Ssirus W. Pakzad – Wildern ist ein Jazz-Prinzip. Bei frühen Beutezügen gingen Tages-Schlager und Broadway-Songs ins Netz. Heute werden überall Fallen aufgestellt, besonders dicht im Terrain des Pop. Der Kölner Sänger Tobias Christl geht mit seiner Band „Wildern“ wildern. Er weidet „Video Games“ von Lana del Rey, „Toxic“ von Britney Spears, „Love Will Tear Us Apart“ von Joy Division, „I Will“ von Radiohead oder „Take On Me“ von a-ha genüsslich aus.

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Es gibt Musiker, die so etwas tun, weil es Aufmerksamkeit verheißt, weil dicke Schlagzeilen im Bereich des Möglichen liegen, wenn sich E über U hermacht. Jazzer, die Songs von Lana del Rey, Britney Spears oder a-ha covern? Da wird bestimmt so heftig gezwinkert, bis die Lider einen Muskelkater haben. „Dabei sind solche Nummern völlig unironisch gemeint“, sagt ein völlig übermüdeter Tobias Christl, der an diesem Morgen kaum aus den Augen gucken kann und manchmal mit Wortfindungsschwierigkeiten zu kämpfen hat. Nach mehreren Anlaufversuchen kann er dann aber schon formulieren, dass es ihm ernst ist mit den Songs, die manch einer abtun würde, weil sie ursprünglich Teil des Glitzer- und Glamour-Geschäfts waren. Aber sie machen eben auch irgendwie ein Stück der Biografie des zwischen Berlin und Köln pendelnden Sängers aus, der aus einem Kaff nahe Augsburg stammt. „Man muss zu jedem Song seinen Zugang finden, und das ist total schwer“, sagt der 36jährige. „Bei „Take On Me“ von a-ha dachte ich: „Oh Gott, was kann man denn damit nur anstellen? Es war mein allererstes Lieblingslied. Als ich aufgewachsen bin, lief es dauernd im Radio. Ich hatte sogar ein Bravo-Poster von a-ha an der Wand. Es ist das einzige mir bekannte Stück, das im Refrain über drei Oktaven geht, und der Morten Harket singt das wirklich ganz toll. Wir haben diesen Refrain verkürzt, die Noten, die er singt, zu Achteln gemacht und daraus wurde ein Motiv, das als Loop die ganze Zeit durchgespielt wird.“

Einen ganz schönen Aufwand hat Tobias Christl, der auch Gründungsmitglied des Kölner KLAENG-Kollektivs ist, mit allen zwölf Stücken getrieben, die auf seiner CD „Wildern“ (die in der „: young german jazz“-Reihe bei ACT erscheint) zu finden sind. Seine Beute hat er in eine neue Form gebracht, die sich auseinander zu nehmen lohnt. Viele Details gibt es zu entdecken. Oft sind sie rhythmischer Natur. In Lana del Reys „Video Games“ beschleunigt und drosselt das Ensemble nach Belieben. Bei dem kunstvollen Eiern muss man unwillkürlich an die Gleichlaufschwankungen eines ausgeleierten Tapes denken, das dem Tonkopf des Rekorders zu schaffen macht. Simon & Garfunkels „Sound Of Silence“ schwebt davon wie ein Ballon, den das Kind losgelassen hat. Tom Waits` „Anywhere I Lay My Head“ war ursprünglich als Rubato angelegt. Tobias Christl und seine vier Mitstreiter haben einen 17 16tel-Rhythmus in dieses Stück eingezogen. „Im Original ist diese Nummer mit Akkordeon-Begleitung und Tom Waits schreit sich den Text in seiner so typischen Art aus der Seele. Ich hingegen habe nicht sehr laut, eher introvertiert und flächig gesungen und somit einen Kontrast zum rotzig-trotzigen Original geschaffen. Auf so eine Version muss man erst einmal kommen.“

Während fast alle Nummern des Albums irgendwie mit Tobias Christl zu tun haben, ist ein Stück ein Gastgeschenk. Das Konzept seiner Band kristallisierte sich im Kölner Club „Heimathirsch“ heraus. Regelmäßig lud das Quintett Gäste ein. Einmal kam die wunderbare afghanisch-deutsche Sängerin Simin Tander zu den Kerlen auf die Bühne und brachte „Toxic“ von Britney Spears mit. Das singt sie nun auch hinreißend auf der „Wildern“-CD – und Tobias Christl hält sich während der knapp vier Minuten im Hintergrund.

Einen deutschen Titel gibt es auf dem Album übrigens auch – Rio Reisers „König von Deutschland“. Da singt Tobias Christl endlich in der Sprache, der er sich sonst in eigenen Texten meist bemächtigt, ob nun in seinem Indie-Pop-Projekt „Herbe Sahne“ oder mit seiner „Lieblingsband“. „Für mich hat sich die Frage Deutsch oder Englisch nie gestellt. Für mich war es immer klar. Ich kann mich auch nur auf Deutsch differenziert ausdrücken. Englisch wäre ein Kampf.“

Tobias Christls CD ist unsere neue Abo-Prämie (solange Vorrat reicht)…