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Ausgabe März 1998

FAREWELL

Little Johnny C

Autor:
Marcus A. Woelfle


Die Jazzwelt ist vergeßlich; nein, schlimmer noch, sie hat Schwierigkeiten, sich mehr als eine Handvoll Namen pro Kategorie zu merken. Heißt das Etikett "Bop, Trompete / Flügelhorn, lyrisch, Ballade" werden neun von zehn Befragten Miles Davis, Art Farmer, allenfalls Freddie Hubbard" zuerst nennen. So verstarb am 21. Dezember 1997 "Little Johnny C", der schon zu Lebzeiten eher ein "musician’s musician" war, ja in manchen Jazzlexika nicht einmal aufgeführt wird, relativ unbemerkt. "Johnny Coles hat das Format eines Miles Davis" meinte sein Kollege Blue Mitchell, der mit ihm bei Ray Charles musizierte. Mag sein, daß Coles nicht über die Brillanz eines Clifford Brown oder die Power eines Lee Morgan verfügte, aber so unterschiedliche Meister wie Charles Mingus und Gil Evans (Bandleader also, die noch nach ihrem Gehör urteilten statt einfach nur "big names" zu engagieren) dürften alle in diesen Sound verliebt gewesen sein: warm, intim, modulationsfähig, aber alles andere als glatt. Sein Spiel behielt auch in Balladen ein paar Ecken und Kanten. "Auf Nummer sicher gespielt" hat Coles auch nicht, schon gar nicht eine Flut vorgefertigter Phrasen vom Stapel gelassen, licks mit denen Bop-Nachwuchs so gerne protzt; eher schon hat er, obgleich eher moderner Traditionalist als kühner Experimentator, mit Phantasie ausprobiert.

Geboren wurde er zwei Monate vor Coltrane und zwei Monate nach Miles Davis, in dessen Schatten er so oft in seiner Karriere stehen mußte: am 3. Juli 1926 in Trenton, New Jersey. "Angefangen habe ich in einer Militärband. Als ich etwas älter war, spielte ich Polkas und ungarische Musik. Ich war sogar Stehtrompeter, der von Tisch zu Tisch geht und die Wünsche der Gäste erfüllt." Seine ersten Jazzsporen verdiente sich der Autodidakt 1945 bei einem Sextett namens Slappy and his Swingsters. Wie so viele Jazzmusiker seiner Generation landete er in den Nachkriegsjahren im R&B-Umfeld: So lernte er bei Eddie "Cleanhead" Vinson (1948-51) John Coltrane und Red Garland vor der Zeit ihres Ruhms bei Davis kennen. Leader wie Bullmoose Jackson (1952) (wo er mit Tadd Dameron und Benny Golson musizierte) und Earl Bostic waren weitere Brötchengeber, doch hatte er 1951 zwischenzeitlich eine eigene Combo mit dem damals noch unentdeckten Meisterdrummer Philly Joe Jones, der später bei Miles Davis sein Glück machen sollte. In den 80er Jahren sollten sie wieder zusammenarbeiten, in der aus Tadd-Dameron-Kompositionen spezialisierten Band "Dameronia".

Mit dem Saxophonisten James Moody musizierte Coles 1956-58 (Aufnahmen auf Chess), doch das brachte noch keinen Durchbruch. Als Coles in den späten 50ern und frühen 60ern bei Gil Evans wirkte und vielen Evans-Alben wie vor allem "Out of the Cool" (Impulse!) solistische Glanzlichter aufsetzte, horchten leider zu wenige auf. Einer davon war der Pianist Duke Pearson , ein wichtiger Weggefährte, auf dessen Alben Coles in den 60ern zu hören war. Er berichtet, wie er bei einem Evans-Konzert erstmals auf traf: Pearson "starrte fasziniert auf einen nur wenig mehr als anderthalb Meter großen, jungen Mann, der sich beim Trompeteblasen weit zurücklehnte und dessen ganzer Körper in Bewegung war. Er schien jede Phrase, die er spielte zu betonen... Er war umwerfend. Johnny lehnte sich noch weiter zurück und sein Körper schien noch mehr mit den Phrasen, die er blies, mitzugehen und sein Horn klang wie ein beseelter Schrei." Doch bekanntlich ging ein Anderer als der Gil-Evans-Trompeter in die Geschichte ein.

Die Unsitte, weniger Bekannte auf Berühmte zurückzuführen ist im Jazz unausrottbar. Spätestens seit den 60ern klebte das Etikett "von Miles Davis beeinflußt" auf Coles – verglichen mit den unheimlichen Miles-Davis-Klonen der 90er zu Unrecht. Der gleichaltrige Coles fand gleichzeitig zu einem gelegentlich ähnlichen Stil. "Meine Favoriten", gestand Coles 1970 dem Jazz Podium, "sind zuerst der King der Trompeter, Dizzy Gillespie, dann folgen Miles Davis, Freddie Hubbard, Charles Tolliver, Blue Mitchell, Art Farmer und Benny Bailey."

1963 folgte endlich Coles‘ erste eigene, nach einem Pearson-Blues benannte Platte: "Little Johnny C" (Blue Note). Im Frühjahr 1964 schlossen viele Europäer den kleinen Mann mit der seltsam braunweiß gefleckten Haut ans Herz, als er mit Charles Mingus auf einer Tournee war, die diskographisch sowohl auf Bootlegs wie auf offiziellen Platten bestens dokumentiert ist: dramatische Aufnahmen, auf denen Eric Dolphy nur zwei Monate vor seinem Tod, wie um sein Leben spielte. Beinahe wäre diese Tour auch für Coles die letzte Station gewesen. Der Trompeter war in Paris auf der Bühne in Ohnmacht gefallen und mußte für eine heikle chirurgische Operation eines lebensbedrohlichen Magengeschwürs ins Krankenhaus eingeliefert werden. Danach konnte er neun Monate nicht mehr spielen. Trotz dieser dramatischen Umstände blieb für Coles die Zeit mit dem unberechenbaren Originalgenie in guter Erinnerung. Im Gegensatz zu einigen Kollegen kam er gut mit Mingus aus: "Jeder schwarze Musiker, der heute im Existenzkampf steht, wird leicht schizophren. Die Ungerechtigkeit ist zu groß. Man kann einen Menschen wie Mingus nicht verdammen, denn wer weiß denn wirklich seine Beweggründe, die zu seinen unerwarteten Handlungen führen?" Mit Mingus‘ Klangwelt blieb Coles zeitlebens verbunden, sei es, daß er in den 80ern mit der Mingus Dynasty tourte, sei es, daß er immer wieder die von anderen allzu selten gespielten Kompositionen des Bassisten interpretierte.

Wer entgeht schon dem Miles-Schatten? Ab 1966 arbeitete Coles mit Herbie Hancock zusammen, der damals selbst bekanntlich bei Davis wirkte. 1968 war er ein Mitbegründer von dessen Sextett. Doch es sollte daran erinnert werden, daß Coles keineswegs nur in Miles’schen Gefilden agierte. Im Gegensatz zu Miles Davis war Coles auch ein gefragter Bigband-Trompeter – Charles (69-71 und später), Ellington (71-74), Basie (in den 80ern) – und kurzzeitig einer von Blakeys Jazz Messengers. In den 80er Jahren schließlich, kam Coles, der nun hauptsächlich Flügelhorn blies, etwas aus der Versenkung hervor, spielte öfter Alben, etwa "New morning" (Criss Cross, 1982, mit Horace Parlan) oder, mit Frank Wess "Two At The Top", (Uptown, 1983).

"In all der Musik, die ich je machte" bekannte er einmal Gudrun Endress, "konnte ich stets mein eigenes Ich ausdrücken, mußte ich mich nie verleugnen. Allerdings dauerte es eine gewisse Zeit, bis ich meine Persönlichkeit entwickelt hatte und genau wußte, was mir gefiel und was ich wollte." Das klingt, bei allem Mangel an Anerkennung, nach Erfüllung.

Coles improvisierte, wie Nat Henthoff vor drei Jahrzehnten treffend formuliert hatte "mit einer liedhaften Heiterkeit und einem Sound der Myriaden von Nuancierungen aufweist". Das wird uns fehlen.

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