Atemberaubend spannend – „Beatz“ aus der Remise

Er finde ständig etwas, was noch verbessert werden könne. „Zum Beispiel werden wir bis morgen den Flügel polieren“, verspricht Alfred Vogel mit freimütigem Lachen. Der Percussionist, Produzent und Schlagzeuger aus dem Voralberger Urlaubsort Bezau ist seit sieben Jahren Leiter von „Bezau Beats“. Erstmals fand dieses kleine Festival heuer unter Dach statt, in einer leer geräumten Bahnremise. Als Konzertreihe mit „Musik aus allen Richtungen“ gestartet, saßen die Besucher in diesem Jahr neben historischen Dampfloks, in der umgebauten Halle des Wäldlerbähnles. Eine pittoreske Umgebung mit dem dicken Geruch von Öl, Schmierfett und Ruß.

Petter Eldh (bass) vom Trio "The Neubauten". Foto: Michael Scheiner
Petter Eldh (bass) vom Trio „The Neubauten“. Foto: Michael Scheiner

Der Flügel war am nächsten Tag geputzt. Österreichische Verbindlichkeit, die das Wohl des Gastes nicht nur in den exquisiten Hotels am Ort in den Mittelpunkt stellt. Andere Störfaktoren allerdings bekam der einnehmende Festivalpromoter weniger gut in Griff. So setzte Musik vom Datenspeicher ein, kaum dass der Beifall für ein Konzert richtig abgeklungen war. Eine weitverbreitete Unsitte, die den Zuhörenden keinen Raum lässt, das Gehörte nachklingen zu lassen. Auch den Musikern gegenüber liegt darin eine gewisse Herabsetzung, wendet man sich doch sofort einer oberflächlichen Unterhaltung zu, wenn ihr – künstlerischer und kreativer – Beitrag, der immer auch eine persönliche-emotionale Leistung beinhaltet, auf der Bühne beendet erscheint. Der Kontrast, der sich dabei ergab, erschien besonders auffällig nach den expressiven und energetisch dichten Auftritten des deutsch-norwegischen Trio „The Neubauten“ mit Wanja Slawin (altsax), Petter Eldh (bass) und dem fabulösen Schlagzeuger Christian Lillinger, und dem schweizerischen Pianisten Hendrix Ackle. Dessen melancholisch-nachdenklichen Songs über eigene Ängste, Befindlichkeiten und Romantik fanden den größten Beifall – auch weil Festivalmacher Alfred Vogel als Lokalmatador in seiner Band mitspielt – und weckten bei den angereisten Jazzfans den meisten Verdruss. Auch wenn das Begleittrio mit bluesigen, jazzigen und in Spurenelementen experimentellen Klangeinflüssen durchaus interessante Akzente setzte, fanden die in maskulin-rauer Baritonlage genuschelten Songs zwischen Elton John und Sophie Hunger wenig Gnade bei den erprobten Jazzkennern.

Alfred Vogel. Foto: Michael Scheiner
Alfred Vogel. Foto: Michael Scheiner

Dabei spiegelten gerade der Auftritt Ackles, die zwischen afrikanischer Folklore und Highlife-Pop pendelte „Kofi Quarshie’s Agoo Group“ aus Ghana und die junge Berliner Band „Holler My Dear“ Vogels undogmatischen Anspruch bestens wider. Er schlägt damit eine Bresche in den längst zugewachsenen Weg, den einst der österreichische Pianist Friedrich Gulda mit einem Festival am Ossiacher See beschritten hatte. Selbiges verband einen Mönchschor aus Tunesien mit Jazzmusikern wie Dollar Brand, Popacts (Tangerine Dream) und Klassikinterpreten (Gulda, Franz Hummel). Heute ist eine solche stil- und spartenübergreifende Offenheit vermutlich noch mühsamer durchzusetzen, als vor über 40 Jahren. Damals sind viele Musikhörer Entwicklungen offener begegnet, als aktuell. Dass persönliche (Stil-)Präferenzen keineswegs immer aus individueller Neugier erwachsen, sondern dem Einfluss politischer und zunehmend (kultur-)wirtschaftlicher Entscheidungen und Prozesse unterliegen, legte Berthold Seeliger in einem spannenden Vortrag dar. Der Künstleragent las aus seinem Buch „Das Geschäft mit der Musik“ und zeigte den beispiellosen Konzentrationsprozess in der Kulturwirtschaft zu marktbeherrschenden – und damit geschmacksprägenden – Oligopolen auf. In Angeboten wie „Bezau Beatz“ sieht er – zu Recht – engagierte Musiker, Kulturvermittler und Zuhörer am Werk, unterstützt von der örtlichen Wirtschaft und Politik, die eine „selbstbestimmte Kunst“ und damit kulturelle Vielfalt ermöglichen. Dieser Meinung konnte man sich nach den spannenden, von Witz und Kontrasten geprägten Konzerten des belgischen Klaviertrios „De Beeren Gieren“, der zwischen Expression und Kalkül operierenden Neubauten“ und des New Yorker Trompeters Peter Evans nur beherzt anschließen. Evans` halbstündiges Solokonzert war vielschichtig, virtuos – einfach atemberaubend. Dagegen war die funk- und fusionbetonte Musik von „Island Jazz“ aus Madagaskar mit der stimmgewaltigen Sängerin Monika Njava schlicht – zu laut. Ein bedauerlicher Schnitzer, der sich im nächsten Jahr ebenfalls leicht korrigieren lässt. Dann kann man sich wieder auf ein lohnenswertes Abenteuer mit Musik aus wechselnden Richtungen einlassen – und tagsüber Berge besteigen.

Michael Scheiner

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