Improvisation über Improvisation #1

Der Wecker klingelt wie gestellt.
Der Taxifahrer klingelt wie bestellt.
Auch der Zug, der mich zum Flughafen bringt, ist auf die Minute pünktlich.
Abfertigung reibungslos, Flug ohne Turbulenzen.
Ankunft um 14:48.

Raus aus der Schalterhalle, rein ins alltägliche Chaos. Lautes Stimmengewirr, ich verstehe kein Wort. Stau. Enge. Ein Paradies für Huptonforscher. Theoretisch gilt Rechtsverkehr; praktisch gilt links wie rechts das Recht des Schnelleren. War das gerade ein Geisterfahrer? Ach so, normal. Beißender Benzingeruch.
Überlandfahrt.Autos,Minibusse,hoffnungslosüberladeneLastwagen,Fahrradtaxis,Pferdefuhrwerke,Fußgänger-allegleichzeitigundkreuzundquer.FünfköpfigeFamilieaufeinemMoped.Stau.Hupkonzert.
AmStraßenrandbaumelnnackteKälberohneKopf.ImDrecknebenanliegteintoterHund.
UnfertigesHausnebenunfertigemHaus.BrennendesPlastik.Smog.Staub.
WowollendieLeutedennallehin?

W ü s t e .

Hoteloase. Balkon mit Flussblick. Endlich: ein wenig Ruhe. Zeit für diese Zeilen.

Es funktioniert ja alles, irgendwie. Nur ganz anders als bei uns. Die Menschen winken uns zu, heißen uns mit herzlichem Blick willkommen, sind auf untertänige Weise höflich. „Die Ausländer haben ihre Sandwiches bei mir gekauft“, ruft der Verkäufer stolz über den ganzen Platz. Ich schäme mich.

Was will ich denn? Eigentlich am liebsten keine bevorzugte Behandlung. Aber ich bin auch gewöhnt an „Leben light“, an reibungslose Abläufe und sichere Häfen. Von meinem vermeintlich hohen westlichen Ross ist der vermeintliche Boden kaum zu erkennen. Traue ich mir den Absprung zu? Hätte ich denn wirklich etwas zu verlieren?

Ich freue mich auf zuhause. Auf Reihenhäuser mit grünen Gärten, denen der Baumarktlattenzaun die Sicht versperrt. Auf Ruhe und Sauberkeit, Verlässlichkeit und Ordnung. Wo sonntags das Auto gewaschen und sonstiger Dreck unter den Teppich gekehrt wird. Wir sind die Guten. Mutti tut alles, damit die Wirtschaft weiter wachsen kann. Und seit 2006 können wir endlich auch wieder unverkrampft Fähnchen schwenken.

Ach so, zwischendurch haben wir in dem fremden Land Musik gemacht. Nicht nur Konzerte gegeben, sondern auch gemeinsam mit lokalen Musikern spontan improvisiert, stundenlang. Ohne jegliche Verständigungsprobleme. Das war sehr wohltuend – für alle Beteiligten.

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