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Ausgabe März 1998

PORTRAIT

"Die schlechte Laune
wegzublasen, das ist
meine Aufgabe"

Porträt des
Regensburger Sängers
und Saxophonisten
Axel Prasuhn

Autorin:
Susanne Wiedamann

LP/CDs:
"Kontraste"
mit dem Joe Viera Sextett

"Das Lied von der Erde"
mit André Rebstock

"Swing in the Air"
mit Günther Fuhlisch.

In Vorbereitung:
"Duke Ellington´s Sacred
Concerts" mit der Hannover
Big Band sowie eine CD mit
Bernd Wiedamanns "Big Band
Combination Rastatt".

"Der Weg ist das Ziel." Für niemanden scheint dieses Sprichwort treffender als für den Regensburger Jazzsänger Axel "Booboo" Prasuhn. Er wollte nicht berühmt werden. Er wollte auch nicht spielen können wie die Kings und Queens des Jazz. Er hat keine ausschweifende Discographie und schiebt keine großen Namen vor sich her, mit denen er die Bühnen der Welt erklettert hätte. Und doch ist der 52jährige Vokalist, Saxophonist und Querflötist in der Republik ein Begriff, nicht zuletzt durch seine Lehrtätigkeit in Burghausen eine feste Größe.

"Ich will kein Ziel, ich will leben!" sagt Prasuhn. "Das Tun muß einen Sinn ergeben." Hätte er sich einschwören lassen, auf ein Ziel, wäre er ein Fachidiot geworden, ist Prasuhn überzeugt. So aber kann der geborene Niedersachse auf eine höchst bewegte Biographie zurückblicken. Freiheit im Kopf, Flexibilität im Leben, Improvisation in der Musik – das hat eindeutige Priorität. Dementsprechend vielseitig ist der Musiker Prasuhn. Ihn plagen keine stilistischen Dünkel. Er ist offen für Einflüsse jeder Art. Sein stimmliches Spektrum reicht von bluesig verraucht bis zu glasklar cool, von kraftvollem Soul – bis zu penetrant direktem Rockgeröhre. Er ist im melodiösen Swing ebenso zu Hause wie in Bebob und Hardbob. Wenn er Balladen singt, schmelzen nicht nur Frauen dahin. Nimmt Prasuhn hier das Publikum durch seine Ausdrucksstärke und Intensität gefangen, so erobert er sie mit seinem ideenreichen Scatgesang quasi im Sturm.

Schon als Vierjähriger liebäugelt Prasuhn mit der Musik. Opernsänger will er werden, oder Tierarzt. In der Schulzeit spielt er gerne den Clown, schmettert – noch ohne Gedanken an öffentliche Auftritte zu verschwenden – bei jeder Gelegenheit Bill Ramsey-Songs. Eher zufällig wird er Mitglied in einer Beatband, die nach drei Konzerten in einem "verrufenen Etablissement" im Harz auch schon auseinanderbricht. Die neue Band heißt "The Psychos" und spielt vor allem Stücke der "Animals", seltener der "Rolling Stones".

"1966-69 Studium der Tiermedizin, aus musikalischen Gründen abgebrochen." Der lapidare Satz in Prasuhns Lebenslauf markiert nur eine der Wenden, die er immer wieder mal vollzieht. Mit 20 entdeckt Prasuhn den Jazz. Die Liebe beginnt mit Ella Fitzgerald, Louis Armstrong und Sonny Rollins. "Ich habe versucht, dahinter zu kommen, was das eigentlich ist." Mit Ella tat er sich leicht. "Menschliche Stimmen liegen mir, gehen mir nahe. Das war nicht schwierig zu verstehen. Rollins fand ich toll, wunderbar. Auch wenn ich nicht kapiert habe, was er da eigentlich macht." Bald ist er Feuer und Flamme für Bebop und Hardbop. Das erste Free-Jazz-Erlebnis hat er noch heute plastisch vor Augen. Zuerst dachte er, die hampeln da nur rum auf der Bühne, dann ging ihm ein Licht auf. "Ich sah, wie da so eine Sozialisation auf der Bühne stattfand – mit Zeichen und Bewegung. Ich hörte die Musik hinter meinem visuellen Eindruck herkommen." Der Free Jazz hatte ihn gefangen.

Die hannoversche Jazzband "StoreEvil" entdeckt den Sänger für sich. Das Studium leidet unter dem zunehmenden musikalischen Engagement. Und Prasuhn beginnen die "Fachidioten" an seiner Hochschule zu stinken. Die Entscheidung ob Musik oder Medizin wird dem 24jährigen abgenommen. "Da ich die Scheine fürs Physikum nicht hatte, flog ich raus." Prasuhn braucht zwei Jahre, in denen er ziellos jobbt, bis der Entschluß steht: Er will nun Musik studieren. Als "verlorene Zeit" hat er solche Phasen in seinem Leben nie betrachtet. Jede Sekunde ist wertvoll. Ohne konkretes Ziel erhält jeder Schritt seine eigene Bedeutung.

Prasuhn studiert in Hannover Gesang, Chorleitung und Musikpädagogik, Klavier und Querflöte. Hier lernt er Joe Viera kennen, spielt in dessen Big Band und gehört 1973 als Baritonsaxophonist, Flötist und Sänger zu den Gründungsmitgliedern des Joe Viera Sextetts. Ab 1976 ist Prasuhn an verschiedenen Musikschulen tätig, hat Lehraufträge für Jazzgesang und Saxophon an den Gesamthochschulen Kassel und Duisburg. Nach einer fünfwöchigen Afrika-Tournee mit dem Joe Viera Sextett und dem Auftritt beim Jazz-Festival in Burghausen schmeißt er euphorisch seinen Musikschul-Job in Hannover hin. Bald war das Geld alle, Prasuhn steigt wieder ein und unterrichtet an einer privaten Musikschule in Hannover.

In Burghausen, wo er seit 1972 regelmäßig erst selbst Kurse belegt, dann als Dozent tätig ist, lernt der Scat-Künstler den Regensburger Pianisten Richard Wiedamann kennen, der ihn zu einem Umzug nach Regensburg bewegt. "Das hatte auch viel mit Flucht zu tun. Dieses Hannover war mir entrückt. Das war mir nicht mehr geheuer. Ich war als Sänger ein Lokalmathador und hab mich auf meinem Schein-Ruhm ausgeruht, bis ich merkte, so kann ich nicht weitermachen." Also Break!

1981 zieht Prasuhn nach Regensburg. "Hier kam´s zu einer unheimlichen Arbeitswut. Ich habe versucht, Dinge zu entwickeln und durchzusetzen." Dabei geht es Prasuhn nicht um den großen Wurf, das große Ziel. Mit selbstkritischem Understatement spricht er nicht von der Entwicklung einer eigenen Sprache, eines eigenen Stils. Dabei ist, was Prasuhn singt oder spielt, ganz und gar Prasuhn. Was er hört, ob Rock, Soul, Free Jazz oder Gustav Mahler, der ihn ganz intensiv begleitet, ob Adderley oder Blood, Sweat & Tears ,das nimmt er in sich auf, das geht vom Kopf in die Seele und kommt aus dem Bauch wieder heraus – jetzt ganz Prasuhn. Ich vertraue darauf, daß von dem, was ich wahrnehme und höre, auch etwas in meiner Musik zurückbleibt."

Anfangs faszinierten ihn als Sänger außer Louis Armstrong vor allem Frauen: Ella Fitzgerald und Sarah Vaughan sind gewaltige Vorbilder. Billie Holliday weniger. Er verehrt sie, doch sie spricht nicht seine Sprache. Später kamen Sänger hinzu: Lambert, Hendricks And Ross, Eddie Jefferson, King Pleasure, David Clayton Thomas und schließlich Frank Sinatra und Tony Bennett. Bei den Saxophonisten sind es vor allem die Erzähler, die Prasuhn liebt und die ihn bewegen: Cannonball Adderley, Sonny Rollins, John Coltrane – "ein unglaublicher Prediger" und Ornette Coleman.

Die Erzählkunst interessiert Prasuhn weit mehr als das bloße Klangexperiment. "Das ist ein Konflikt, aus dem ich nicht rauskommen werde: Ich habe als Sänger eine ganz andere Sprache als als Instrumentalist." Prasuhn hat keine Angst vor Standards. Er bringt Erfahrungen und Gefühle in die Lieder ein, die in ihm stecken. "Ich brauche nur wenige Worte, den Rest transportiere ich musikalisch. Das gelingt mir auf dem Instrument nur ganz, ganz selten."

Wenn Prasuhn heute mit einer seiner Bands auf der Bühne steht, ob mit dem Gitarristen Helmut Nieberle in "Voice & Strings", "Booboo´s Jive" oder dem "Axel Prasuhn Quartett" (mit Nieberle, dem Bassisten Karsten Gnettner und Schlagzeuger Michael Gottwald), oder mit Musikern und Bands wie der Saxophonistin Gabi Wahlbrink, Richard Wiedamann, , "A Swingin´Affair", mit der Lothar Krist´s Hannover Big Band oder der René Walden Big Band München, so ist für ihn die Kommunikation mit dem Publikum fast noch wichtiger als die mit den Musikern auf der Bühne. "Die ekligste Situation ist die, auf der Bühne im Licht zu stehen und vor sich im Dunkeln das Publikum nur zu ahnen." Ein solch anonymes Publikum macht Axel Prasuhn Angst. "Ich muß sehen können, für wen ich da bin." Ein einziges Gesicht reicht, um Kontakt aufzunehmen und das Interesse zu spüren. "Das beeinflußt mich ungeheuer stark, wenn in der ersten Reihe jemand sitzt, mit Doppelfalten auf der Stirn. Da tue ich alles, um die Falten weg zu bekommen. Und ich schaffe es meistens, ein Lächeln abzutrotzen. Die schlechte Laune wegzublasen, das ist meine Aufgabe."

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